# taz.de -- die ortsbegehung: Was vom Berliner Müll übrig bleibt | |
> Im Müllheizkraftwerk Ruhleben landen angebrochene Milchtüten genauso wie | |
> verschimmelte Kühlschränke. Wie es damit weitergeht und was übrigbleibt. | |
Bild: Plastik, Papier und verschimmelte Milch? Das landet mit hoher Wahrscheinl… | |
BERLIN-RUHLEBEN taz | Mit dem Müll ist es wie mit dem Denken. Da geht es in | |
erster Linie um das Trennen. Deshalb gibt es auf dem Recyclinghof | |
Brunsbütteler Damm im Westen Berlins auch so viele Wannen. Da gibt’s zum | |
Beispiel Kühl- und Gefriergeräte und Laubsäcke, und da gibt’s Sachen, die | |
da reingehören, zum Beispiel ein Kühlschrank oder eben Laub. | |
Und Sachen, die da nicht reingehören, zum Beispiel der verschimmelte Inhalt | |
des Kühlschranks. Wobei der Kühlschrank vielleicht auch nicht reingehört | |
hätte, wenn nicht der eklige Inhalt gewesen wäre. | |
Nur ein paar Kilometer vom Recyclinghof entfernt kommt all das an, was die | |
Berlinerinnen und Berliner nicht mehr getrennt bekommen haben. Ein | |
süßlicher Geruch liegt hier in der Luft. Adresse: Freiheit 24–25. Und | |
Befreiung ist hier auch das Motto. Denn das [1][Müllheizkraftwerk Ruhleben] | |
befreit Berlin [2][von seinem Müll]. | |
## Deine angebrochene Milchtüte kommt nach Ruhleben | |
580.000 Tonnen Restmüll werden hier jährlich verbrannt. Das sind über acht | |
Millionen Kühlschränke oder elfmal die „Titanic“. Dabei ist das nur der | |
Restmüll aus Privathaushalten. Und nicht einmal der ganze. Die übrigen | |
420.000 Tonnen wandern entweder in die [3][mechanisch-physikalische | |
Stabilisierungsanlage in Pankow] (wo sie zu Brennstoff verarbeitet werden) | |
oder zu privaten Unternehmen. | |
Aber wenn du in Berlin deine angebrochene Milchtüte in den Restmüll wirfst, | |
weil irgendwie nicht ganz klar ist, ob Plastik oder Papier, zumal ja noch | |
verschimmelte Milch drin ist, dann landet sie mit hoher Wahrscheinlichkeit | |
in [4][Ruhleben]. | |
Das heißt, natürlich landet sie erst mal in der Tonne vor dem Haus. Dann | |
wird sie in aller Frühe abgeholt. Wahrscheinlich von einem Müllmann, denn | |
bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) sind über 80 Prozent Männer. In einer | |
langen Schlange stehen die Müllabfuhren aus der ganzen Stadt dann mittags | |
vor den Toren zu den Müllgruben. | |
## Eisenkralle über Müllbergen | |
Wenn sie einem Tor zugeordnet worden sind, können sie vorfahren, Hinterteil | |
zuerst. Der Fahrer lässt das Heck herunter, und dann purzelt die Milchtüte, | |
zusammen mit ihren Tütengenossen, in die gigantische Halle. Rundherum Beton | |
und Berge über Berge von Müll. Zwanzig Meter über ihr schwebt dann eine | |
Kralle aus Eisen. Der Kranpilot, oben in seinem Glashaus, hebt immer | |
mehrere Tonnen Müll gleichzeitig weg vom Eingangstor und schließlich in die | |
Luke zum Verbrenner. | |
Durch die dicken, verkratzten Scheiben in einem handgroßen Eisenkasten an | |
der Wand sieht man die Flammen. Hier brennt, was Berlin nicht mehr braucht. | |
Auf Walzenrosten wandert die Milchtüte eineinhalb Stunden lang durch einen | |
von vier über tausend Grad heißen Kesseln. | |
„Schönes Feuerungsbild“, murmelt man in der Zentrale, wenn über die sechz… | |
Tonnen Müll – heißt über 800 Kühlschränke – gleichmäßig rote Flammen | |
züngeln. Die Milchtüte verwandelt sich mit dem meisten Restmüll zu Asche | |
und Glut. Wobei sich das natürlich leicht hätte verhindern lassen, hätte | |
man sie in die gelbe Tonne geworfen. | |
Tag und Nacht brennt es in den Kesseln. Tag und Nacht wird auch Müll | |
nachgeschüttet. Nur einmal im Jahr werden die Kessel einzeln zur Wartung | |
abgeschaltet. Die Hitze erzeugt Wasserdampf, der in großen Rohren über eine | |
Hecke weiter an das Vattenfall-Werk nebenan geleitet wird. Fünf Prozent der | |
Berliner Haushalte werden mit dieser Energie versorgt. Die Erlöse | |
verringern die Abgaben für die Müllabfuhr. | |
Was am Ende der eineinhalb Stunden noch übrig ist, kann nicht mehr auf | |
gefährliche Weise chemisch reagieren. Man dürfte es vergraben, wenn man | |
wollte. Aber jetzt setzt die Trennung doch noch ein. Die ascheartigen Reste | |
werden verwendet, um die Mülldeponien zu formen, die die BSR rund um Berlin | |
schließen und abdichten muss. Davon getrennt wird der Eisenschrott. Und der | |
wiederum in gute und schlechte Metalle unterteilt und verkauft. | |
## Der letzte Rest ist Filterstaub | |
Aber nicht alles ist kreislauftauglich. Unentwegt quillt Rauch aus dem | |
Schornstein, der aus dem Fabrikgelände ragt. Wie viel CO2 im Jahr | |
ausgestoßen werden, wollten weder Vattenfall noch die Berliner | |
Stadtreinigung mitteilen. Früher sind mit diesem Rauch auch noch alle | |
möglichen Giftstoffe in die Atmosphäre gewabert. | |
Seit 1986 wird er allerdings gefiltert. Ganz am Ende der Kette bleibt neben | |
dem unbeliebten CO2 also noch [5][ein Rest, der sich dem Kreislauf | |
widersetzt]. An den Filtern, durch die der Rauch zieht, lagert sich gelber | |
Staub ab. Es sind Giftstoffe. Von 580.000 Tonnen Restmüll bleiben jährlich | |
11.000 Tonnen Filterstaub. | |
Diese 11.000 Tonnen sind die konzentrierte Ausscheidung unserer Hauptstadt. | |
Sie werden in Salzminen in Sachsen-Anhalt vergraben. Jedes Jahr 200 | |
Kühlschränke. | |
30 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Geplante-Muellverbrennung/!5982155 | |
[2] /Berlins-Muell-und-warum-Glas-mit-Klas-heisst/!5967043 | |
[3] https://www.bsr.de/mps-anlagen-22307.php | |
[4] https://www.bsr.de/muellheizkraftwerk-ruhleben-22041.php | |
[5] /Schadstoffe-aus-Muellverbrennung/!5498829 | |
## AUTOREN | |
Hanno Rehlinger | |
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