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# taz.de -- Sahra Wagenknecht über Russland: „Ich traue Putin nicht“
> Sahra Wagenknecht lehnt Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine ab
> und fordert Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten.
Bild: Sahra Wagenknecht trat Ende des Jahres 2023 aus der Linkspartei aus und g…
wochentaz: Frau Wagenknecht, soll der Westen der Ukraine keine Waffen mehr
liefern?
Sahra Wagenknecht: Seit zwei Jahren wird uns erzählt, [1][die nächste
Waffengattung sei der Gamechanger]. In Wahrheit geht nur das Sterben
weiter. Die Ukraine steht jetzt massiv unter Druck, weil ihr die
einsatzfähigen Soldaten ausgehen. Der Westen sollte Russland anbieten,
keine Waffen mehr zu liefern, wenn Russland dafür zu einem Waffenstillstand
und Friedensverhandlungen bereit ist. Das setzt allerdings voraus, [2][dass
auch die Ukraine dazu bereit wäre].
Wie können Sie ausschließen, dass Putin diese Zeit nicht zur Aufrüstung
nutzt, um die Ukraine endgültig zu unterwerfen?
Die Frage ist: Was will Russland? Viel spricht dafür, dass Russland mit
diesem Krieg vor allem einen absehbaren Nato-Beitritt der Ukraine,
inklusive amerikanischer Militärstützpunkte und Raketenbasen, verhindern
wollte. Die Russen wären bei den Verhandlungen in Istanbul im März 2022
dazu bereit gewesen, sich auf die Linien des 24. Februar 2022
zurückzuziehen. Das hat auch der ukrainische Vertreter bestätigt. Das
könnte der anzustrebende Kompromiss sein: Neutralität gegen ein Ende dieses
Krieges.
In Istanbul gab es kein verbindliches Angebot Russlands.
Am Ende wurden die Verhandlungen leider von der Ukraine abgebrochen …
… wegen des russischen Massakers in Butscha …
… das ist die ukrainische Version. Kriegsverbrechen, wie grauenhaft sie
immer sein mögen, sind doch kein Grund, das Bemühen um ein Ende des Krieges
aufzugeben. Der Abbruch der Verhandlungen war auf jeden Fall ein Fehler.
Die Möglichkeit, sich zu einigen, war damals größer als heute. Ob Russland
heute noch bereit wäre, sich auf die Vorkriegslinie zurückzuziehen, ist
fraglich. Die [3][Waffenlieferungen des Westens] haben nicht zur Lösung des
Konflikts beigetragen.
Hätte der Westen keine Waffen geliefert, gäbe es die Ukraine jetzt nicht
mehr.
Das ist Ihre These. Im Frühjahr 2022 gab es eine Chance, den Krieg zu
beenden, wenn man kompromissbereit gewesen wäre. Die Waffenlieferungen
haben erst viel später eingesetzt.
In Ihrem Bild fehlt, dass es einen aggressiven russischen Imperialismus
gibt. Warum?
Es ist verbrecherisch, einen Krieg zu beginnen. Ich verurteile das
zutiefst. Selbst wenn es russische Sicherheitsinteressen gibt, die der
Westen besser beachtet hätte, ist das keine Rechtfertigung. Aber
historische Wahrheit ist auch: Die Nato hat sich nach Osten ausgedehnt,
nicht Russland gen Westen. Viele westliche Experten – auch der CIA-Direktor
William Burns – haben darauf hingewiesen, dass eine Nato-Mitgliedschaft der
Ukraine für Russland eine knallrote Linie war. Man hat es darauf ankommen
lassen. Putin ist ein autokratischer Machthaber. Ich habe keine Sympathie
für ihn. Aber wir müssen versuchen, auch mit solchen Regimen Konflikte
friedlich beizulegen. Ganz besonders, wenn es sich um eine Atommacht
handelt.
Putin sagt selbst, dass Russlands Interessen nicht in der Ukraine enden.
Warum nehmen Sie ihn nicht beim Wort?
