# taz.de -- Soziale Fähigkeiten: Ein Mammut fängt man nicht allein | |
> Mit Empathie überwinden wir alle Krisen, dachten wir lange, aber Studien | |
> zeigen, dass Mitgefühl endlich ist. Warum wir auf Kooperation setzen | |
> sollten. | |
Wenn du 10 Euro hättest, würdest du etwas davon an eine unbekannte Person | |
abgeben? Ungefähr so lautete Frage, mit der Daniel Kahnemann in den 1980ern | |
unser Menschenbild stark veränderte. Jahrzehntelang hatte die Psychologie | |
sich mit der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs befasst und dabei durch | |
die dunkelsten Aspekte der menschlichen Psyche gewühlt: Gruppendenken, | |
Autoritätshörigkeit und Mitläufertum, Gefängniszellen und Stromschläge. | |
Bis der israelischen Psychologe Kahnemann die Verteilungsfrage stellte. | |
Denn im sogenannten Diktatorspiel teilen fast alle ihre 10 Euro. Zwar nicht | |
ganz gerecht, sie geben im Schnitt zwei bis drei Euro, aber fast niemand | |
gibt nichts. Menschen scheinen bei ihren Entscheidungen an andere zu | |
denken. Eine absolute Überraschung. | |
Nach Jahren des Zynismus weckte dieses Zeichen von Empathie endlich | |
Hoffnung. Denn in uns schlummert die Sehnsucht, dass der Mensch im Grunde | |
gut ist – und wird in der Realität doch immer wieder enttäuscht, von Krieg, | |
Hunger und Hass. Forschende suchen deshalb nach sozialen Fähigkeiten für | |
ein besseres Miteinander. Braucht es mehr Empathie? Oder überschätzen wir | |
ihr Potenzial? | |
Das Diktatorspiel prägt bis heute, wie wir über Sozialverhalten nachdenken: | |
Als Bereitschaft, anderen auf eigene Kosten zu helfen. Damit begann aber | |
erst die Erforschung unserer Verbundenheit. 1992 stieß die | |
Neurowissenschaft auf die sogenannten Spiegelneuronen, über die Affen und | |
Menschen die Bewegungen anderer im eigenen Kopf nachvollziehen – dicht | |
gefolgt von der Erkenntnis, dass wir unbewusst auch ihre Gesichtsausdrücke | |
nachmachen. Im Gehirn teilen wir sogar ihre Ängste und ihren Schmerz. | |
Das passte zu dem, was die Verhaltensforschung schon früher beobachtet | |
hatte. Nämlich, dass [1][Äffchen] und [2][Ratten] lieber hungern, als mit | |
dem Drücken des Knopfes zur Futterklappe anderen Stromschläge zuzufügen. | |
„Gefühlsansteckung“ nannte man dieses Phänomen und befand: Das Einzige, w… | |
uns voneinander trennt, ist unsere Haut. | |
Schon die allerkleinsten [3][Kinder fühlen den Stress ihrer Eltern] mit und | |
können deswegen weinen. Noch bevor sie besonders gut sprechen können, | |
[4][lehnen sie Puppenspielcharaktere] ab, die sich anderen permanent in den | |
Weg stellen. Und wenn sie im Kleinkindalter lernen, zwischen sich selbst | |
und anderen zu differenzieren, dann verstehen sie die Quelle ihres | |
Mitgefühls dadurch nur besser – und [5][beginnen prompt zu helfen]. | |
Kein Wunder, dass auch Erwachsene im Diktatorspiel nicht zulassen wollen, | |
dass andere leer ausgehen. Geben kann uns sogar glücklich machen: Wenn wir | |
an Hilfsorganisationen spenden, dann zeigte der Gehirnscan [6][Aktivität im | |
Belohnungsbereich, den sogenannten warm glow]. Menschen sind von Natur aus | |
mitfühlend und das macht sie großzügig. | |
Allerdings scheint unsere Empathie in den letzten Jahren gelitten zu haben. | |
Beispielsweise zeigt eine Meta-Analyse [7][amerikanischer Colleges] einen | |
