# taz.de -- Verkauf der Oranienstraße 169 in Berlin: Linke Vermieter lenken ein | |
> Die Genossenschaft „wirwerk eg“ will das Haus übernehmen. Es gehört | |
> linken Journalist*innen, die Mieter*innen fürchteten Verdrängung. | |
Bild: Die Oranienstraße 169 wurde mit öffentlicher Förderung saniert und ist… | |
BERLIN taz | Aus Sicht der Mieter*innen klingt es fast zu schön, um wahr | |
zu sein. Denn es wäre ein unerwartetes Happy End im von Verdrängung | |
gebeutelten Kreuzberg. Nun zeichnet sich in der Auseinandersetzung um das | |
überregional bekannt gewordene Haus Nummer 169 in der symbolträchtigen | |
Oranienstraße ein gemeinwohlorientierter Kauf [1][immer deutlicher ab:] | |
Eine Genossenschaft namens „wirwerk eg“ will die Immobilie kaufen. Die | |
Eigentümergemeinschaft bestätigt die Verhandlungen, will sich aber nicht | |
öffentlich dazu äußern. | |
In den Schlagzeilen ist das mehrstöckige Mietshaus, weil linke | |
Journalist*innen es einst gekauft und dabei von Fördergeldern in Höhe | |
von 3,4 Millionen Mark profitiert haben, sich aber möglicherweise nicht an | |
die [2][gesetzlichen Regeln gehalten haben]. Zudem befürchteten viele | |
Mieter*innen, dass die Eigentümer*innen das 1993 für 1,2 Millionen | |
Mark erworbene Haus für einen [3][spekulativen und damit deutlich höheren | |
Preis verkaufen wollten]. | |
Die Eigentümergemeinschaft besteht aus durchaus bekannten Journalist*innen, | |
die bei der taz, der Zeit, dem Spiegel und der Berliner Zeitung arbeiteten. | |
Am prominentesten ist die ehemalige taz-Journalistin und langjährige | |
Chefredakteurin der Berliner Zeitung, Brigitte Fehrle, die jahrelang selbst | |
in scharfen Kommentaren gegen den Ausverkauf der Stadt anschrieb. Ebenso | |
darunter ist ein aktuelles Mitglied des Kuratoriums der | |
[4][taz-Panter-Stiftung], deren Mitgliedschaft bis zur Klärung des | |
Sachverhalts ruht, wie es aus der Stiftung heißt. | |
Mehrere Eigentümer*innen lebten zeitweise selbst im Haus, in dem die | |
Mieten für Kreuzberg auch heute noch vergleichsweise niedrig sind und | |
zwischen 6 und 8 Euro pro Quadratmeter liegen. Bis zum drohenden Verkauf | |
waren die Bewohner*innen weitgehend zufrieden, man pflegte einen | |
freundschaftlichen Umgang mit den Eigentümer*innen, so die Darstellung von | |
Mieter*innen. Die Immobilie umfasst mit Vorder- und Hinterhaus sowie | |
Seitenflügel 21 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten. | |
## Alternative zum Vorkaufsrecht? | |
Während Politiker*innen nun Aufklärung über die Förderkonditionen | |
fordern, zeichnet sich zumindest für die Mieter*innen eine positive | |
Wendung ab. Hatten sie doch befürchtet, dass ihr Wohnhaus wie so viele in | |
Kreuzberg zu einem spekulativen Preis inklusive damit einhergehendem | |
Verdrängungsdruck verkauft werden würde. | |
Hinter der kaufwilligen Genossenschaft „wirwerk“ steht unter anderen | |
Andreas Krüger. Er ist Geschäftsführer von Belius, einer GmbH, die sich | |
laut Webseite „auf inhalts-, werte- und gemeinwohlorientierte | |
Raumstrategien“ verschrieben hat; Krüger ist bei der Initiative | |
„Stadtneudenken“ mit ähnlicher Zielsetzung engagiert. „Wir wollen das Ha… | |
aus dem spekulativen Immobilienmarkt herausnehmen, und es mit einer | |
Genossenschaft so sichern, dass es nicht weiter verkauft werden kann“, | |
sagte Krüger der taz. Man orientiere sich dabei an verschränkten | |
Eigentumsverhältnissen nach dem Modell des Mietshäusersyndikats. | |
Laut Krüger arbeitet die Genossenschaft gerade daran, die Finanzierung | |
aufzustellen. An Bord seien Eigenkapitalgeber, Privatleute und Familien | |
sowie Institutionen, die sich für gemeinwohlorientierte Projektentwicklung | |
interessierten, ebenso Banken aus dem Nachhaltigkeitsbereich. Im besten | |
Falle schaffe man ein Modellprojekt für einen geregelten Erwerb von | |
