# taz.de -- Angriff auf jüdischen Studenten: Die Grenzen der Freien Universit�… | |
> Seit Monaten suchen jüdische Studierende das Gespräch mit der Leitung der | |
> FU Berlin. Jetzt verspricht Präsident Ziegler ein systematisches | |
> Vorgehen. | |
Bild: Mahnwache von Fridays for Israel an der FU Berlin | |
BERLIN taz | Lange mussten sie warten, bis ein Termin zustande kam. Dann, | |
am Dienstag vergangener Woche, treffen die jüdischen Studierenden Noam | |
Petri und Lior Steiner den Präsidenten der FU, Günter Ziegler. Kurz vor | |
ihrem Termin stehen sie in der Sonne vor dem herrschaftlichen Gebäude, in | |
dem früher die Alliierten Westberlins residierten und heute der | |
Uni-Präsident seinen Sitz hat. Mit der taz sprechen sie über das, was | |
passiert ist, und das, was sie nun von der Universität fordern. | |
Musste erst ein jüdischer Studierender von einem Kommilitonen | |
krankenhausreif geprügelt werden, damit sie Gehör finden? Anfang Februar | |
wurde Lahav Shapira in Berlin-Mitte von einem Kommilitonen angegriffen und | |
erlitt Knochenbrüche im Gesicht. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt | |
und geht von einem gezielten Angriff und einem antisemitischen Hintergrund | |
aus. Die Tat reiht sich ein in eine Folge antisemitischer Vorfälle seit dem | |
7. Oktober, nicht nur an der FU Berlin. | |
Noam Petri, der sich für seinen Termin beim Präsidenten von Kopf bis Fuß | |
schwarz angezogen hat, studiert eigentlich an der Charité in Mitte. | |
Normalerweise fährt er nur zu den Demonstrationen von „Fridays for | |
Israel“ hier raus an die Freie Universität. Er scherzt, dass er ein solches | |
Wetter wie heute zum ersten Mal erlebe. Möglicherweise ein Zeichen – für | |
eine Wende im Umgang mit Antisemitismus an dieser Hochschule. | |
Lior Steiner, der zweite Student, studiert seit Oktober BWL an der Freien | |
Universität. Sein erstes Semester wurde vom Angriff der Hamas und den | |
Folgen überschattet. „Als ich mein Studium begonnen habe, hätte ich mir nie | |
vorstellen können, welche Zustände ich an der Universität vorfinden würde�… | |
sagt der 19-jährige Lior Steiner. Er zählt auf, was an seiner Universität | |
in den vergangenen Monaten alles los war: Eine Hörsaalbesetzung [1][von | |
propalästinensischen Studierenden], bei der es zu Aufrufen zur Intifada | |
kam, „von Dahlem bis nach Gaza“. | |
## Antisemitische Parolen und Drohungen | |
Auf Demonstrationen kam es zu antisemitischen Parolen, auch der verbotene | |
Aufruf „from the river to the sea“ wurde skandiert. Steiner wirft | |
Kommilitonen, die sich an diesen Demonstrationen beteiligen, vor, dass sie | |
mit der Hamas sympathisierten. Drohungen erlebt Steiner auch selbst: „Ich | |
weiß, wo du studierst, wo du dich aufhältst. Ich finde dich schon und komm | |
vorbei mit meinen Leuten.“ Das seien Nachrichten, die ihn über soziale | |
Medien erreichten. | |
Noam Petri ist Vizepräsident der Jüdischen Studierenden Union, die Teil des | |
Zentralrats der Juden in Deutschland ist. Er möchte mit dem Präsidenten der | |
FU nicht nur über den aktuellen Vorfall sprechen, sondern auch über andere | |
Ereignisse an der Universität in den vergangenen Monaten. Petri kritisiert, | |
dass bei der Besetzung eines Hörsaals im Dezember auch externe Gruppen wie | |
„Young Struggle“ und „ZORA“ beteiligt gewesen seien. | |
Die erste Gruppierung ordnet der Verfassungsschutz den „relevanten Akteuren | |
des auslandsbezogenen Extremismus“ zu. Bei Mitgliedern der zweiten | |
Gruppierung fand Mitte Dezember eine Razzia statt, aufgrund von | |
Verherrlichung der palästinensischen Terrororganisation PFLP. „All das | |
führt dazu, dass es an der Uni No-go-Areas für Juden gibt“, so Petri. | |
Bereits Ende Dezember wandte Petri sich in Form eines offenen Briefes an | |
Ziegler, um auf den Antisemitismus an der FU aufmerksam zu machen. Er | |
zweifelte darin an der „Führungskompetenz“ des Präsidenten, da dieser bis | |
dato nur „leere Worte“ gefunden und keine Konsequenzen gezogen habe. | |