deutlichen Abwärtstrend zwischen 2000 und 2016 (übrigens lange vor den | |
Smartphones). Auch gewalttätiger Konflikt geht oft damit einher, dass sich | |
Herzen verhärten. Seit der Entdeckung der Empathie gibt es deshalb | |
Versuche, sie zu steigern. Durch Austausch, Meditation oder Bücher, mal | |
mehr und mal weniger langfristig erfolgreich. Aber selbst gesteigerte | |
Empathie [8][führt nicht in jedem Fall zu prosozialerem Verhalten]. Und das | |
aus mehreren Gründen. | |
## Die Probleme mit dem Mitgefühl | |
Erstens brauchen wir einen klaren Fokus, an dem wir unsere Empathie | |
festmachen können, wodurch unsere Wahrnehmung verzerrt wird. Sie lässt uns | |
akutes Leid stärker spüren als abstrakte Konsequenzen; den gut | |
dokumentierten Schmerz Einzelner mehr als den von Tausenden anderen; das | |
Sterben schnuffeliger Eisbären mehr als das Schwinden der Insekten; das | |
Leid einiger Impfschäden mehr als die Verhinderung Millionen schwerer | |
Verläufe. Durch Empathie fehlt uns die Vorstellungskraft für den Wert von | |
Prävention genau wie für den Schaden von 4 Grad Erderwärmung. | |
Zweitens ist Mitgefühl genauso mächtig wie wankelmütig. Studien zeigen, wie | |
es mit uns nahen Menschen steigt und steil abfällt gegenüber verfeindeten | |
Gruppen, die wir stigmatisieren. Das Mitgefühl mit Aids-Betroffenen | |
[9][hing bei Versuchspersonen] davon ab, ob sie eine Gelegenheit sahen, den | |
Erkrankten eine Eigenschuld zuzuschieben. In anderen Studien reichte es, | |
ein [10][gegnerisches Fußballteam] zu erwähnen oder einen [11][unfairen | |
Spielzug] zu erleben, und aus geteiltem Schmerz wurde Schadenfreude. | |
Gegen diese blinden Flecken unseres Mitgefühls lässt sich immerhin | |
antrainieren. Gruppengrenzen verschwimmen, wenn wir die [12][individuellen | |
Geschichten unseres Gegenübers hören]. Und [13][Aufklärungskampagnen | |
dämpfen] zumindest kurzfristig Stigmata. Aber selbst im Fall absoluter | |
Anteilnahme kommt der Punkt, an dem wir das Leid nicht mehr aushalten. | |
Es ist der Moment, an dem wir das Handy oder die Nachrichten ausschalten. | |
Versuchspersonen brechen das Experiment dann lieber ab, als zu helfen. Wer | |
der Situation nicht ausweichen kann, lernt irgendwann, anders mit seinen | |
Gefühlen umzugehen. So wie Mitgefühl Mediziner*innen zwar | |
[14][definitiv bei der Behandlung hilft], aber [15][mit den Praxisjahren | |
abnimmt]. | |
Da liegt das dritte Problem mit dem Mitgefühl: Es ist auch eine Frage von | |
Macht und Ohnmacht. Denn wo das Leid zu groß und komplex ist, als dass wir | |
helfen können, sorgt unser Mitgefühl nicht für eine bessere Welt, sondern | |
für Burn-out. Und da, wo Empathie dringend benötigt würde, wo Menschen mit | |
Macht sitzen, ist sie tendenziell spärlicher gesät. Nicht nur weil | |
Führungsebenen vielerorts [16][eine gewisse Kaltschnäuzigkeit] voraussetzen | |
oder empathische Menschen tendenziell eher schlechter bezahlte Jobs wählen. | |
Sondern auch, weil unser [17][Einfühlungsvermögen mit Macht eher abnimmt]. | |
Besonders schwierig wird es da, wo Macht und Ohnmacht aufeinandertreffen. | |
Kontakt zwischen konfliktgeladenen Gruppen kann auf beiden Seiten Mitgefühl | |
füreinander wecken und Ressentiments überwinden. Allerdings kann diese | |
persönliche Nähe in der benachteiligten Gruppe auch dazu führen, dass der | |