Wohnraum zu vernünftigen Konditionen, so Krüger. Bis Ende März sollen die | |
Grundlagen geklärt sein und dann so rasch wie möglich ein Kauf realisiert | |
werden. | |
Nicht zuletzt nach dem weggeklagten und auf Bundesebene von der FDP | |
blockierten [5][kommunalen Vorkaufsrecht] sind Bezirke und Kommunen gegen | |
den Ausverkauf der Stadt auch in so genannten Milieuschutzgebieten wie in | |
Kreuzberg weitgehend machtlos. Ein vom Bezirk unterstützter Kauf von | |
Genossenschaften könnte nach Ansicht der Beteiligten ein Ausweg aus dem | |
spekulationsgetriebenen Immobilienmarkt sein – den Verkaufswillen der | |
Eigentümer*innen zu vernünftigen Konditionen vorausgesetzt. | |
Und der ist hier offenbar nun doch vorhanden: Krüger habe in der taz | |
erstmals von dem Haus gelesen und sei tags darauf mit den | |
Vermieter*innen in Kontakt getreten. Er führe vertrauensvolle Gespräche | |
mit der Eigentümer*innengemeinschaft. Vergangenen Dienstag sei der | |
geplante Erwerb erstmals auch mit den Mieter*innen besprochen worden, so | |
Krüger – im Beisein von Grünen-Bezirksstadtrat Florian Schmidt, der | |
vermittelt hatte. | |
Der Kreuzberger Baustadtrat Schmidt, auch bekannt als „Aktivist im Amt“ für | |
mieter*innenorientierte Wohnungspolitik, nennt den potentiellen | |
Ankauf durch eine Genossenschaft „präventiven Erwerb“. Geht es nach ihm, | |
soll das Modell Schule machen: Es könnte eine tragfähige Alternative zu | |
komplizierten und teuren kommunalen Vorkäufen unter Zeitdruck sein, so | |
Schmidt – insbesondere für Eigentümer, denen der soziale Aspekt von | |
Wohnungseigentum nicht egal sei. | |
## „Keine öffentliche Förderung mehr“ | |
Eine Klarstellung ist Schmidt im Zusammenhang mit der Oranienstraße 169 | |
besonders wichtig: „Es wird keine öffentliche Förderung mehr für dieses | |
Haus geben im Anbetracht der Ereignisse.“ Mit den Ereignissen meint Schmidt | |
die Verwicklungen, die mittlerweile zu einem Berliner Wahlkampfthema | |
geworden sind und [6][von FDP und CDU für Grünen- und Kreuzberg-Bashing] | |
sowie als Beispiel für linke Scheinheiligkeit genutzt wird. | |
Doch der Reihe nach: Die taz berichtete zuerst [7][Anfang November] über | |
die aktuellen Entwicklungen. Die Eigentümer*innen mussten sich nach | |
dem Kauf von 1993 bei der Sanierung als Gegenleistung für die | |
Millionenförderung an sozialverträgliche Ziele halten – bis 2017. Als 2022 | |
schließlich die Nachricht von einem Verkauf die Runde macht, befürchteten | |
die Mieter*innen, dass die Eigentümer*innen nach Auslaufen der | |
Sozialbindung deutlich teurer verkaufen wollten. | |
Die Mieter*innen schrieben ihre Vermieter*innen an und forderten | |
einen gemeinwohlorientierten Verkauf, damit das Haus dem Markt entzogen | |
würde und auch künftig die Mieten auf einem leistbaren Niveau lägen. | |
Zunächst wollten sich die Eigentümer*innen nicht reinreden lassen und | |
antworteten in einem Brief an die Mieterschaft, dass es für einen | |
gemeinwohlorientierten Verkauf keine Mehrheit in der Eigentümerschaft gebe | |
– auch wenn sie zugleich betonten, einen Käufer finden wollten, der das | |
Haus langfristig hält und pflegt. | |
Auch aufgrund der für die Mieter*innen überwiegenden Befürchtungen | |
schalteten sie Politiker*innen und Medien ein, einige Mieter*innen | |
nahmen an einer Demo gegen den Ausverkauf der Stadt teil. Auf taz-Anfrage | |
reagierten die Eigentümer*innen zunächst nicht, Interventionsversuche | |
von Politiker*innen blieben folgenlos oder unbeantwortet. | |
Während hinter den Kulissen schon seit November verhandelt wurde, wurde die | |
Immobilien unversehens zu einem Wahlkampfthema, nachdem auch der Spiegel | |
berichtete. In einem längeren Artikel ist die Rede davon, dass mutmaßlich | |
Subventionsvorgaben nicht eingehalten worden seien, weder der zuständige | |
