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# taz.de -- Friedensmärsche und Krieg: Friedensbewegung in der Bredouille
> Solange der Aggressor Nato oder USA hieß, war der Bewegung stets klar,
> wer gut und wer böse ist. Nun tritt ein lange verdrängter Grundkonflikt
> wieder offen zutage.
Bild: Die Friedensbewegung hat ein Problem – nicht nur mit ihrer Doppelmoral
Mitten im Ersten Weltkrieg beklagte Stefan Zweig „die fast vernichtende
Tragik des Pazifismus, dass er nie zeitgemäß erscheint, im Frieden
überflüssig, im Kriege wahnwitzig, im Frieden kraftlos und in der
Kriegszeit hilflos“. Mit seinen Worten erinnerte der österreichische
Schriftsteller 1917 an Bertha von Suttner, die trotz aller Anfeindungen
nicht davor zurückgeschreckt sei, „das scheinbar Unerreichbare zu fordern“.
Doch seine Feststellung hat bis heute nichts von ihrer Aktualität
verloren.
Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor gut zwei Jahren erlebt das
Denken in rein militärischen Kategorien auch in der Bundesrepublik eine
Renaissance. Dass [1][kräftig aufgerüstet] werden müsse, gilt als
unumstößliche Tatsache. Ein [2][sozialdemokratischer Verteidigungsminister]
will Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen. Ein grüner
Wirtschaftsminister trifft sich mit den Chefs deutscher Rüstungsunternehmen
zum „Austausch zu Innovations- und Beschleunigungsmöglichkeiten in der
Verteidigungswirtschaft“.
Und [3][eine liberale EU-Spitzenkandidatin] wirbt als „Oma Courage“ für
sich – was Bertolt Brecht sicherlich ganz passend gefunden hätte. Gerade
jetzt wäre eine große Friedensbewegung als mahnende Stimme nicht das
Schlechteste. Doch den Ostermärschen hat der Ukrainekrieg keinen
nennenswerten Aufschwung beschert. Stattdessen ist ein lange verdrängter
Grundkonflikt wieder offen zutage getreten. Denn die Friedensbewegung war
nie ausschließlich pazifistisch.
Einig waren sich die unterschiedlichen Lager zwar stets, wenn es – nicht zu
Unrecht – gegen den US-Imperialismus und die Nato ging. Die Reaktion auf
militärische Aggression, die nicht aus dem Westen kam, fiel hingegen schon
in der Vergangenheit nicht gleichermaßen eindeutig aus. Auch jetzt tut sich
ein nicht unerheblicher Teil der Friedensbewegung sichtlich schwer, den
Krieg Russlands ohne Wenn und Aber zu verurteilen.
## Offensichtliche Doppelmoral
Die Doppelmoral ist augenfällig: Als 2003 die USA, Großbritannien und eine
„Koalition der Willigen“ völkerrechtswidrig im Irak einmarschierten, war es
gar keine Frage, wie darauf zu reagieren ist: „Wir fordern von Bush, Blair
und allen anderen Kriegswilligen: Stoppt den Krieg sofort! Invasoren raus
aus dem Irak!“, war damals in den Ostermarschaufrufen zu lesen. In den
heutigen Aufrufen sucht man die Forderung nach einem sofortigen [4][Abzug
von Putins Truppen] aus der Ukraine weitgehend vergeblich.
Wer diese Selbstverständlichkeit jedoch ablehnt, der oder die ist nur
vermeintlich friedensbewegt und stellt sich de facto auf die Seite des
Aggressors. Völlig klar, dass das keine Mehrheitsposition in der
Friedensbewegung ist, in der auch weiterhin zahlreiche höchst integre
Menschen aktiv sind. Aber die eigentümliche Ambivalenz etlicher
altgedienter Aktivist:innen im Umgang mit Russland hat dazu geführt,
dass die Ostermarschaufrufe vielerorts so merkwürdig klingen. Das sorgt für
ein Glaubwürdigkeitsproblem.
„Unser Marsch ist eine gute Sache, weil er für eine gute Sache geht“, hei�…
es in dem bekanntesten Ostermarschlied, geschrieben Anfang der 1960er
Jahre. Daran zweifeln heute viele, und das wirkt sich negativ auf die
Teilnehmer:innenzahlen aus. In diesem Jahr dürften es trotzdem wieder
etwas mehr sein, die bis Montag in rund 100 Städten ostermarschieren
werden. Grund dafür ist der [5][Krieg im Gazastreifen]. An zahlreichen
Orten beteiligen sich propalästinensische Aktivist:innen an den
Demonstrationen und Kundgebungen.
## Hamas' Blutbad als legitim bezeichnet
Daran ist zunächst überhaupt nichts auszusetzen, es führt mitunter jedoch
zu höchst problematischen Allianzen. Auffällig ist, dass in nicht wenigen
Ostermarschaufrufen zwar die heftige militärische Reaktion Israels auf das
Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegeißelt wird, der islamistische
Terrorangriff selbst jedoch unerwähnt bleibt. Dass das kein Zufall ist,
zeigt das Beispiel Leipzig. Seit 2008 vergibt dort das Bündnis „[6][Leipzig
gegen Krieg]“ auf dem dortigen Ostermarsch einen Friedenspreis.
In diesem Jahr wurde die propalästinensische Leipziger Gruppe [7][Handala]
auserkoren, eine – vorsichtig formuliert – ungewöhnliche Trägerin eines
Friedenspreises: Handala hält das [8][von der Hamas angerichtete Blutbad]
für einen legitimen antikolonialen Widerstandsakt: „Die unterdrückte
palästinensische Bevölkerung befreite sich aus der Belagerung der
Besatzungsmacht.“
Worte der Trauer über die getöteten Israelis sucht man vergebens. Es
scheint, dass der bei den Ostermärschen formulierte „Minimalkonsens“
mancherorts humanistische Grundstandards nicht mit einschließt. Das ist
fatal. Denn es gibt Trennlinien, die nicht überschritten werden sollten.
29 Mar 2024
## LINKS
[1] /Europa-Rede-von-Bundeskanzler-Scholz/!5877472
[2] /Erhebung-zu-Militaerausgaben/!5977262
[3] /Die-Wahrheit/!5987554
[4] /Krieg-gegen-die-Ukraine/!5992864
[5] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
[6] http://attac-leipzig.de/leipzig-gegen-krieg/material/Flyer_Ostermarsch24_AU…
[7] https://www.lvz.de/lokales/leipzig/umstrittene-gruppe-handala-leipzig-erhae…
[8] /Angriff-auf-Israel/!5963370
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
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Friedensbewegung
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