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# taz.de -- Bahnhof in Wuppertal: Das Wunder am Stinkefluss
> Die Stadt an der Wupper hat nicht den besten Ruf. Dennoch lässt sich dort
> mit einem Klavier im Hauptbahnhof ein kleines Wunder vollbringen.
Bild: Das Klavier ist nicht das Wunder von der Wupper. Aber es gehört dazu!
taz | Viele müssen lachen, wenn sie das Wort Wuppertal hören. Ein Grund
dafür ist, dass es so lustig durch den Mund plätschert. Doch bevor wir hier
mitlachen, müssen wir zuvor durchs Wuppertal der Tränen waten. Damit das
Wunder dann umso schöner strahlen kann.
Die meisten, die über Wuppertal lachen, tun dies aus Hohn und Spott. Man
kennt die Schwebebahn, von der die meisten wissen, dass mal ein Elefant
herausfiel, [1][der Tuffi hieß]. Heute heißt ein Joghurt so. Weiter
assoziiert man: arme, dreckige Stadt am Stinkefluss. Überall Müll, kaputte
Gegenstände, Leerstand. Personen, die am Stadtrand mit Koffern voller Geld
gesehen werden, sind fliehende Investorinnen. Wuppertal hat nicht ein,
sondern ist das großstädtische Imageproblem.
Das Wuppertaler Volk ist ebenfalls kritisch eingestellt. Umfragen ergaben:
Die Stadt ist schlecht für Familien mit Kleinkindern, Radfahrer und
ängstliche Alte. Es ist zu eng hier, durchs Tal quälen sich die Wupper, die
Bahn, die B7 und die Schwebebahn. Wissenschaftler fragten mal nach
„Angsträumen“ und „Unwohlorten“. Das Ergebnis war ein Stadtplan mit Ak…
Der dickste Pickel saß auf dem Hauptbahnhof. Hier führte bis vor Kurzem ein
gut 200 Meter langer niedriger, fieser, nach Urin stinkender
Fußgängertunnel von der Innenstadt unter der B7 durch zum Bahnhof.
Spitzname: Harnröhre.
Und jetzt das Wunder. Ein großer, weißer Saal. Der Fußboden ist weiß mit
grauen Sprenkeln, hochglänzend, man könnte von ihm essen. Statt dicker
Säulen wird das Dach von schlanken, bambusartigen und umeinander gewundenen
Streben getragen, sogenannten Mikadostützen. So was erzeugt eine gewisse
schicke Transparenz, wenn dazu noch Tageslicht von oben einfällt und helles
Kunstlicht von überall her strahlt. Es gibt Bänke und ein Klavier. Daran
sitzt ein älterer Herr, kleine Brille, graue Kappe, Rucksack, und spielt
Blues.
## Für immer für Elise
Was an coole US-Kleinflughäfen erinnert, das ist der Wuppertaler
Hauptbahnhof. Genauer: seine Bahnhofshalle. Leute hasten aus der City zum
Zug oder zum Busbahnhof, besuchen Cafés oder den kleinen Supermarkt, aber
es ist nicht laut hier. Ein kleines Mädchen erfindet eine traurige Melodie,
ein junger Mann kann Tschaikowsky (und wird umringt), ein Schwarzer mit
Rastalocken hat ein schönes Moll-Thema drauf, sein Handy steht dabei auf
dem Notenständer – er macht gleichzeitig einen Videocall. Auffallend oft
bringen Mädchen um die 13 „Für Elise“ zu Gehör.
Das Wunder vom Hauptbahnhof umfasst ein ganzes Quartier, nämlich das Gebiet
zwischen Wupper und den [2][am aufragenden Döppersberg] eingeklemmten
Bahngleisen. Von 2014 bis 2018 wurde es in einer unvergleichlichen und für
Wuppertal eigentlich undenkbaren Anstrengung neu erfunden; dabei wurde die
B7 für ganze drei Jahre gesperrt und um 7 Meter tiefer gelegt. Wo früher
die Menschen unter den Autos hindurchkrochen, flanieren sie heute über eine
als Brücke nicht erkennbare Überbauung. So ist zwischen dem Ende der
Fußgängerzone und dem Eingang zur Bahnhofshalle eine großzügige Promenade
entstanden, fast ein Platz. Ein ziemlich berühmtes Architekturbüro (Chapman
Taylor, London) stellte weithin unübersehbar einen gewaltigen Kubus mit
wellenartig gefalteter Fassade auf. Der mal golden wirkt
(Wow-Architektur!), mal rostig (drinnen sitzt der Textildiscounter
Primark).
## Das Wunder und die anderen
Nun reicht es für ein richtiges Wunder ja leider nicht, Erde zu bewegen,
Häuser hinzustellen und die Eröffnung zu feiern. Denn um auf Dauer einen
Angst- in einen Wohlfühlraum umzuwandeln, muss man ein paar heikle Punkte
ins Auge fassen. Tauben zum Beispiel. Penner. Süchtige. Verrückte. Sprayer.
Müllfallenlasser. Man muss eben auch über Ordnung und Sauberkeit reden.
Die Wuppertaler Politik machte immer wieder Bürgerbefragungen, versammelte
Einzelhändler, den Betreiber eines Cafés für Drogenabhängige, die Polizei,
die Wissenschaft (Uni Wuppertal) und Stadtplaner. Und stellte fest: Es gibt
ein Recht auf Stadt für alle. Sogar für Obdachlose und Junkies. Und es
braucht Polizeistreifen, Videoüberwachung und täglich Putzkolonnen mit
Hochdruckreinigern.
Sechs Jahre nach Eröffnung des neuen „Döppersbergs“, wie der Ort nach ein…
Bürgerbefragung heißt – „Tuffiplatz“ hat es nicht geschafft –, ist es…
noch sauber hier. Sogar am Wupperufer, wo für „Menschen mit dem
Lebensmittelpunkt Straße“ ein begrünter Platz mit Drogenberatungscafé
gebaut wurde. Die Stadt hat es soeben auf die Short-List des
[3][Stiftungspreises „Lebendige Stadt“] geschafft, Kategorie „schönstes
Bahnhofsumfeld“. Mitte April wird der erste Platz verkündet. Geht doch!
25 Mar 2024
## LINKS
[1] /Die-Wahrheit/!5985788
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%B6ppersberg
[3] https://lebendige-stadt.de/web/view.asp?ti=home&sid=56&nid=&cof…
## AUTOREN
Burkhard Straßmann
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