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# taz.de -- Bündnis Sahra Wagenknecht: Ein Traum von gestern
> Im Eiltempo nickt das BSW in Sachsen sein Wahlprogramm und seine
> Kandidatenliste ab. Die neue Partei ist zackig organisiert – und
> ambitioniert.
Bild: Sahra Wagenknecht, BSW-Bundesvorsitzende, spricht auf dem Landesparteitag…
Dresden taz | Es geht schnell. Um kurz nach 11 Uhr heben die 52 anwesenden
Mitglieder des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Sachsen die Hand. Eine
Enthaltung. Es hat nur eine gute halbe Stunde gedauert, das erste
Landeswahlprogramm der neuen Wagenknecht-Partei zu verabschieden. Es gibt
nur einen einzigen inhaltlichen Änderungsantrag: Ein Lehrer findet, dass
Inklusion in der Schule in dem 49 Seiten starken Programm zu kurz komme. Er
wird abgelehnt. Keine Änderung, keine Debatte. Es geht zackig zu. „Das
Wahlprogramm ist perfekt“, sagt Ingolf Huhn, ein Opernregisseur, der im
Vogtland ein Theaterfestival leitet und für das BSW für den Landtag
kandidiert.
Alles geht so schnell, dass man an diesem Samstagvormittag eine halbe
Stunde zu früh fertig ist. Das passiert auf Parteitagen eigentlich nie.
Dann kommt auch noch Sahra Wagenknecht zu spät. Stau. Rammstein geben in
diesen Tagen in Dresden vier Konzerte hintereinander, der Schlagersänger
Matthias Reim ist ebenfalls in der Region, ein Dixielandfestival findet
statt, und Dynamo hat am Samstagnachmittag gegen Duisburg ein Heimspiel: So
viel ist in Dresden selten auf einmal los.
Im Vergleich dazu geht es beim ersten Landesparteitag des BSW im
Tagungsraum einer Werft an der Elbe recht familiär zu. Neben den 52
Mitgliedern haben sich noch etwas mehr als zwei Dutzend Journalisten in dem
kleinen Saal eingefunden, der durch große Dachschrägen erhellt wird.
Christian Leye, MdB und früher Büroleiter von Wagenknecht, springt ein,
solange die Chefin fehlt, und hält eine spontane Rede. Alles ist ja
eigentlich neu, improvisiert. „Unsere Mitarbeiter“ so Leye über BSW,
„passen ja in zwei Taxis“. Der Charme des Neuen. Aber zackig organisiert.
Dann ist erstmal Mittagspause.
[1][Insgesamt hat das BSW in Sachsen bisher nur 65 Mitglieder]. Manche
hatten mit Politik nie viel am Hut. Andere, wie Sabine Zimmermann, eine
Gewerkschaftsfunktionärin, die bis vor drei Jahren 16 Jahre lang für die
Linkspartei im Bundestag saß, sind Profis. „Frieden schaffen ohne Waffen“
steht auf dem Plakat hinter dem Rednerpult. Frieden ist der Refrain, der
fast alle Beiträge durchzieht. Und alle eint. Man ist für Frieden, die
anderen sind für Krieg. Spitzenkandidatin Zimmermann malt als Erstes den
Dritten Weltkrieg an die Wand und bezichtigt SPD und Grüne, FDP und Union
der „Kriegstreiberei“. Weil Deutschland Waffen an die Ukraine liefert.
Zimmermann beschwört immer wieder den „gesunden Menschenverstand“, der den
Eliten fehle. Thomas Geisel, Ex-SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf und
Spitzenkandidat für die Europawahl, wettert gegen „die unsinnigen
Sanktionen gegen Russland“.
## Betont wirtschaftsfreundlicher Sound
Das Programm für die Landtagswahl fordert Verhandlungen mit Putin, (ohne
die Frage zu stellen, ob der das will) und will keine Rüstungsunternehmen
in Sachsen. Straffällige Ausländer sollen schneller abgeschoben werden,
mehr Polizei auf der Straße für Sicherheit sorgen. Integration ja,
unkontrollierte Migration nein, so die Formel. Offen ist man in Sachsen
indes, anders, als es Wagenknecht sagt, für die Anwerbung von Fachkräften.
