# taz.de -- Spielfilm über Franz Kafkas letztes Jahr: Der Dichter als Liebender | |
> Der Film „Die Herrlichkeit des Lebens“ will von Kafkas unbekannten Seiten | |
> erzählen. Er konzentriert sich auf eine kurze Zeit des Glücks. | |
Bild: Kurze Zeit der Gemeinsamkeit: Franz Kafka (Sabin Tambrea) mit Dora Diaman… | |
Ein Kafka-Jubiläum steht ins Haus! Das lässt sich unter anderem daran | |
erkennen, dass dieser Tage gleich zwei Produktionen erscheinen, die sich | |
mit dem von Mythen umrankten Schriftsteller aus Prag beschäftigen. Während | |
die Miniserie von David Schalko („Kafka“) in wenigen Tagen in der ARD zu | |
sehen ist, widmet sich ihm das österreichisch-deutsche Drama „Die | |
Herrlichkeit des Lebens“ gerade im Kino. | |
Weil es sich bei diesem [1][Jubiläum um den 100. Todestag von Franz Kafka] | |
handelt, ist es vielleicht nur folgerichtig, dass dieser Film um dessen | |
letztes Lebensjahr kreist. Zunehmend unter seiner Lungentuberkulose | |
leidend, verbringt der 40-jährige Kafka zu Beginn der Handlung gerade Zeit | |
bei der Familie seiner Schwester Elli (Daniela Golpashin) an der Ostsee. | |
Allerdings ist das, was das Regieduo Georg Maas („Zwei Leben“) und Judith | |
Kaufmann inszenieren, kein kafkaesker Schrecken, kein düsterer | |
Sterbehorror. Kaufmann, die zu den profiliertesten deutschen Kamerafrauen | |
([2][„Das Lehrerzimmer“]) gehört, setzt nicht etwa auf eine | |
bedrückend-bedrohliche Bildsprache, die man mit den finstereren Romanen und | |
grotesken Erzählungen des Autors assoziieren könnte. Zunächst ist alles | |
leichtfüßig und unaufgeregt, die Szenerie geradezu lichtdurchflutet. | |
Dass „Die Herrlichkeit des Lebens“ mit der gängigen Wahrnehmung des Daseins | |
von Franz Kafka als von Depression, Angst und Unbehagen geprägt, brechen | |
möchte, lässt sich schon am Titel ablesen. Er stammt von Michael | |
Kumpfmüllers 2011 erschienenem Roman, der dem Drehbuch, das Georg Maas | |
gemeinsam mit Michael Gutmann ([3][„Wir sind dann wohl die Angehörigen“]) | |
verfasste, als Vorlage diente. | |
So wie sich schon das Buch als eine Darstellung der weniger bekannten | |
Seiten des Schriftstellers gerierte, tut dies nun auch die Adaption. Zwar | |
wirkt er durchaus etwas verschroben, der hochgewachsene, magere und stets | |
etwas schlaksig aussehende Kafka (Sabin Tambrea), wenn er im schwarzen | |
Anzug am Strand sitzt. Doch als seine Blicke die der 15 Jahre jüngeren Dora | |
Diamant (Henriette Confurius) treffen, folgt auf das anfängliche | |
Umeinandertänzeln kein baldiger Rückzug. | |
Anders als es mit den zentralen Frauen seines Lebens bisher der Fall war, | |
lässt sich Kafka auf die aus Polen stammende Erzieherin, die mittlerweile | |
in Berlin wohnt und dort für das Jüdische Volksheim arbeitet, tatsächlich | |
ein. Anstatt sich, wie sonst, in Ausreden zu flüchten, sobald aus der | |
Verbindung etwas Verbindliches zu werden droht, folgt er ihr nach nur ein | |
paar gemeinsamen Spazier- und Badegängen in die deutsche Hauptstadt. | |
Dadurch, dass sich ein Großteil von „Die Herrlichkeit des Lebens“ dort | |
abspielt, geraten die bekannten Motive der gängigen Rezeption Kafkas beinah | |
beiläufig in den Hintergrund: Der bleierne Büroalltag der | |
Unfallversicherungsanstalt etwa, der sein Schreiben ebenso beeinflusste wie | |
die einschüchternde Präsenz des Vaters, die seinen Roman das „Das Urteil“ | |
bedeutend prägte. | |
## Leerstellen bleiben | |
Letzterer dringt nur noch als Spukgestalt in das Geschehen vor, wenn Kafka | |
seiner Geliebten von dem rund hundertseitigen Brief erzählt, den er einst | |
für den Vater verfasste, den dieser aber niemals las; oder wenn des Vaters | |
wütende Stimme durch den Hörer des Telefons dringt, nachdem Diamant ihn um | |
Geld gebeten hatte, um die Arztrechnungen zu begleichen, die mit dem sich | |
rapide verschlechternden Gesundheitszustand Kafkas immer höher werden. | |
Darin besteht die wohl größte Schwäche dieses Ansatzes: Es mag reizvoll | |
klingen, Kafka abseits des allgemein Bekannten zu porträtieren und zum | |
Klischee gewordene Sujets wie das des geplagten Schriftstellergenies | |
bewusst auszusparen. „Die Herrlichkeit des Lebens“ verpasst es allerdings, | |
die so entstehenden Leerstellen mit anderweitig Spannendem zu füllen. | |
Stattdessen kreist die Handlung um die finanziellen Sorgen des Paares, | |
befeuert durch die horrende Inflation der Zwanziger und den beständigen | |
Streit mit der garstigen Vermieterin (Michaela Caspar), die wegen des | |
unverheirateten Zusammenseins der beiden bloß nicht der Kuppelei bezichtigt | |
werden will. | |
Die unaufgeregte Inszenierung von Maas und Kaufmann verlässt sich sichtbar | |
darauf, dass der Trotz der Frischverliebten, sich dennoch über das wenige | |
Glück, das ihnen bleibt, zu freuen, ihre Erzählung trägt – auch emotional. | |
Dafür bleibt das Band zwischen Kafka und Diamant aber schlicht zu opak, | |
dazu verweilen ihre Gespräche zu sehr im Oberflächlichen. | |
Schwerer als im Zusammenhang der Liebesbeziehung wiegt die Trivialität | |
allerdings im Kontext des Schriftstellers selbst. Kafka wird seiner Mythen | |
beraubt – und zurück bleibt ein Mann, der stirbt. Auch das mag in sich | |
bemerkenswert wirken: den Tod in seiner Alltäglichkeit ernst nehmen, | |
anstatt seine Tragik an der Besonderheit und Berühmtheit dessen zu | |
bemessen, den er ereilt. | |
Weil der Film stets auf seltsamer Distanz zum Innenleben seines | |
Protagonisten bleibt, gelingt jedoch auch das nicht. Als Franz Kafka dann | |
am 3. Juni 1924 nach zermürbender Krankheit, die ihm am Ende nicht einmal | |
mehr das Sprechen erlaubte, in einem Sanatorium im österreichischen | |
Kierling stirbt, berührt dieser Film selbst hier erschreckend wenig. | |
Dass es durchaus möglich ist, mit den Erwartungshaltungen an den | |
Schriftsteller, der heute zu den meistgelesenen deutschsprachigen Autoren | |
weltweit zählt, zu brechen und dabei dennoch bis zuletzt in seinen Bann zu | |
ziehen, beweist besagte Miniserie von David Schalko („Ich und die anderen“) | |
mit Verve. Möchte man sich angesichts des Jubiläums noch einmal neu mit | |
Franz Kafka beschäftigen, wäre das die weitaus wohltuendere Wahl. | |
13 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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