| # taz.de -- Neuauflagen zweier Comics: Dauergeiler Kater und Bondage-Posen | |
| > Comicklassiker, brauchen wir das? „Valentina Underground“ und „Fritz the | |
| > Cat“ gibt es nun in prachtvollen Neuauflagen. | |
| Bild: Auszug aus der Neuauflage „Fritz the Cat“ von Robert Crumb | |
| Das „Schwarze Quadrat“ von Malewitsch, die Sex Pistols, Oliver Stones Film | |
| „Natural Born Killers“ – vieles von dem, was früher mächtig Skandal gem… | |
| hat, ist inzwischen längst ein Klassiker. Aber es gibt auch den umgekehrten | |
| Fall. Manches, das zu seiner Entstehungszeit als aufregend galt, erweist | |
| sich später als schlecht gealtert; es ist zum bloßen Dokument geworden. Die | |
| zerfließenden Uhren von Dali – sind die eigentlich nicht doch recht | |
| kitschig? Und das Spätwerk von Heinrich Böll – ist es nicht ebenso obsolet | |
| wie die erbitterten ideologischen Grabenkämpfe der siebziger Jahre? | |
| Auch bei den prachtvollen neuen Ausgaben von Robert Crumbs „Fritz the Cat“ | |
| und Guido Crepax’ „Valentina“ lautet die Frage: Wie lesen sich diese Werke | |
| heute? Beide Zeichner gehören einer Generation an. Crumb wurde 1943 | |
| geboren, der 1933 geborene Crepax verstarb 2003. Beide begannen Mitte der | |
| Sechziger, Comics zu machen, die stark vom libertären Geist dieser Ära | |
| geprägt sind und zuvor undenkbar gewesen wären – noch in den Achtzigern | |
| setzte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften mehrere | |
| Publikationen von Crepax auf den Index. | |
| Der Ruf, den „Fritz the Cat“ genießt, beruht auf gerade 15, zwischen 1964 | |
| und 1972 entstandenen Geschichten. Allerdings ist nur ein Drittel mehr als | |
| einige Seiten lang; ein paar One-Pager sind auch darunter. In „Hier kommt | |
| Fritz“ besucht der Kater zum Auftakt seine Mutter auf dem Land und treibt | |
| es bei dieser Gelegenheit gleich mit seiner kleinen, drallen Schwester. In | |
| „Ein Groupie geht aufs Ganze“ ist Fritz ein Rockstar, der ein Vogelmädchen, | |
| das ihn verfolgt, mit Haut und Federn auffrisst. Zum Schluss, in „Fritz the | |
| Cat Superstar“, ereilt ihn dann sein Schicksal: Er wird von einer | |
| eifersüchtigen Verehrerin mit einem Schraubenzieher erstochen. | |
| ## Offenes Vergnügen | |
| Im Grunde geht es Crumb hier mit gar nicht klammheimlichem Vergnügen immer | |
| nur um das eine: Er lässt den Kater sich als asoziales und dauergeiles | |
| Monster aufführen. Das war seinerzeit ein Schock, nicht zuletzt weil diese | |
| anthropomorphe Tierwelt der dreckige, subkulturelle Gegenentwurf zu den | |
| sauberen Disney-Comics war, in denen Sex und Gewalt nicht die geringste | |
| Rolle spielen durften. | |
| Dieser Effekt hat sich nun jedoch stark abgenutzt – nicht dass Fritz | |
| sympathisch geworden wäre, aber wer Gangster-HipHop und „Game of Thrones“ | |
| gewöhnt ist, der findet das wüste Treiben, das hier gefeiert wird, auch | |
| nicht mehr völlig ungewöhnlich. Sehr deutlich wird im Gegenzug, wie sehr | |
| „Fritz the Cat“ ein Frühwerk ist. Erst in „Superstar“ hat Crumb sich | |
| zeichnerisch ganz gefunden; erst hier besitzen seine schraffurreichen | |
| Bilder jene sagenhafte, fast reliefartige Plastizität, für die er berühmt | |
| ist. | |
| Was die Schilderung von Trieben und Obsessionen angeht, sind seine | |
| autobiografisch inspirierten Arbeiten, mit denen er in den frühen | |
| Siebzigern anfing, viel differenzierter. Dass er Fritz sterben ließ, hatte | |
| daher wohl nicht nur damit zu tun, dass ihn der Rummel nervte, den Ralph | |
