| # taz.de -- Verdrängung in Berlin: Keine Gnade für Mieter | |
| > Christliche Immobilienkonzerne sind in Sachen Verdrängung nicht besser | |
| > als weltliche Unternehmen, so der Autor Ralf Hutter. | |
| Bild: Christliche Wohnkonzerne arbeiten profitorientiert. Ralf Hutter beschreib… | |
| taz: Herr Hutter, Sie haben ein Buch über Profitgier und Verdrängung im | |
| christlichen Immobiliengeschäft geschrieben. Warum der Fokus auf | |
| christliche Unternehmen? | |
| Hutter: Die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft (ASW), das größte | |
| Wohnungsunternehmen der katholischen Kirche, kam 2018 zum vielleicht ersten | |
| mal auf negative Weise in die Presse, weil sie ein Haus in Kreuzberg | |
| jahrelang weitgehend leerstehen ließ. Ich berichtete darüber, dann noch | |
| zwei Mal ausführlicher auch über Konflikte mit der ASW in Köln und | |
| Düsseldorf, und stellte fest, dass noch nie jemand überregional zu | |
| kirchlichen Wohnungsunternehmen recherchiert hatte. Da zudem mehrere | |
| Rückmeldungen auf meine Veröffentlichungen kamen, habe ich mich weiteren | |
| Fällen von im weitesten Sinne kirchlichen Immobilienakteuren gewidmet, die | |
| ihrem ethischen Anspruch nicht gerecht werden. | |
| Das erwähnte Haus der ASW war die Großbeerenstraße 17a. Sie wurde 2018 | |
| besetzt und nach einigen Monaten geräumt. Was ist daraus geworden? | |
| Die ASW hat in einer Hälfte des Hauses ein soziales Projekt aufgenommen. | |
| Die andere Hälfte hat sie mit jahrelanger Verspätung saniert und vermietet. | |
| Ich habe zwei der neuen Mietverträge einsehen können. Weil es damals ein | |
| Gerichtsverfahren um den [1][Berliner Mietendeckel gab], war es üblich, in | |
| neuen Mietverträgen zusätzlich zur gesetzlich vorgeschriebenen Miete eine | |
| viel höhere festzuhalten für den Fall, dass der Mietendeckel gerichtlich | |
| gekippt wird. So kam es dann auch, und die ASW verlangte dann rückwirkend | |
| statt der zunächst vorgeschriebenen 7,50 Euro nettokalt pro Quadratmeter 14 | |
| Euro oder mehr, je nach Wohnung. Mir schrieb sie damals aber, die Miethöhen | |
| „orientieren sich am Mietspiegel“ – eine Lüge. Ein Haushalt zog dann weg… | |
| der hohen Miete aus und zahlte die Nachzahlung von über 2.000 Euro in Raten | |
| ab. | |
| Sie berichten, dass die ASW in der Kreuzberger Taborstraße 9 nach | |
| Widerstand von Hausgemeinschaft und Bezirksamt den Plan eines Neubaus im | |
| Innenhof aufgab. Ist sie druckempfindlicher als weltliche Immobilienfirmen? | |
| Die anderen Firmen sind ja nicht einheitlich, aber prinzipiell ist ein | |
| kirchliches Unternehmen aufgrund des moralischen Anspruchs, den es immer | |
| vor sich herträgt, und aufgrund seiner Eigentümer druckempfindlicher als | |
| Briefkastenfirmen und Aktiengesellschaften. Die ASW hat ja in der | |
| Großbeerenstraße 17a auch nicht sofort räumen lassen. Sie macht aber immer | |
| wieder einen autoritären Eindruck, auch in der Taborstraße 9, [2][wo sie | |
| die Hausgemeinschaft mit ihren Sorgen] und Vorschlägen auflaufen ließ. Ich | |
| gehe davon aus, dass sie auf den Neubau, für den sie den von der | |
| Hausgemeinschaft selbst gepflegten Garten zerstören wollte, vor allem wegen | |
| des allgemeinen Kostenanstiegs verzichtete. | |
| Ein Kapitel befasst sich mit einer christlichen Seniorensiedlung im | |
| Wedding. Welche Probleme beklagen die Bewohner*innen dort? | |
| Das ist eine evangelische Stiftung in finanzieller Schieflage, die Stiftung | |
| Hospitäler zum Heiligen Geist und St. Georg. Sie hat im Lauf der Jahre | |
| einen Großteil der sozialen Infrastruktur abgebaut und verweigert sogar | |
| einem zweiwöchentlichen Nachbarschaftstreffen einen Raum, der für genau | |
| solche Treffen da ist. Das ist ein absurder Streit, der seit 2018 anhält | |
| und auch die Stiftungsaufsicht des Senats beschäftigte. Die Stiftung hat | |
| als einzigen Zweck, alten Menschen mit wenig Geld einen angenehmen | |
| Lebensabend zu ermöglichen, das kümmert sie aber nicht allzu sehr. Zum Teil | |
| dürfte das an Geldmangel liegen, aber auch hier ist ein autoritäres | |
| Selbstverständnis deutlich zu spüren. | |
| Die Hausverwaltung in dieser Stiftung besorgt die Hilfswerk-Siedlung, das | |
| Wohnungsunternehmen der evangelischen Landeskirche. Wegen seiner Größe wäre | |
| es von der per Volksentscheid beschlossenen Enteignung großer | |
| Immobilienkonzerne betroffen. Wie reagiert das Unternehmen darauf? | |
| Mit krudem Antisozialismus auf dem Niveau von Franziska Giffey à la | |
| Enteignung ist doch DDR. Und mit einem Rechtsgutachten, demzufolge es gegen | |
| die verfassungsmäßige Religionsfreiheit verstößt, ein „Wohnungsunternehmen | |
| mit religiösem Selbstverständnis“ zu vergesellschaften. [3][Vor der | |
| Senatskommission zur Prüfung] der Umsetzung des Volksentscheids hielt der | |
| Geschäftsführer der Hilfswerk-Siedlung im Dezember 2022 einen Vortrag, in | |
| dem er wiederholt bestritt, dass es auf dem Berliner Wohnungsmarkt so große | |
| Probleme gibt, dass einschneidende Maßnahmen nötig wären. Das alles und das | |
| Geschäftsgebaren dieses Unternehmens zeigen, dass es eine normale GmbH ist, | |
| für die in Sachen Enteignung kein Ausnahmetatbestand gilt. | |
| 31 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Nowak | |
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