Das tue ich. In dem Interview mit Tucker Carlson hat er betont, dass die
Ausdehnung der amerikanischen Einflusszone für ihn das zentrale Problem
ist. Es gab auch im Westen in den 90er-Jahren Warnungen, dass eine
Nato-Osterweiterung die militaristischen, nationalistischen, regressiven
Kräfte in Russland stärken wird. Genau das ist passiert. Wir haben die
große Chance nach dem Ende des Kalten Krieges nicht genutzt und nicht
versucht, mit Russland gemeinsam eine europäische Friedensordnung zu
gestalten. Russland hat sich an den Rand gedrängt gefühlt. Jetzt haben wir
das Ergebnis.
Putin droht dem Westen offen den Einsatz von Atomwaffen an und lässt
politische Gegner ermorden. Warum trauen Sie diesem Mann?
Ich traue ihm nicht. Die USA haben den Taliban auch nicht getraut, und
trotzdem am Ende mit ihnen verhandelt. Es geht um Interessen, nicht um
Vertrauen. Wer Verhandlungen fordert, wird immer als naiv bezeichnet. Aber
jene, die für Waffenlieferungen plädieren, haben keine Antwort darauf, wie
der Krieg beendet werden soll. Wir sollten, [4][wie der Papst] und viele
Länder des globalen Südens fordern, versuchen, beide Seiten an den
Verhandlungstisch zu bekommen. Dort muss es Sicherheitsgarantien für die
Ukraine geben.
In Osteuropa fürchten viele, dass die Ukraine nur der erste Dominostein
war. Woher wissen Sie, dass Russland nicht weitere Länder angreift?
Die russische Armee war nicht in der Lage, Kiew einzunehmen. Dass diese
Armee demnächst Polen überfällt und dann in Berlin einmarschiert, halte ich
für abwegig.
Sie haben auch den Überfall auf die Ukraine für abwegig gehalten.
Das stimmt nicht. Ich habe damals bei Anne Will gesagt, dass die Russen
eine mögliche Nato-Mitgliedschaft im schlimmsten Fall militärisch
verhindern werden. Ich habe nur nicht gedacht, dass das direkt bevorsteht.
Über eine Million Menschen sind vor dem Krieg aus der Ukraine nach
Deutschland geflohen. Sollen die hier bleiben dürfen?
Solange die Menschen dort in Lebensgefahr sind, ja. Es sind auch 600.000
junge Männer aus der Ukraine in die EU geflohen, damit sie nicht eingezogen
werden, rund ein Drittel davon nach Deutschland. Natürlich dürfen wir sie
nicht zurückschicken, solange dort der Krieg tobt. Wir würden sie ja
möglicherweise in den Tod schicken.
Und wenn der Krieg vorbei ist?
Wenn die Waffen schweigen, sollten die Menschen selbstverständlich
zurückgehen. Die Ukraine braucht sie, wenn das Land wieder aufgebaut werden
soll.
Wir können sie auch gut gebrauchen. Experten schätzen, dass die deutsche
Wirtschaft jährlich bis zu 500.000 Einwanderer braucht. Besonders der
Mittelstand leidet unter dem Fachkräftemangel.
Wir müssen erst einmal den jungen Menschen hier eine Chance geben. Noch nie
haben so viele die Schule ohne Abschluss verlassen oder keine Ausbildung
erhalten. Aber ausgerechnet da wird gekürzt. Wir sollten den Numerus
Clausus für das Medizinstudium senken, damit mehr junge Leute Medizin
studieren können. Und wir müssen mehr junge Menschen dafür gewinnen,
naturwissenschaftlich-technische Studiengänge zu belegen. Auch junge Frauen
sind da unterrepräsentiert. Das wäre besser, als die halbe Welt zu uns zu
holen.
Das wird wegen der demografischen Entwicklung nicht reichen.
