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# taz.de -- Gedenken an „Fabrikaktion“ in Berlin: Protest vor den Augen der…
> Am 27. Februar 1943 wurden in Berlin tausende Jüdinnen und Juden
> inhaftiert. Nichtjüdische Ehepartner protestierten gegen ihre
> Deportation. Am Ende wurden sie freigelassen.
Bild: In der Rosenstraße erinnert eine Skulptur an den Protest gegen die „Fa…
Berlin taz | Fred Heyman, ein freundlicher schmaler Herr mit schneeweißem
Haar, zählt zu den letzten lebenden Zeugen der Ereignisse vom 27. Februar
1943. Damals hieß er Manfred Heymann und lebte mit Mutter und Vater in
Berlin in der Nähe des Kurfürstendamms. Seine Mutter kam aus einem
christlichen Elternhaus, sein Vater war Jude. Den Nazis galt der 1929
geborene Manfred deshalb als „Geltungsjude“, der den Stern tragen musste.
Ab 1942 durfte er keine Schule mehr besuchen. Fred Heymann erinnert sich
vor einigen Jahren: „Mein Vater wurde an einem Samstagmorgen verhaftet und
in der Rosenstraße inhaftiert, wohin man alle Angehörigen von ‚Mischehen‘
gebracht hatte. Meine Mutter sagte: ‚Der Vater kommt nicht von der
Zwangsarbeit nach Hause.‘ Sie schmierte einige Brote, weil sie richtig
vermutete, dass er dort, wo er gefangen gehalten wurde, nichts zu essen
bekam.“
Die erwachsenen Berliner Jüdinnen und Juden mussten Zwangsarbeit leisten,
darunter auch diejenigen, die mit einem christlichen Partner verheiratet
waren. Das geschah meistens in der Rüstungsindustrie. „Jüdische
Beschäftigte sind von der übrigen Gefolgschaft getrennt zu halten“,
bestimmte die „Verordnung über die Beschäftigung von Juden“ vom Oktober
1941. Darin heißt es in Paragraf 1: „Der Jude kann als Artfremder nicht
Mitglied einer deutschen Betriebsgemeinschaft sein.“ Der Lohn war karg,
jegliche Leistungen wie Nacht- oder Kinderzulagen sowie Urlaube waren für
Juden gestrichen.
Die Deportationen aus dem Reich hatten im Herbst 1941 begonnen. Tausende
Berlinerinnen und Berliner waren schon in den Osten verschleppt worden, die
allermeisten von ihnen wurden ermordet. Die etwa 15.000 jüdischen
Zwangsarbeiter in den Fabriken blieben ausgenommen. Sie, die zur Wehrmacht
eingezogene Männer ersetzten, galten als unverzichtbar, solange nicht
genügend ausländische Zwangsarbeiter zur Verfügung standen.
## Jüdische Zwangsarbeiter sollten ermordet werden
Ende Februar 1943 war es so weit. Nun sollten auch die jüdischen
Fabrikarbeiter deportiert und ermordet werden. Um zu verhindern, dass viele
von ihnen in letzter Minute untertauchen konnten, organisierte die Gestapo
zusammen mit der Waffen-SS deren Festnahme im ganzen Reich noch am
Arbeitsplatz. Manche Verfolgte, leicht erkennbar am „Judenstern“, wurden
aber auch einfach auf der Straße ergriffen.
Dabei kamen in Berlin auch etwa 2.000 Frauen und Männer in Haft, die in
einer „Mischehe“ genannten Beziehung zu einem nichtjüdischen Partner
standen. Sie wurden in der Rosenstraße in Mitte im früheren Wohlfahrtsamt
der Jüdischen Gemeinde eingesperrt.
Fred Heyman erinnert sich: „Wir verließen unsere Wohnung und gingen zur
Rosenstraße.“ Aber was dort geschah, weiß der in den USA lebende Heyman
nicht mehr. Er meint: „Ich muss dort traumatisiert worden sein, denn ich
habe keinerlei Erinnerung mehr an das, was dort passierte. Ich weiß nur,
dass ich dort gewesen bin.“
Die mit den Inhaftierten verheirateten nichtjüdischen Frauen und Männer
mussten befürchten, dass ihre von den Nazis als „arisch Versippte“
gebrandmarkten Partner wie fast alle anderen Juden auch in den Osten
deportiert werden. Einige der Ehepartner fanden, so wie Manfred Heymanns
Mutter, den Haftort Rosenstraße heraus und machten sich auf dem Weg
dorthin. Und, unerhört im Nazi-Reich, protestierten dort tagelang für die
Freilassung von Juden.
## Freilassung nach Protesten
Der Rosenstraßen-Protest gilt als die größte spontane Protestdemonstration
in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus. Die Angaben über
die Zahl der Demonstranten differieren allerdings erheblich. Während in
einigen Berichten von bis zu 6.000 Menschen die Rede ist, heißt es in
anderen, lediglich 150 Personen hätten sich an manchen Tagen an den
Protesten beteiligt.
