| # taz.de -- Sächsischer BSW-Chef über seine Partei: „Habe lange Grüne gew�… | |
| > Jörg Scheibe ist BSW-Chef in Sachsen. Der Ingenieur ist neu in der | |
| > Politik. Ein Gespräch über die Ziele seiner Partei und Schnittmengen mit | |
| > der CDU. | |
| Bild: Dresden, 18. Mai 2024: Jörg Scheibe übergibt auf dem sächsischen Lande… | |
| taz: Herr Scheibe, Sie sind seit drei Monaten Parteichef des Bündnisses | |
| Sahra Wagenknecht in Sachsen und jetzt Spitzenkandidat für die Landtagswahl | |
| im September. Wollen Sie ein richtiger Politiker werden? | |
| Jörg Scheibe: Ja. Als Landtagsabgeordneter werde ich ein richtiger, | |
| hauptamtlicher Politiker sein. | |
| Und Ihre Firma? | |
| In meiner Firma bin ich Gesellschafter und Geschäftsführer. Da werde ich | |
| mich dann rausziehen, das geht nicht anders. Ich habe schon einen | |
| Prokuristen, den werde ich dann zum Geschäftsführer machen. Außerdem habe | |
| ich eine Professur an der Akademie in Glauchau und bin damit im | |
| öffentlichen Dienst beschäftigt. Wenn ich als Abgeordneter ein politisches | |
| Amt übernehme, werde ich für diese Zeit freigestellt. | |
| Politik ist ein Handwerk. Beherrschen Sie das schon? | |
| Vor einem halben Jahr habe ich damit noch nichts zu tun gehabt. Aber ich | |
| sehe das als neue Herausforderung. Und ich habe mal gelesen, dass Noah auch | |
| ein Anfänger war, als er die Arche gezimmert hat. Die „Titanic“ dagegen | |
| wurde von Profis gebaut (lacht). | |
| Sind beim BSW in Sachsen viele Politneulinge wie Sie mit an Bord? | |
| Wir haben eine gute Mischung aus Leuten, die schon mal in anderen Parteien | |
| waren oder in einem Parlament gesessen haben und wissen, wie das läuft. Für | |
| mich ist das neu. Aber ich fühle mich in der Lage, mich da einzuarbeiten. | |
| Ich habe dennoch Respekt vor dieser Aufgabe: Man steht viel mehr in der | |
| Öffentlichkeit, und so viele Interviewanfragen wie in letzter Zeit hatte | |
| ich noch nie. | |
| Waren Sie schon mal in einer Partei? | |
| Ich war einmal, 1988, ganz kurz in der SED und bin dann kurz vor der Wende | |
| wieder ausgetreten. Seitdem habe ich mich eigentlich nicht mehr politisch | |
| engagiert. | |
| Wo lagen bisher Ihre politischen Präferenzen? | |
| Ich habe viele Jahre lang die Grünen gewählt, aus ökologischer Überzeugung. | |
| Mittlerweile sind sie für mich nur noch die Olivgrünen, wegen ihrer Haltung | |
| zum Militär. Und das, was sie jetzt an Regierung machen, ist eine | |
| Katastrophe. | |
| Inwiefern? | |
| Ich bin sehr für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft, um den | |
| CO₂-Ausstoß drastisch zu verringern und das Klima zu schützen. Aber das | |
| muss man mit der Bevölkerung machen, nicht gegen sie. Vor der letzten | |
| Bundestagswahl hatte ich den Eindruck, dass es in der Bevölkerung einen | |
| breiten Konsens gibt, dass man mehr für den Klimaschutz tun muss. Aber für | |
| die meisten Menschen ist das jetzt ein rotes Tuch. Das geht so weit, dass | |
| manche den Klimawandel ganz anzweifeln. Bestimmte Parteien befeuern das ja. | |
| Sie nicht? | |
| Nein. Der Klimawandel, den wir jetzt erleben, wird ganz wesentlich durch | |
| unsere Emissionen verursacht. Als Unternehmer habe ich berufsbedingt viel | |
| mit dem Thema zu tun, und damit aber leider auch mit solchen Dingen wie dem | |
| [1][schlecht gemachten Gebäudeenergiegesetz.] Meinen Auftraggebern muss ich | |
| erklären, was geht und was nicht. Und meinen Studenten an der Akademie muss | |
| ich erklären, was gilt. Ich muss meine Vorlesungen deshalb fast jedes Jahr | |
| komplett überarbeiten. | |
| Welche Maßnahmen wären denn Ihrer Meinung nach sinnvoll? | |
| Es ist ganz klar, dass wir auf erneuerbare Energien umstellen müssen, um | |
| irgendwann CO₂-frei zu werden. Bis vor wenigen Jahren, also bis zum | |
| Ukrainekrieg, galt Erdgas als sinnvolle Brückentechnologie, denn von den | |
| fossilen Energieträgern ist es der sauberste. Jetzt wurde politisch | |
| entschieden: kein Gas mehr aus Russland. Aber es wird mindestens 15 bis 20 | |
| Jahre dauern, bis wir auf fossile Energiequellen verzichten können, und als | |
| Hochindustrieland können wir nicht sagen, dann sitzen wir bis dahin eben im | |
| Kalten und heizen nicht mehr. Deshalb sollten wir weiter Erdgas aus | |
| Russland beziehen. | |
| Das sieht Sachsens [2][CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer] ähnlich. | |
| Könnten Sie sich eine Koalition mit ihm vorstellen? | |