Und deshalb sollen wir ärmeren Ländern ihre Fachkräfte abwerben? Inzwischen
haben wir ja viele Ärzte aus Syrien oder aus afrikanischen Ländern. Dass
wir als reiches Land unsere Spezialisten von armen Ländern ausbilden lassen
und dann noch so tun, als sei das eine humanitäre Geste, wie zynisch ist
das denn? Und zum viel beschworenen demografischen Problem: Zurzeit haben
wir noch keines. Wir haben in Deutschland aktuell mehr
sozialversicherungspflichtige Beschäftigte als je zuvor.
Auch wegen der Zuwanderung.
Ja, vor allem die Arbeitsmigration in der EU zahlt hier ein. Aber immer
mehr gehen auch weg. Es gibt im Saarland viele Pflegekräfte, die in
Luxemburg arbeiten, weil man da viel besser verdient als in Deutschland.
Die Frage ist: Holen wir Pflegekräfte von den Philippinen, um sie hier zu
sehr schlechten Löhnen zu beschäftigen? Oder verbessern wir die
Bedingungen, damit mehr Leute hierzulande diesen Beruf machen möchten?
Letzteres halte ich für besser.
Sie meinen, wir brauchen keine Zuwanderung?
In einer offenen Gesellschaft gibt es immer Zu- und Abwanderung. Es geht um
die Größenordnung und die Frage, ob Integration gelingt. Wir haben zurzeit
eine Situation der Überforderung. Es fehlen Kitaplätze, es fehlen Lehrer,
es fehlen Wohnungen. Solange wir es nicht mal schaffen, für die Menschen,
die jetzt da sind, eine ausreichende Infrastruktur zu gewährleisten, kann
man nicht ernsthaft sagen, wir nehmen immer noch mehr Menschen auf.
Sie setzen auf Abschottung.
Unser Asylrecht ist dysfunktional. Jeder, der es irgendwie nach Europa
schafft, kann faktisch bleiben, egal ob er schutzbedürftig ist oder nicht.
Wer sich die Schleuser nicht leisten kann oder zu schwach für die
gefährliche Route ist, hat keine Chance auf Schutz. Ich bin für faire
Asylverfahren in Drittstaaten oder an den EU-Außengrenzen, und für
Kontingentlösungen, mit denen man Menschen direkt aus Flüchtlingslagern
aufnimmt. Erst dann gibt es nicht mehr diesen Sog, der das
Milliardengeschäft der Schleuser am Laufen hält.
Sie fordern: Geflüchtete, die keinen Schutzstatus haben, sollen auch keine
Sozialleistungen erhalten. Sollen die Menschen verhungern?
Wer aus Polen nach Deutschland kommt, hat auch keinen Anspruch auf
Bürgergeld. Mit welcher Begründung sollen abgelehnte Asylbewerber
Sozialleistungen beziehen?
Die Ampel hat die Asylpolitik verschärft, mehr Abschiebungen angekündigt,
Grenzkontrollen und eine Bezahlkarte für Flüchtlinge eingeführt. Reicht
Ihnen das nicht?
Man kann nicht 100.000 Leute abschieben, das ist völlig absurd. Deshalb
muss man die Anreize reduzieren. Wir können nicht die Armut der Welt durch
Migration bekämpfen.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht mit Blick auf
Russland manches ähnlich wie Sie. Ist in Sachsen eine Koalition mit der CDU
möglich?
[5][In der einen Frage stimmen wir überein, in vielen anderen Fragen
nicht]. Wir wollen möglichst [6][stark in die Landtage im Osten einziehen]
und werden dann mit vielen Parteien Gespräche führen.
Schließen Sie Koalitionen mit der AfD aus?
Selbstverständlich.
16 Mar 2024
## LINKS
[1] /Bundestagsstreit-um-den-Taurus/!5994914
[2] /Der-Westen-Russland-die-Ukraine/!5979717
[3] /Krieg-in-der-Ukraine/!5976703
[4] /Ukraine-solle-weisse-Fahne-hissen/!5994630
[5] /Wagenknecht-Partei-gegruendet/!5982170
[6] /Landtagswahlen-in-Ostdeutschland/!5989363
## AUTOREN
Daniel Bax
Stefan Reinecke
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