Ruf nach Reformen und ausgleichender Gerechtigkeit verstummt. Stattdessen | |
weckt Nähe die Erwartungen an Fairness und ein Entgegenkommen der | |
mächtigeren Gruppe, [18][die aber oft nicht erfüllt werden]. | |
Und das bringt uns zum letzten großen Problem: Empathie sorgt nicht | |
unbedingt für gerechtere Entscheidungen. In einem Planspiel konnte das | |
Mitgefühl die Versuchspersonen gerade so überzeugen, die Löhne ihrer | |
fiktiven Mitarbeitenden nicht ohne Not nach unten zu korrigieren. | |
Gleichzeitig hielt es sie aber nicht davon ab, den [19][Inflationsausgleich | |
zu pausieren]. | |
In anderen Szenarien brachte Mitgefühl Versuchspersonen dazu, fiktive | |
Protagonist*innen auf medizinischen Wartelisten unfair zu bevorzugen. | |
Der Wunsch, einer persönlich vorgestellten Patientin zu helfen, überwog das | |
Leid der unbekannten Namen auf der Liste. In anderen Fällen kann ein | |
fehlgeleiteter Beschützerinstinkt Versuchspersonen sogar dazu bringen, | |
anderen aktiv zu schaden. | |
Auch im 10-Euro-Spiel teilen weit weniger Versuchspersonen großzügig, wenn | |
ihr Gegenüber [20][nichts von ihrer Entscheidung erfährt]. Ohne die Gefahr, | |
jemanden zu enttäuschen, schwindet die Motivation zu geben. | |
Aber in vielen Fällen scheitert unsere Großzügigkeit schon daran, dass nie | |
klar ist, wie viel sie uns abverlangt. Müssen wir Fremden immer etwas | |
abgeben? Die Hälfte? Selbst St. Martin hat nur mit einem wirklich | |
Bedürftigen geteilt. Und dann nur den halben Mantel gegeben. Im Experiment | |
sieht man diese Zögerlichkeit daran, dass Leute weniger abgeben, je öfter | |
man fragt: „Willst du von diesen zehn Euro was abgeben?“, „Von diesen?“, | |
„Von diesen?“ Irgendwann erreicht alle Großzügigkeit ihr natürliches End… | |
Fragen Sie den zweiten Straßenmagazinverkäufer in der U-Bahn. | |
Kurzum, Empathie ist durchaus tief und mächtig. Sie hilft uns vor allem da, | |
wo uns Leute nah und Bedürftigkeiten klar sind. Aber das macht Empathie | |
eher zur Superkraft für Ausnahmesituationen. Jahrhundertfluten, die ersten | |
Geflüchteten, die am Bahnhof ankommen, die Nachbarin mit dem dreifachen | |
Beinbruch. Für Tagespolitik, langwierige Krisen und Details bietet sie | |
wenig Hoffnung. Insofern ist es vielleicht kein Wunder, dass die vielen | |
Studien zur Empathie einer Sache immer schuldig bleiben: messbare | |
gesellschaftliche Veränderung. | |
## Auf der Suche nach dem sozialen Talent | |
Müssen wir die Hoffnung auf das soziale Gehirn also aufgeben? Wenn | |
Forschende nicht weiterwissen, schauen sie sich gerne kleine Kinder an. In | |
der Hoffnung, dass sie unseren Vorfahren ein bisschen ähnlicher sind als | |
der typische Finanzberater. Wenn wir wissen, welche Art von Sozialverhalten | |
uns liegt, können wir unsere Gesellschaft drumherumbauen. | |
Tatsächlich teilen auch kleine Kinder ihren Keks nur sehr ungern. Etwas, | |
dass sie hingegen sehr gut können, ist [21][Forschenden an einem Leipziger | |
Max-Planck-Institut] aufgefallen. Sie verglichen die Fähigkeiten von | |
Menschenkindern mit denen von Affenkindern und stellten fest: Im | |
Werkzeugbau, bei Logikaufgaben und Frustrationstoleranz hatten kleine | |
Kinder große Schwierigkeiten, Orang-Utans, Schimpansen und Gorillas zu | |
schlagen. Aber sie waren weit voraus bei allem, was mehr als eine Person | |
braucht: voneinander lernen, kommunizieren, kooperieren. | |