Das passt zu dem betont wirtschaftsfreundlichen Sound des Programms.
Außerdem soll es, wir sind in Sachsen, „für begrenzte Zeit eine Möglichkeit
der Förderung Ostdeutscher im öffentlichen Dienst“ geben. All das passt in
Sachsen am ehesten zur CDU. BSW redet ganz ernsthaft über eine Koalition
mit der CDU im Herbst. Eine recht kühne Vision für eine Partei, die erst
wenige Monate existiert.
Sahra Wagenknecht kommt als Letzte und geht als Erste. Nach der
Mittagspause hat sie ihren Auftritt, es ist der Höhepunkt des Parteitags.
Mit großem Applaus wird sie begrüßt, nach ihrer Rede mit Ovationen bedacht.
Dabei spult sie ihr Programm routiniert herunter. Zunächst lobt sie die
Delegierten dafür, dass sie den „Zeitplan übererfüllt“ hätten, und ihre
Kandidaten für die Europawahl und in Sachsen: „So viele gute Leute“. Und:
Über 100 000 Plakate habe man gedruckt, viel mehr Unterschriften gesammelt
als erwartet, die Stimmung in ihrer Partei sei großartig: „So ein
Engagement, so viel Hoffnung, so viel Erwartung“, schwärmt sie.
Nach diesem Selbstlob schaltet sie routiniert wieder in jene
Weltuntergangsstimmung, mit der sie gerne die gesellschaftliche
Großwetterlage beschreibt. Deutschland habe die schlechteste Regierung
aller Zeiten, die mehr Probleme schaffe, statt sie zu lösen. Sie kenne die
Probleme der „einfachen Menschen“ nicht, ihre Politik sei „weltfremd“ u…
„undurchdacht“ und treibe die Menschen damit in Empörung und Wut und direkt
der Rechten in die Arme.
Als Symbol grüner Abgehobenheit genügen die Stichworte
„Hafermilch-Macchiato“, „Lastenrad“ und „Elektroauto als Zweitwagen�…
der hundertste Seitenhieb auf den Renten-Irrtum der Grünen-Vorsitzenden
Ricarda Lang, die die Durchschnittsrente einmal auf 2000 € geschätzt hat:
eine Steilvorlage für Grünen-Gegner wie Wagenknecht. CDU-Chef Friedrich
Merz dagegen wird unter „Renten-Kürzungen“ und „Taurus-Lieferungen“
abgeheftet. [2][Zweimal habe Deutschland einen Krieg nach Russland
getragen, warnt Wagenknecht]. Das dürfe sich nicht wiederholen, so der
wenig subtile Subtext. „Das BSW ist die einzige Friedenspartei“, sagt sie
unter Applaus, im Gegensatz zu den „Waffennarren“ bei Union und Grünen.
Wir sind die Rettung, so lautet die populistische Erzählung von Sahra
Wagenknecht. Während Baerbock mit erhobenen Zeigefinger den
„Moralweltmeister“ gebe, wolle sie, „dass unser Land als Stimme der
Diplomatie wieder geachtet wird“.
## Mit Kretschmer regieren?
Sahra Wagenknecht geißelt die E-Autos als grünen Fetisch, Deutschland solle
lieber weiter Verbrenner bauen. Computer? Haben in der Grundschulen nichts
verloren. Manches wirkt Retro, ein Traum von einem besseren Früher, in dem
der gesunde Menschenverstand noch regierte. Weil in manchen Vierteln der
Republik die Hälfte der Kinder kein Deutsch könnten, fordert BSW einen
verpflichtenden Deutschtest für Dreijährige. Wer den nicht bestehe, für den
müsse der Kita-Besuch zur Pflicht werden. Diese Forderungen stehen so im
sächsischen Landeswahlprogramm – genauso wie der Ruf nach einem
Corona-Untersuchungsausschuss, zu dem man Karl Lauterbach vorladen möchte.