Mehrfach versuchte die Gestapo offenbar, die Proteste zu beenden.
„Zerstreuen Sie sich! Gehen Sie auf die andere Seite!“, hätten Polizisten
mehrfach verlangt, heißt es in einem Augenzeugenbericht. Auf den Einsatz
von Schusswaffen gegen die Zivilisten, darunter viele Frauen, verzichtete
die Polizei.
Nach einigen Tagen wurden die Inhaftierten nach und nach freigelassen und
durften zu ihren Familienangehörigen zurückkehren. Sie waren physisch wie
psychisch nach der Haftzeit in dem völlig überfüllten Gebäude, ohne
Waschmöglichkeiten, am Ende. Auch Manfed Heymanns Vater konnte endlich nach
Hause in die Bayreuther Straße gehen. Die Ereignisse in der Rosenstraße
aber blieben die einzigen größeren Proteste gegen die Juden-Deportationen
im ganzen Deutschen Reich.
Die etwa 7.000 am 27. Februar 1943 festgenommenen Jüdinnen und Juden ohne
christliche Ehepartner wurden dagegen fast ohne Ausnahme nach Auschwitz
deportiert und dort ermordet. Für sie protestierte niemand.
## Tausende konnten vorher noch untertauchen
Für die Nazis war die „Fabrikaktion“ dennoch ein Fehlschlag. Denn schon
Tage vor den Massenfestnahmen waren Gerüchte darüber unter den Verfolgten
herumgegangen.
So kam es, dass Ende Februar Tausende Jüdinnen und Juden in den Untergrund
gingen. In Auschwitz stellte man fest, dass 4.000 weniger als angekündigt
eingeliefert wurden. Propagandaminister Joseph Goebbels schäumte in seinem
Tagebuch: „Dass die Juden an einem Tag verhaftet werden sollten, hat sich
als Schlag ins Wasser herausgestellt.“ Weniger als die Hälfte der
Untergetauchten überlebten die Nazizeit.
Die mutigen Proteste vor der Rosenstraße blieben lange vergessen. Seit 1988
gedenken Juden wie Nichtjuden des 27. Februars 1943, so wie auch an diesem
Dienstagnachmittag. Es ist keine Großveranstaltung, die am Mahnmal in der
Großen Hamburger Straße in Mitte beginnt, dort wo die Gestapo in einem zum
Gefängnis umgebauten jüdischen Altersheim die Deportationsopfer
zusammenpferchte, bevor sie einen Zug besteigen mussten. Es geht in einem
Schweigemarsch zur nahen Rosenstraße, wo weiße Rosen auf die Skulptur
gelegt werden, die an den 27. Februar 1943 erinnert. Eine Rabbinerin
spricht das Kaddisch.
## Proteste wohl nicht die Ursache der Freilassung
Lange ist die Freilassung der jüdischen Ehepartner als ein Resultat der
Proteste gewertet worden. Auch manche Dokumentationen basieren auf dieser
These, ebenso wie Margarethe von Trottas gleichnamiger Film von 2003. Der
Historiker Wolf Guner hat schon 2002 klären können, dass diese These nicht
zu halten ist.
Tatsächlich legten die Richtlinien des SS-Reichssicherheitshauptamts vom
20. Februar 1943 fest, dass „in deutsch-jüdischer Mischehe lebende Juden“
nicht zu deportieren seien. Dies entsprach der generellen NS-Politik im
Reich, die bestimmte, dass in „Mischehe“ lebende Juden von der
Verschleppung auszunehmen seien, offenbar, um Unruhe bei den Ehepartnern zu
vermeiden.
Anders als vermutet wich die SS mit der Massenfestnahme in der Rosenstraße
nicht von dieser Direktive ab. Gruner geht davon aus, dass damit zum einen
der „Rassestatus“ der Betroffenen geklärt werden sollte, also etwa ob diese
den „Judenstern“ zu tragen hatten oder nicht. Zum anderen sei es darum
gegangen, unter den Festgenommenen neues Personal für jüdische
Einrichtungen zu rekrutieren, die sich allesamt unter der Kontrolle der
Gestapo befanden. Denn die angestammten Mitarbeiter ohne christlichen
Ehepartner wurden deportiert.
Das schmälert keineswegs den Mut derjenigen, die ab dem 28. Februar 1943 an
der Rosenstraße protestiert haben. Denn sie konnten ja nicht wissen, dass
ihre Partner nicht vor einer Deportation standen.
Manfred Heymann und seine Eltern mussten nach dem Februar 1943 vermutlich
in ein „Judenhaus“ in der Wallstraße umziehen, später kamen sie nach
Friedrichshain. Der Vater musste schwere Zwangsarbeit leisten. Die SS
befahl im Januar 1945 die Deportation aller in „Mischehe“ lebenden Juden,
viele von ihnen kamen in das Ghetto Theresienstadt. Familie Heymann
überlebte dank der Hilfe einer katholischen Familie in Berlin. 1947
wanderte sie in die USA aus.
27 Feb 2024
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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