Auch das ist eine kleine Revolution in unserem Menschenbild. Denn es legt | |
nahe, dass Zusammenarbeit für den Erfolg unserer Vorfahren erst mal | |
wichtiger war, als schicke Werkzeuge es waren. | |
Wie gut wir im Zusammenarbeiten sind, zeigt sich etwa an der Räuberleiter. | |
Denn wie komplex es ist, mit den Händen eine Treppe zu bauen, fällt erst | |
auf, wenn man anderen Spezies etwas Vergleichbares abfordert: Müssen | |
Schimpansen für einen Obstkorb an einem Strang ziehen, verstehen unsere | |
klugen Verwandten theoretisch sofort, was gemeint ist. Praktisch isst | |
danach allerdings der Ranghöhere alles auf und der andere sitzt beleidigt | |
in der Ecke. Das Ganze funktioniert exakt einmal. | |
Kleine Kinder beherrschen dagegen die Grundlagen gemeinsamer Wertschöpfung. | |
Das untere Kind in einer Räuberleiter versteht es, dem oberen zu vertrauen, | |
um an die Schokolade auf dem Schrank zu kommen. Genauso versteht das obere | |
Kind, dass es sich besser nicht beide Schokoriegel noch in der Luft in den | |
Mund steckt. Jedenfalls, wenn es je wieder irgendwas vom Schrank holen | |
will. | |
Sozial sein heißt ziemlich oft, gegenseitige Abhängigkeit verstehen. Und | |
niemand kann so schön voneinander abhängig sein wie wir Menschen. Zusammen | |
jagen wir Mammuts, während wir allein mit Karotten dastehen. Das erlaubt | |
uns auch, waghalsige Expeditionen oder harte Zeiten abzufedern. Studien | |
zeigen, dass besonders [22][arme Gemeinschaften in harten Zeiten durch | |
geteilte Ressourcen handlungsfähig bleiben]. Dass Menschen obendrein die | |
Kinderversorgung zwischen mehrere Leuten verteilen, erlaubt uns, in einem | |
ziemlich hilflosen Entwicklungsstand zur Welt zu kommen – aber dafür mit | |
einer massiven Kapazität zu lernen. | |
Die brauchen wir auch, denn ohne gewisse Grundinformationen darüber, wie | |
man Feuer macht, Fleisch zubereitet oder wenigstens Tofu kauft, könnten wir | |
unser energiefressendes Gehirn gar nicht ernähren. Wir brauchen zum | |
Überleben eine detaillierte Einweisung. Zum Glück geben uns unsere Eltern | |
nicht nur Gene weiter, sondern auch Wissen. Die „kulturelle Evolution“ ist | |
eine Schnellstraße der Entwicklung. Weil sie zielführend flexible Anpassung | |
an Probleme erlaubt. Wenn es kalt wird, können wir lernen, wie man Mäntel | |
macht, statt zu hoffen, dass uns durch eine Genmutation Fell wächst. | |
Anders gesagt: Was unsere Spezies am besten kann, ist weniger empathische | |
Aufopferung, als gemeinsame Wertschöpfung. Und die dafür notwendige | |
Verteilung. | |
Wir finden die Hinweise auf unser kooperatives Fundament noch heute in | |
vielen Aspekten menschlichen Verhaltens. Zum Beispiel darin, dass wir | |
[23][Wissen mit ähnlich viel warm glow wie Geld teilen]. Auch kleine Kinder | |
bringen sich von Anfang an in die Gemeinschaft ein und verweisen auf alles | |
Interessante, was sie sehen, mit Zeigegesten und lauten „Da!“-Geräuschen. | |
Lange bevor wir freiwillig von unserem Keks abgeben, wünschen wir uns eine | |
Welt, in der jeder einen Keks hat – und würden dafür sogar Zusammenarbeit | |
riskieren. Wir sind sozial, lange bevor wir großzügig sind. | |
Auch beim Teilen von Geld ist Kooperation das solidere Fundament als | |
Mitgefühl: Wenn andere erst mal mit uns zusammengearbeitet haben, | |