Mittlerweile hat die Universität bekannt gegeben, dass sie in 23 Fällen | |
Strafanzeige gestellt habe. | |
## Streitfrage Exmatrikulation | |
Eigentlich hätte es schon viel früher ein Treffen zwischen den jüdischen | |
Studierenden und Ziegler geben sollen: Bei einer RBB-„Abendschau“ sollten | |
sich Ziegler und Petri begegnen, doch der Student sagte aufgrund des | |
Shabbats ab. Ein anderer Termin ließ sich in der Vorweihnachtszeit nicht | |
finden, sodass Petri vormittags vor Shabbat interviewt wurde und Ziegler | |
abends in der Nachrichtensendung live reagierte. | |
In dem Interview bot Ziegler öffentlich ein Gespräch an, das Noam Petri | |
annahm. Geplant war ein Treffen Ende Januar, welches durch den Präsidenten | |
einen Tag vorher „aufgrund einer notwendigen terminlichen Umorganisation“ | |
abgesagt werden musste. Zeitnah sollte ein neuer Termin angeboten werden, | |
dies erfolgte jedoch erst nach dem nächsten Schock, dem Angriff auf | |
Shapira. | |
Nun steht die Freie Universität wieder in der Kritik, [2][Forderungen nach | |
einer Exmatrikulation des Angreifers werden laut]. Erst nach erheblichem | |
öffentlichen Druck hat die Universität ein Hausverbot gegen den | |
Tatverdächtigen erteilt. | |
Die damalige rot-rot-grüne Regierung in Berlin hatte erst 2021 die | |
Sanktionierung in Form einer Exmatrikulation abgeschafft. Das geltende | |
Hochschulgesetz sieht nun höchstens ein dreimonatiges Hausverbot vor. | |
## Gegen Antisemitismus auf dem Campus | |
Der Allgemeine Studierendenausschuss der FU (Asta) kritisierte in einer | |
Stellungnahme den Vorschlag, die „Zwangsexmatrikulation“ wieder | |
einzuführen. Diese könne einen Vorwand bieten, linke Studierende | |
auszuschließen, und widerspreche dem Recht auf Bildung. Zudem verweist der | |
Asta darauf, dass für viele Studierende der Aufenthaltstitel am | |
Studierendenstatus hängt. | |
Lior Steiner und Noam Petri wollen, dass sich der Präsident der FU dafür | |
einsetzt, dass die Exmatrikulation wieder möglich wird. Aber es geht ihnen | |
nicht nur um härtere Bestrafungsmöglichkeiten: Das Klima an der Universität | |
müsse sich ändern, Antisemitismus auf dem Campus müsse viel früher bekämpft | |
werden. | |
Steiner und Petri verabschieden sich, zu ihrem Gespräch mit dem Präsidenten | |
ist keine Presse zugelassen. | |
Am gleichen Tag, an dem die Studierenden mit dem Uni-Präsidenten | |
zusammensitzen, berät auch der Berliner Senat über den Angriff auf Shapira | |
und die Konsequenzen für Berliner Universitäten. Berlin ist derzeit das | |
einzige Bundesland, in dem Studenten nicht als Strafe exmatrikuliert werden | |
können. Berlins Regierender Bürgermeister [3][Kai Wegner] (CDU) lässt nach | |
der Senatssitzung mitteilen, dass eine Änderung des Hochschulgesetzes | |
erforderlich sei und die Möglichkeit zur Exmatrikulation von Studierenden | |
für bestimmte Fälle wieder eingeführt werden soll. | |
## Präsident will mit der Politik sprechen | |
Nach einer guten Stunde verlassen Steiner und Petri das Präsidium, sie | |
wirken ernüchtert. Das Gespräch sei konstruktiv gewesen, der Präsident habe | |
aber darum gebeten, nicht wörtlich zu zitieren. Man habe sich darauf | |
geeinigt, dass es ein systematisches Vorgehen gegen Antisemitsmus an der | |
Uni brauche, wie etwa Workshops. Die gibt es aber bereits. Ziegler habe | |
ihnen gegenüber deutlich gemacht, dass auch er sich dafür einsetzen werde, | |
dass in Zukunft wieder Exmatrikulationen von Studierenden möglich sein | |
sollen. | |
Auf taz-Anfrage gibt ein Sprecher des FU-Präsidiums an, dass man | |
Verantwortung für die Entwicklung der Hochschule übernehme. Es gebe | |
durchaus Präzedenzfälle, wo ein Studien-Ausschluss angebracht sein könne. | |
Der Präsident werde mit der Politik darüber beraten. | |
17 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Pro-palaestina-Demos-an-der-FU/!5987586 | |
[2] /Pruegelattacke-auf-Studenten-in-Berlin/!5991377 | |
[3] /Kai-Wegner/!t5728064 | |
## AUTOREN | |
Maria Disman | |
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