Das will das BSW über den Bundesrat erreichen, sollte es in Sachsen
regieren.
Die Aussichten dafür sind nicht so schlecht – und dem BSW könnte sogar eine
Schlüsselrolle als Königsmacher der regierenden CDU zufallen. Mit
Kretschmer regieren? In Dresden findet man das gar nicht schlecht.
Das sind bemerkenswerte Töne für eine Partei, in der Linkspartei-Aussteiger
den Ton angeben. Einer von ihnen ist Thomas Kachel, Mitglied im
Landesvorstand, er war 32 Jahre in der Linkspartei. Der Lehrer aus Leipzig
schätzt, dass ungefähr 20 Prozent aus der Linkspartei kommen. Er selbst hat
den GenossInnen den Rücken gekehrt, weil ihm „wokeness und Jugendwahn“ auf
die Nerven gingen. BSW sei zwar klein, aber hier sei die soziale Mitte
repräsentiert. Kachel hat an dem Programm mitgearbeitet. „Das hier ist kein
Ableger der Linken“, behauptet er. Das Meinungsbild sei „gescheckt“, so
Kachel zur taz. Altlinke wie er würden auch gehört, aber nicht dominieren.
Auf der Liste für den Landtag stehen Rechtsanwältinnen, Sozialpädagogen und
Polizisten: ein Querschnitt der Gesellschaft und der Regionen des
Freistaats, darauf hat der Landesvorstand bei der Auswahl Wert gelegt. Auf
den ersten zehn Plätzen kandidieren allerdings zur Hälfte Leute, die in der
Linkspartei aktiv waren, als Kommunalpolitiker oder im Bundestag. Drei von
ihnen sitzen auch im Vorstand des Landesverbands.
Die andere Hälfte besteht aus Quereinsteigern wie dem Co-Landesvorsitzenden
Jörg Scheibe, einem 61-jährigen Ingenieur, der in Chemnitz ein Unternehmen
leitet und an einer Studienakademie im sächsischen Glauchau Versorgungs-
und Umwelttechnik lehrt. Oder Doreen Voigt, einer schüchternen
Sozialpädagogin aus Leipzig, die auf Platz drei steht. Die 40-Jährige
arbeitet als Referentin beim Paritätischen Wohlfahrtsverband und war „schon
immer Fan von Sahra“, wie sie gesteht. Ronny Kupke auf Platz vier, der bei
der AOK Sachsen arbeitet und zuvor nie politisch aktiv war. Sollte das BSW
in den Landtag einziehen, ist ihnen ihr Sitz ziemlich sicher.
In Umfragen liegt das BSW in Sachsen derzeit knapp über zehn Prozent. Doch
das ist virtuell. Manche sorgen sich, dass der Wagenknecht-Partei am 9.
Juni bei der Europawahl eine harte Landung auf dem Boden der Realität
droht. Für die eigene Klientel sei Europa weit weg. Christian Leye, einer
der Organisatoren des Parteiaufbaus im Bund, sagt, dass die Europawahlen
und [3][die Wahlen im Osten im Herbst] „nicht so eng verknüpft“ seien.
Für die Landtagswahl macht die Parteichefin jedenfalls Mut: „Dieses
Bundesland braucht einen Neubeginn und BSW“, sagt Sahra Wagenknecht. Man
sei zum Erfolg verpflichtet, sagt sie, und verspricht: „Auch Sachsen wird
nach der Landtagswahl ein anderes und besseres Bundesland sein als vorher.“
Das sind forsche, selbstbewusste Töne.
18 May 2024
## LINKS
[1] /Buendnis-Sahra-Wagenknecht-in-Sachsen/!5997073
[2] /Sahra-Wagenknecht-ueber-Russland/!5996031
[3] /Landtagswahlen-in-Ostdeutschland/!5989363
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Daniel Bax
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