überwinden wir Gruppengrenzen bei der Gewinnteilung eher. Mit | |
Wiederholungen [24][werden Versuchspersonen im Teilen nur besser]. | |
Ausreden, die uns beim Diktatorspiel noch verführt haben, [25][lassen wir | |
bei der Gewinnteilung] links liegen. Und wo Großzügigkeit spätestens beim | |
letzten Hemd endet, erzeugt Zusammenarbeit immer neuen Gewinn. Wissen zum | |
Beispiel wird immer mehr, wenn man es teilt. | |
Die Moral von Gemeinschaftsgewinn ist uns so klar, dass wir sogar eine | |
Menge Gefühle entwickelt haben für den Fall, dass man ihre Grundsätze | |
missachtet: Eifersucht, Empörung, Rachsucht. All das, was hierzulande gern | |
als Neiddebatte bezeichnet wird, zählt zu den Grundgefühlen jeder sozialen | |
Spezies – die Sensibilität dafür, wer am Ende mit mehr dasteht. | |
Kooperation liegt uns also intuitiv, macht Freude und ist obendrein noch | |
sehr gut geregelt. Aber wenn wir doch angeblich so ein starkes | |
Gerechtigkeitsempfinden haben, warum merkt man davon in dieser Welt so | |
wenig? | |
## Wie Zusammenarbeit funktioniert | |
Nun ist das moderne Leben keine Mammutjagd, angefangen mit der schieren | |
Größe und Komplexität. Sozialer Druck lässt sich schlecht aufbauen, wenn | |
man viele Gruppenarbeitspartner*innen nie zu Gesicht kriegt; | |
gemeinsame Wertschöpfung lässt sich schwer beziffern, wenn natürliche | |
Lebensgrundlagen in unsere Modelle nicht einfließen; und von geteilten | |
Risiken ist leicht reden, wenn diejenigen, die den Kollaps unseres Klimas | |
am stärksten vorantreiben, die Konsequenzen als Letztes spüren. | |
Aber der vielleicht entscheidendste Unterschied liegt darin, dass die | |
Menschen inzwischen nicht nur das hilfreiche Konzept des Eigentums | |
entdeckten, sondern auch merkten, dass man Berge davon über Generationen | |
hinweg horten kann, Tendenz steigend. Nie gab es mehr Milliardär*innen | |
als heute, acht Leute besitzen mehr als die Hälfte der Menschheit. Es | |
verhandelt sich schlecht, wenn einer nichts zu essen hat und der andere auf | |
einem Mount Everest von Scheinen sitzt. Und damit fällt das weg, was uns | |
überhaupt erst sozial gemacht hat, die gegenseitige Abhängigkeit. Das | |
Bewusstsein, dass die anderen sonst nichtmehr mit uns zusammenarbeiten. | |
Die Folgen unfairer Verhandlungsbedingungen weltweit sieht man, [26][wenn | |
man über 50.000 Menschen fragt], welches Lohngefälle zwischen CEO und | |
ungelernter Arbeitskraft sie zu tolerieren bereit sind. Zwischen dem | |
doppelten und zwanzigfachen Stundenlohn antworteten sie. Tatsächlich liegt | |
das Gefälle in jedem befragten Land aber weit darüber. In vielen entkoppeln | |
sich Unternehmensgewinne und Gehälter immer weiter. Es wäre naiv zu denken, | |
dass sich das nicht auf Produktivität und Lebenseinstellung auswirkt. | |
Milliarden scheffeln und den Mindestlohn auszahlen, das ist das Äquivalent | |
davon, Mammuts zu jagen und den Teammitgliedern danach Karotten zu geben. | |
Heißt das, für unser Kooperationstalent gilt das Gleiche wie für Empathie? | |
Schön im Einzelfall, aber auf die Gesamtgesellschaft nicht übertragbar? | |
Die gute Nachricht ist, auf die Grundlagen der Zusammenarbeit lässt sich | |
ziemlich direkt einwirken. Man muss nur die Verhandlungsbedingungen der | |
Einzelnen stärken – die Fähigkeit, Arbeit zu unfairen Konditionen | |
abzulehnen. Ob mit Sozialversicherungen oder Streikkassen, Grundeinkommen | |