Senat noch der Bezirk hätten die Einhaltung von Vorgaben überprüft, freie | |
Wohnungen seien entgegen der Vorgaben nicht gemeldet worden und wurden | |
möglicherweise unter der Hand vermietet. | |
Die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist heute SPD-geführt | |
von Bausenator Andreas Geisel. Auf taz-Anfrage, welche Folgen aus dem Fall | |
zu ziehen seien, hieß es am Freitag, das man aktuell noch prüfe, welche | |
rechtlichen Möglichkeiten nach Ende der Bindungsfrist noch bestehen | |
könnten. Nach Ansicht der Senatsverwaltung sei allerdings der Bezirk | |
zuständig gewesen, die Belegungsbindung zu prüfen. Schmidt hatte | |
seinerseits auf den Senat verwiesen. | |
## Wahlkampf um ein Haus | |
Dass Wahlkampf ist, sieht man besonders gut an Äußerungen aus CDU und FDP, | |
die Wohnungspolitik ansonsten eher aus Eigentümer-Perspektive betrachten. | |
CDU-Generalsekretär Stefan Evers vermutete im Tagesspiegel eine | |
Amigo-Affäre des „Skandal-Stadtrats“ Florian Schmidt. FDP-Fraktionschef | |
Sebastian Czaja behauptete: „Der linksgrüne Filz in | |
Friedrichshain-Kreuzberg wird zunehmend zur Belastung für unsere Stadt.“ | |
Derartige Unterstellungen wies Schmidt, der zum Zeitpunkt des Kaufs 1993 | |
gerade einmal 18 Jahre alt war, zurück: „Das war vor meiner Zeit. | |
Äußerungen dieser Art sind Wahlkampf-Fantasien.“ Auch Katrin Schmidberger, | |
wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, | |
damals elf Jahre alt, hält Vorwürfe an die Grünen oder die | |
Bezirksverwaltung für fehlgeleitet. | |
Schmidberger sensibilisiert auch hinsichtlich des historischen Kontextes | |
der Subventionsbedingungen: Die Eigentümer hätten die Gelder in der Zeit | |
der „behutsamen Stadterneuerung“ erhalten. Damals sei man froh gewesen, | |
wenn Häuser im schlechten Zustand wieder repariert wurden – nicht der | |
angespannte Wohnungsmarkt, sondern Leerstand sei ein großes Problem | |
gewesen. Schmidberger sagt aber auch: „Wenn es Verstöße gegen Fördervertrag | |
gab, muss die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung tätig werden.“ | |
## Verkauf für unter 5 Millionen | |
Andreas Krüger blickt hingegen in die Zukunft und sagt: „Wir hoffen, dass | |
wir im Sommer gemeinsam vorm Haus stehen und sagen können: Das ist | |
gesichert und die Leute haben bezahlbare Mieten.“ Sehr verwundert sei er | |
gewesen über die Einschätzung im Spiegel, dass das Haus angeblich bis zu 12 | |
Millionen Euro wert sein solle: „Ich wusste nicht, dass der Spiegel eine | |
Gebäude-Bewertungs-Abteilung hat“, so Krüger. „Das ist eine spekulative | |
Immobilienbewertung, die nur mit Entmietung und unter Umgehung des | |
Milieuschutzes gelingen kann.“ Man rede mit den Eigentümer*innen über | |
einen auskömmlichen und guten Preis, der nicht spekulationsgetrieben sei. | |
„Die Miete ist sehr moderat und soll so bleiben. Abgeleitet aus diesen | |
Werten wird sich ein realistischer und vernünftiger Kaufpreis ergeben. Auch | |
5 Millionen wären ungesund für das Haus“, sagt Krüger und verspricht, alles | |
offen zu legen. Diesbezüglich müsse sich aber ein Konsens zwischen den | |
Eigentümer*innen finden, mit denen man weiter im täglichen Austausch | |
stünde. Fördermittel, betont auch er, werde man nicht beantragen oder | |
benötigen. | |
20 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Gentrifizierung-in-Berlin-Kreuzberg/!5905200 | |
[2] https://www.spiegel.de/panorama/berlin-kreuzberg-wie-linke-journalisten-den… | |
[3] /Verdraengung-in-Berlin-Kreuzberg/!5889000 | |
[4] /Panter-Stiftung/!p4258/ | |
[5] /Vorkaufsrecht/!t5430677 | |
[6] https://www.tagesspiegel.de/berlin/auf-die-linke-tour-wie-journalisten-sich… | |
[7] /Verdraengung-in-Berlin-Kreuzberg/!5889000 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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