# taz.de -- Musik in der Politik: Es müsste immer Musik da sein! | |
> Antony Blinken performte in einer Bar in Kyjiw „Rockin’ in the Free | |
> World“ mit einer E-Gitarre. Unser Autor wünscht sich mehr Musik in der | |
> Politik. | |
Bild: US-Außenminister Antony Blinken spielt „Rockin' in the Free World“ m… | |
Politik ist ein unmusikalisches Geschäft. Politiker vergreifen sich im Ton, | |
selbst wenn die Melodien ihrer Stimmen monoton sind. Und gibt es schrille | |
Zwischentöne, ist es auch niemandem recht. Medien beklagen dann mangelnde | |
Harmonie oder ein fehlendes Taktgefühl. | |
Aber es gibt Ausnahmen, diese Woche gleich zwei. In Kyjiw trat | |
US-Außenminister Antony Blinken mit einer E-Gitarre auf und spielte das | |
Lied „Rockin’ in the Free World“. Und in der georgischen Hauptstadt Tiflis | |
ließen proeuropäische Demonstranten die „Ode an die Freude“ ertönen. | |
Was sagt uns das? Natürlich kann man Symbolpolitik wie den Auftritt von | |
Blinken kritisieren. Manche Kommentatoren meinen gar zu wissen, dass die | |
Performance bei den Soldaten an der Front nicht gut ankäme. Und natürlich | |
hätten die Ukrainer mehr davon, wenn Blinken statt mit seiner E-Gitarre im | |
Gepäck schon ein paar Monate früher mit frischer Artilleriemunition | |
gekommen wäre. | |
Trotzdem sollte man die Wirkung solcher Symbole nicht unterschätzen. | |
[1][Blinkens Auftritt am gleichen Tag], bei dem er der Ukraine ohne Gitarre | |
in der Hand die Unterstützung der USA versicherte, war kein viraler Hit. | |
Und ich wage zu behaupten, dass auch der Medienprofi Wolodymyr Selenskyj | |
solche Gesten zu schätzen weiß. Ohne seine Selfie-Videos in den ersten | |
Kriegsnächten wäre die Unterstützung für die Ukraine im Westen nie so groß | |
geworden. | |
Neil Young soll „Rockin’ in the Free World“ geschrieben haben, nachdem ei… | |
Konzertreise durch die Sowjetunion abgesagt worden war und sein Gitarrist | |
sagte, dann müssten sie eben weiter die freie Welt rocken. Wie so oft darf | |
man bei einem Lied, das auf den ersten Klang irre gut passt, allerdings | |
nicht so genau auf den Text hören, von dem aber eh alle nur den Refrain | |
kennen. Dass das Lied von Obdachlosigkeit, Armut, Drogensucht handelt, geht | |
unter. Egal! So ist das Leben in der freien Welt: trotz allem attraktiver | |
als unter der Herrschaft Putins. | |
## Es wird Zeit, dass deutsche Politiker mal den Ton treffen | |
Das zweite Lied der Woche war die Europahymne auf den Straßen von Tiflis, | |
wo [2][Demonstranten gegen ihre repressive Regierung protestierten]. Sie | |
schwenkten dazu die Lichter ihrer Handykameras, und man muss Wladimir Putin | |
heißen und ein Herz aus Uran haben, um davon nicht berührt zu sein: | |
Menschen, die für ein Leben in Freiheit und als Teil von Europa auf die | |
Straße gehen. | |
Auch in Kyjiw lief Beethovens Neunte, beim Euromaidan 2014. Und so bilden | |
die Lieder der Woche ungewollt einen musikalischen Rahmen: Von der | |
optimistischen Ode an Europa („Alle Menschen werden Brüder!“) bis zur | |
trotzigen Durchhalteparole („Keep on!“) dauerte es in der Ukraine 10 Jahre. | |
Hoffentlich ist das kein böses Omen für die Menschen in Georgien. | |
Um nicht mit einem Mollton zu enden: Was wäre eigentlich, wenn deutsche | |
Politiker häufiger musizieren würden? In der Vergangenheit ist das oft | |
schiefgegangen. Andrea Nahles sang mal im Bundestag Pippi Langstrumpf, die | |
sich die Welt macht, widdewidde wie sie ihr gefällt. Und Angela Merkel | |
musste sich bei den Toten Hosen für die Taktlosigkeit ihrer Partei | |
entschuldigen, ein Lied der Band bei der Wahlparty zu singen. Beide | |
Auftritte hat die deutsche Öffentlichkeit aus guten Gründen verdrängt. | |
Es wird Zeit, dass deutsche Politiker mal den Ton treffen. Wann tritt | |
Robert Habeck auf und erklärt die Windkraftstrategie der Bundesregierung | |
mit Bob Dylans „The answer, my friend, is blowin’ in the wind“? Und | |
sicherlich wären auch die Umfrageergebnisse für die FDP besser, wenn | |
[3][Christian Lindner seine Haushaltspolitik] mit einem Klassiker des | |
deutschen Punks begründen würde: „Deutschland muss sparen, damit wir leben | |
können!“ | |
20 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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