oder Gewerkschaften. Und noch besser: Wir wissen, dass diese Arten sozialer | |
Intervention funktionieren. Schon im Diktatorspiel rücken Menschen oft mehr | |
Geld raus, [27][wenn die Grundvoraussetzung für jeden Gewinn ist,] dass das | |
Gegenüber dem Teilen zustimmt. | |
Auch im echten Leben geht eine [28][hohe Gewerkschaftsdichte einher mit | |
einer faireren Verteilung] der Gewinne. Auch gesellschaftliche Bedingungen | |
können sich so verbessern. In Pflegeheimen mit mehr Mitarbeitenden in | |
Gewerkschaften überleben etwa auch mehr Senior*innen eine Pandemie. Wir | |
alle profitieren von Zusammenarbeit, also profitieren auch alle, wenn sie | |
gut organisiert ist. Obendrein bietet ökonomische Sicherheit das Netz für | |
unsere menschlichen Steckenpferde: gemeinsame Wissensschöpfung und | |
waghalsige Projekte. | |
Kurzum, wer eine sozialere Welt will, muss weniger in Empathietraining für | |
CEOs investieren als in die handfesten Kontrollmechanismen der | |
Zusammenarbeit. Kinder, und Erwachsene sollten lernen, abzugeben und | |
mitzufühlen. Aber das, was unsere Welt gerade am dringendsten braucht, ist | |
die Kunst, eine Räuberleiter zu bilden. | |
6 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://psycnet.apa.org/record/1965-07341-001 | |
[2] https://psycnet.apa.org/record/1962-00569-001 | |
[3] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0956797613518352 | |
[4] https://www.nature.com/articles/nature06288 | |
[5] https://psycnet.apa.org/record/2016-31177-001 | |
[6] https://www.science.org/doi/abs/10.1126/science.1140738 | |
[7] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/1088868310377395 | |
[8] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1364661316301930 | |
[9] https://direct.mit.edu/jocn/article/22/5/985/4845/The-Blame-Game-The-Effect… | |
[10] https://www.cell.com/neuron/pdf/S0896-6273(10)00720-8.pdf | |
[11] https://www.nature.com/articles/nature04271 | |
[12] https://compass.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/spc3.12701 | |
[13] https://link.springer.com/article/10.1007/s00127-017-1341-9 | |
[14] https://psycnet.apa.org/record/2015-32537-001 | |
[15] https://journals.lww.com/academicmedicine/fulltext/2011/08000/Empathy_Decl… | |
[16] https://www.apa.org/pubs/journals/features/apl-apl0000357.pdf | |
[17] https://link.springer.com/article/10.1007/s12122-020-09298-0 | |
[18] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0963721410363366 | |
[19] https://link.springer.com/article/10.1007/s10551-013-1836-6 | |
[20] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0749597805001330 | |
[21] https://citeseerx.ist.psu.edu/document?repid=rep1&type=pdf&doi=1d2… | |
[22] https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00220380701260093 | |
[23] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26595840/ | |
[24] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0148296309000678 | |
[25] https://www.aeaweb.org/articles?id=10.1257%2Fmic.6.3.256 | |
[26] https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/1745691614549773 | |
[27] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2214804320302895 | |
[28] https://eml.berkeley.edu/~schoefer/schoefer_files/Schoefer_wage_inequality… | |
## AUTOREN | |
Franca Parianen | |
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