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# taz.de -- Graphic Novels über Franz Kafka: Dunkle Anziehungskräfte
> Kafka zu interpretieren, ist für Zeichner herausfordernd. Im
> Jubiläumsjahr versuchen es der Cartoonist Mahler und der Comiczeichner
> Danijel Žeželj.
Bild: aus „Komplett Kafka“
„Als Franz Kafka eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich
in seiner Gruft in eine groteske Comicfigur verwandelt.“ Mit dieser
leichten Abwandlung der Anfangssätze von Franz Kafkas „Die Verwandlung“
könnte man das schmale Büchlein beschreiben, das gerade zum 100-jährigen
Todestag des Schriftstellers bei Suhrkamp erschienen ist.
„Komplett Kafka“, so der Titel, wurde von Nicolas Mahler, einem bekannten
österreichischen Cartoonisten und Comiczeichner verfasst. Seit einigen
Jahren ist „Mahler“, wie er sich selbst verkürzt nennt, auch als Autor von
Gedichten hervorgetreten. Anfang des Jahres wurde er zum künstlerischen
Leiter der Schule für Dichtung in Wien berufen.
Sein Interesse an der literarischen Moderne hat Mahler bereits in vielen
zeichnerischen Arbeiten dokumentiert. So hat er Marcel Prousts monumentalen
Romanzyklus, „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, [1][James Joyces
„Ulysses“] und Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ in auffallend
kompakte Comics verwandelt.
## Vorlieben und Obsessionen
Ob diese nun als Graphic Novels bezeichnet werden sollten, oder doch eher
als gezeichnete Hommagen, ist eine spitzfindige Frage. Ein satirischer
Ansatz ist bei jedem neuen Mahler nicht zu leugnen, denn seine mit
reduziertem Strich gezeichneten Comics stellen ihren Gegenstand stets auch
auf den Prüfstand. Sie legen Konstruktionen und Vorlieben, wenn nicht gar
Obsessionen der jeweiligen „Großschriftsteller“ bloß. Zugleich vermeidet
er, die Werke platt zu veralbern, betrachtet sie stattdessen durchaus
analytisch.
Nun also Kafka. Mahler skizziert sein ganzes Leben, vom Aufwachsen im
bürgerlichen Milieu Prags, als Teil der deutschsprachigen jüdischen
Gemeinschaft. [2][Hermann Kafka, Franz’ autoritärer Vater, zeichnet Mahler
als monströsen Golem], eine bekannte mythologisch-literarische jüdische
Figur, die dem jungen Kafka viel Angst einjagt, ihn geradezu traumatisiert
und zum berühmten „Brief an den Vater“ inspirieren wird.
Der junge Schriftsteller wird als dünner Strich mit Mittelscheitel und
Segelohren gezeichnet, ein zerbrechliches Wesen, das zeitlebens unter
Selbstzweifeln leidet. Mahler hat seine Comicbiografie als knappen Text
angelegt, den er mit ausgesuchten Zitaten Kafkas (und gelegentlich von Max
Brod, Kafkas Freund und erstem Nachlassverwalter) versieht.
## Aufs Äußerste reduziert
In seine Erzählung bindet er pointierte Illustrationen ein, die Kafkas
Leben darstellen, sowie Comicsequenzen, die in wichtige Werke des
Schriftstellers einführen. „Die Verwandlung“ und „Ein Hungerkünstler“
erzählt er knapp und aufs Äußerste reduziert, sodass ein eigener Witz
entsteht, das Wesen der Erzählungen aber erhalten bleibt.
Ebenso verfährt er mit den Romanfragmenten wie „Der Prozess“ und gibt dabei
Hinweise zur Interpretation oder zur Entstehungszeit. So vergleicht er „Das
Schloss“ mit dem ebenso dominanten Schloss in Friedrich Wilhelm Murnaus
Vampirfilm „Nosferatu“, der etwa zur selben Zeit um 1922 entstand.
Auch macht er auf die Rezep-tion zu Kafkas Lebzeiten aufmerksam, in der
viele Zeitgenossen zum Beispiel das heute unstrittige Meisterwerk „Die
Verwandlung“ als „phantasielos und langweilig“ einschätzten. Besonderes
Augenmerk legt Mahler auch auf den Beziehungsmenschen Kafka, der jahrelang
mit Felice Bauer verlobt war und dessen Briefe Aufschluss über seine
Gedanken gaben.
## Breiter Pinselstrich
Nicht zuletzt ist Mahlers zeichnerisch-essayistischer Versuch über Kafka
auch eine Reminiszenz an den Zeichner Franz Kafka. Erst 2022
veröffentlichte [3][Andreas Kilcher im Verlag C. H. Beck] eine umfangreiche
Würdigung dessen zeichnerischen Schaffens. Mahlers eigener Stil, ein
breiter Pinselstrich mit vorwiegend schwarzer Tusche, zitiert ikonische
Zeichnungen Kafkas – meist vereinzelte, stark abstrahierte Figuren –
geschickt, ohne sie zu kopieren.
In einem weiteren neuen Band – „Kafka für Boshafte“ (Insel Verlag) – t…
Mahler Zitate Kafkas aus den Briefen und Tagebüchern zusammen, die vor
allem viele selbstquälerische Einsichten enthalten, und illustriert sie
ebenso prägnant.
Wie vielleicht kein anderer Autor der Moderne inspirierte Kafka
Comiczeichnerinnen und -zeichner zu Adaptionen seiner Erzählungen.
Vielleicht liegt es am Verrätselten, Mehrdeutigen seiner Prosa, die die
künstlerische Fantasie anstachelt. Doch sind viele daran gescheitert, dass
sich Kafkas bildstarke Erzählungen beim Lesen des Textes im Kopf entfalten,
und gezeichnete Versionen oft doch rein illustrativ ausfallen.
## Collage mehrerer Texte
Der kroatische Comiczeichner und Multimediakünstler Danijel Žeželj hat
sich für seine im Avant Verlag erschienene Graphic Novel „Wie ein Hund“
Kafkas Erzählung „Ein Hungerkünstler“ vorgenommen, sie aber nicht ein zu
eins adaptiert, sondern als Collage mehrerer Texte Kafkas angelegt.
Dabei verzichtet er wie die meisten Kafka-Illustratoren gänzlich auf Farbe
und setzt auf kontrastreiche schwarz-weiße Tusche. Die Zeichnungen
erinnern so an scharfkantige Scherenschnitte und an Siebdrucke.
Žeželj steht ästhetisch der Urban Art nahe, und ihm gelingt eine düstere
Schilderung des Lebens im Zirkus, der ihm als Folie für ein erbarmungsloses
Gesellschaftsbild dient. Der Hungerkünstler wird so zum Tode Verurteilten
im Käfig.
21 Mar 2024
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## AUTOREN
Ralph Trommer
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