| Wir werden nicht der Steigbügelhalter für Herrn Kretschmer sein, damit er | |
| weiter regieren kann. Aber was wir an Inhalten durchsetzen können, hängt | |
| davon ab, wie gut wir abschneiden, und ob die Linke, die Grünen und die SPD | |
| in den Landtag kommen. Wenn man den Prognosen trauen kann, könnten wir | |
| drittstärkste Partei werden. Aber Prognosen sind bekanntlich schwierig – | |
| vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. | |
| Wo sehen Sie die größten Schnittmengen mit der CDU in Sachsen? | |
| Wir haben mehrere Schnittmengen, etwa in der Migrationspolitik, oder beim | |
| Thema Russland. Michael Kretschmer setzt sich ja für eine | |
| Verhandlungslösung mit Russland ein und ist dafür, die zerstörte Pipeline | |
| Nord Stream 1 wieder in Betrieb zu nehmen. Das fordern wir auch. Michael | |
| Kretschmer steht in seiner Partei damit aber ziemlich allein da. | |
| Haben Sie schon mal mit ihm gesprochen? | |
| Wir haben uns schon mal unterhalten. Ich kenne den Ministerpräsidenten aus | |
| meiner beruflichen Tätigkeit: Er hat sich für das Kälte-Kompetenz-Zentrum | |
| Reichenbach im Vogtland eingesetzt, an dem die Berufsakademie Glauchau | |
| beteiligt ist, an der ich lehre. Offizielle Gespräche gab es aber noch | |
| nicht. | |
| Welches Thema wäre Ihnen in Koalitionsverhandlungen am wichtigsten? | |
| Das [3][Thema Frieden.] Da sind unsere Möglichkeiten in Sachsen zwar | |
| begrenzt, aber über den Bundesrat könnten wir schon etwas anstoßen. Die | |
| Migration zu begrenzen ist ebenfalls wichtig, weil das Thema vielen | |
| Menschen auf den Nägeln brennt. Meine Heimatstadt Chemnitz ist sicher kein | |
| Hotspot der Kriminalität. Aber ich höre von vielen, dass sie Angst haben, | |
| abends in die Stadt zu gehen, weil da halt immer mal wieder etwas passiert. | |
| Man muss offen darüber reden, dass die Täter oft Flüchtlinge sind. | |
| Wird das nicht sehr häufig gesagt? | |
| Man kann natürlich nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm scheren: in | |
| meiner Firma arbeitet ein Syrer, der lebt mit seiner Familie hier, hat | |
| jetzt promoviert und verdient einen ordentlichen Lohn. Aber es gibt eben | |
| auch eine große Zahl an unbegleiteten Jugendlichen, die zu uns gekommen | |
| sind. Das sind alles junge Männer, und die machen ab und zu Probleme. Das | |
| wäre auch nicht anders, wenn das eine Gruppe junger deutscher Männer in | |
| einem anderen Land wäre. Da passieren halt Dinge, die sind nicht immer | |
| schön. Darauf muss die Politik reagieren, und die Polizei muss an manchen | |
| Orten mehr Präsenz zeigen. | |
| In Ihrem Wahlprogramm steht, dass Sie ausländische Fachkräfte gewinnen | |
| möchten. Wie kommt das? | |
| Wir brauchen ausländische Fachkräfte. Die USA machen das ja vor: Die werben | |
| weltweit Fachkräfte ab. Nicht umsonst haben sie so viele Nobelpreisträger. | |
| Die kommen aus aller Welt, aber leben und arbeiten in den USA. | |
| Die Bundespartei ist bei dem Thema zurückhaltender. | |
| Das ist ja auch ein zweischneidiges Schwert: Wenn wir hier Fachkräfte | |
| anwerben, dann fehlen die in ihren Ländern. Bei uns in Sachsen kommen viele | |
| Ärzte aus Osteuropa, aus Polen oder Ungarn. Man kann es ihnen nicht | |
| verübeln, dass sie hier eine Praxis eröffnen, weil ihre Ausbildung hier | |
| sofort anerkannt wird und sie hier ein höheres Einkommen erzielen. Aber in | |
| Ungarn fehlen massenhaft Ärzte, das ist dort ein riesiges Problem. Das kann | |
| daher nicht der richtige Weg sein. | |
| Sondern? | |
| Diese Menschen sind ja in ihren Ländern ausgebildet worden, und so eine | |
| Ausbildung zum Mediziner kostet richtig viel Geld. Wenn man sagt, wir | |
| werben von dort Fachkräfte an, müssten wir zumindest so fair sein, diesem | |
| Land die Ausbildungskosten erstatten. | |
| Das steht so nicht in Ihrem Programm. | |
| Dafür würde ich mich einsetzen. | |
| Auch in der Landesregierung? Sie könnten sogar Minister werden. | |
| Eine Regierungsbeteiligung liegt durchaus im Bereich des Möglichen, das | |
| stimmt. Aber jetzt müssen wir erst einmal einen ordentlichen Wahlkampf | |
| machen: erst für die Kommunalwahlen, dann für die Europawahl im Juni und | |
| dann für den Landtag im Herbst. Und dann sehen wir, mit wie viel Prozent | |
| und wie vielen Abgeordneten wir in den Landtag kommen und was sich daraus | |
| ergibt. Uns kommt es auf Inhalte an. | |
| 20 May 2024 | |
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