| Bakshis Zeichentrickversion des Comics ausgelöst hatte: Crumb war dieser | |
| Figur vielmehr künstlerisch entwachsen. | |
| ## Mordkomplott im Rennfahrer-Milieu | |
| Nur wenig später als „Fritz the Cat“ betrat „Valentina“ die Bühne der | |
| Erwachsenen-Comics. Die junge Frau ist eine italienische Fotografin. In | |
| „Die Lemnos-Kurve“, ihrem ersten, 1965 erschienenen Abenteuer, deckt sie | |
| zusammen mit dem amerikanischen Kunstkritiker und Galeristen Phil Rembrandt | |
| ein Mordkomplott im Rennfahrer-Milieu auf. Phil wird ihr Partner, außerdem | |
| besitzt er eine Doppelidentität: Mit paranormalen psychischen Kräften | |
| ausgestattet, bekämpft er unter dem Namen Neutron das Verbrechen. | |
| Weitere Abenteuer konfrontieren Valentina und Phil immer wieder mit den | |
| „Unterirdischen“, einem Volk, das in den Tiefen der Erde lebt. Die Plots in | |
| „Valentina“ sind fast immer teils trivial, teils arg konstruiert oder | |
| sprunghaft-verworren. Gern dienen sie auch als Vorwand, die Heldin – oder | |
| andere weibliche Figuren – zu entkleiden und in bizarren Bondage-Posen zu | |
| zeigen. | |
| Aber das ist eben nicht alles. Zu einer spannenden Lektüre wird der Comic | |
| durch die diversen Elemente, mit denen der Zeichner (und früherer | |
| Architekt) Guido Crepax ihn anreichert und die ihn zu einem hybriden, | |
| schillernden Gebilde jenseits von Genregrenzen machen. Ein wiederkehrendes | |
| Motiv sind Partyszenen; die schicken Interieurs und die Gesprächsfetzen | |
| zeugen von den künstlerischen und intellektuellen Interessen der damaligen | |
| In-Crowd. | |
| Die Liebe des Zeichners zum Jazz und den klassischen amerikanischen | |
| Zeitungscomics ist ebenso erkennbar wie sein berufliches Vorleben als | |
| erfolgreicher Werbegrafiker. Und schließlich gibt es auch einen verdeckt | |
| autobiografischen Zug: Phil Rembrandt ist physiognomisch Crepax | |
| nachgebildet, während dessen Ehefrau Louisa – die sich zur Doppelgängerin | |
| des Stummfilmstars Louise Brooks stilisierte – das Vorbild für Valentina | |
| abgab. | |
| ## Meister mit der Tusche | |
| Ein guter Zeichner im konventionellen Sinne war Crepax nicht. Um korrekte | |
| Proportionen, sei es bei der menschlichen Anatomie, sei es bei | |
| Raumverhältnissen, kümmert er sich wenig, und seine Figuren haben oft eine | |
| marionettenhafte Steifheit. Aber er ist ein Meister im Umgang mit der | |
| Tusche; wie er große schwarze Flächen und feine schwarze Linien zu | |
| kombinieren weiß, das ist von einer großen Eleganz. | |
| Zu seinen Markenzeichen gehört das Arbeiten mit zum Teil sehr kleinen, | |
| rechteckigen oder quadratischen Panels, die einen Vorgang in viele Teile | |
| zerlegen und mitunter auf merkwürdige Weise den Eindruck entstehen lassen, | |
| die Zeit stehe still. Crepax hat bis in die neunziger Jahre an „Valentina“ | |
| gezeichnet. Die Geschichten in den beiden Bänden, die jetzt vorliegen, | |
| stammen alle aus der Zeit bis 1972. | |
| Die mit Abstand beste ist die kürzeste und untypischste. In „Das standhafte | |
| Mädchen aus Papier“ ist die Heldin noch ein Kind, das sich in Andersens | |
| Märchen vom Zinnsoldaten hineinträumt. Imagination und Wirklichkeit gehen | |
| nahtlos ineinander über, und auf diesen zehn Seiten gelingt Crepax ein | |
| einfühlsames, geniales Comic-Äquivalent zur Bewusstseinsstrom-Prosa der | |
| literarischen Moderne. | |
| 19 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Haas | |
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