# taz.de -- Wohnungsnot in Städten: Ein total normaler Lebensentwurf | |
> Städter*innen bekommen oft zu hören, sie seien selbst Schuld, wenn sie | |
> keine Wohnung finden. „Zieht doch aufs Land“. Eine Verteidigung. | |
Bild: Nicht jede:r will auf das Land ziehen | |
Niemand hat die Pflicht, auf’s Dorf zu ziehen. Einige Menschen haben Bock | |
auf Landleben. Andere können sich in den Vororten verorten. Und dann sind | |
da eben auch Leute, die brauchen die Stadt. Bedürfnisse sind | |
unterschiedlich. Lebensentwürfe auch. | |
Ich bin ein Stadtmensch. In Kreuzberg habe ich angefangen, meine Haare | |
offen zu tragen. Ich habe nicht vor, wieder in Haargummis zu investieren. | |
Wie viel Raum meine Haare bekommen dürfen, ist nach wie vor ein Indikator | |
dafür, wie sicher ich mich als Schwarze Frau an einem Ort fühle. Und ja: | |
Das reicht als Grund, dort bleiben zu wollen. | |
Es gab Zeiten (noch gar nicht lange her), da war die Wohnraumfrage in | |
meinem Umfeld ständiges Thema. Wohnungsnot, Wohnungssuche und überteuerte | |
Mieten waren anerkannter Smalltalk vor dem [1][Späti] oder beim ersten | |
Date. Stadtentwicklung, Wohnungs- und Mietenpolitik bestimmten die | |
politischen Debatten meiner Stadt und führten viele Menschen und Gruppen | |
zusammen, die sonst kaum Berührungspunkte hatten. | |
## Menschen sind desillusioniert | |
Und für einen Moment fühlte es sich ein bisschen so an, wie Teil einer | |
Bewegung zu sein, die tatsächlich etwas erreichen könnte: Als könnten viele | |
der bedrohten Wohnhäuser, Kiezkneipen, Clubs und Kinderläden gerettet | |
werden. Als könnten wir Berlin davor bewahren, eine anonyme Starbucks-Hölle | |
zu werden, in der sich nur noch Airbnb-Gäste bewegen. | |
Einen [2][gekippten Mietendeckel] und einen erfolgreichen, aber [3][nicht | |
umgesetzten Vergesellschaftungs-Volksentscheid] später ist die Berliner | |
Mieter*innenbewegung müde und ich bin es auch. Es liegt wohl im | |
existenziellen Kern der Sache, dass Menschen nach vielen Rückschlägen | |
desillusioniert sind. Aber wann sind die Leute eigentlich so gemein | |
geworden? Als ich den Hilferuf eines Freundes teile, der wegen einer | |
unverschämten Eigenbedarfsklage seine Wohnung verliert, wird mir | |
ausführlich erklärt, dass er doch Brandenburg in Betracht ziehen soll. | |
Warum? Was an „Ich suche eine Wohnung in Berlin“ habt ihr nicht verstanden? | |
Auf meiner eigenen Suche bekam ich Ähnliches zu hören. Eine Bekannte warf | |
mir außerdem „Kiez-Kult“ vor, weil ich möglichst in der Nähe meiner | |
Freundinnen, meines Arbeitsplatzes und meiner Stammkneipe bleiben wollte. | |
Und ja: Für viele bedeutet ein Umzug eben auch ein Stück Identitätsverlust. | |
Ich habe gestandene Frankfurter nach Offenbach ziehen sehen. Es war nicht | |
schön. | |
## Es braucht Solidarität | |
„Zieht doch aufs Land“ oder „Selbst schuld, wenn man unbedingt in der Sta… | |
wohnen muss“ sind wohl die häufigsten Kommentare unter [4][Artikeln zur | |
Mietenexplosion]. Nichts Neues und umso irritierender, dass solche Sprüche | |
nun auch von irgendwie linken Städter*innen kommen. Woher kommt diese | |
Einstellung? | |
Nichts ist falsch daran, in der Stadt wohnen zu wollen. Es ist nicht | |
elitär, nicht arrogant, nicht selbstverliebt. Es ist einfach ein total | |
normaler Lebensentwurf. Niemand muss sich dafür rechtfertigen oder gar | |
schämen. Eine Familie, die auch mit einem weiteren Kind noch im vertrauten | |
Umfeld wohnen will? Das ist doch kein unverschämter Gedanke. Menschen | |
kämpfen um eine Zweizimmerwohnung innerhalb des S-Bahnrings. Nicht für eine | |
Villa im Grunewald mit Seezugang. | |
Es gibt weiterhin viel Solidarität. Die braucht es auch. Nicht nur für | |
Durchschnittsverdienende wie mich und meine Friends. Viele Menschen sind in | |
noch viel prekäreren Situationen und das ist an jeder Straßenecke sichtbar. | |
Zynismus und Besserwisserei hilft da kein Stück weiter: Am 1. Juni ist | |
Mietendemo in Berlin. | |
16 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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