| # taz.de -- Antisemitismusbekämpfung an Hochschulen: Ausschöpfen oder erweite… | |
| > Niedersachsen will auf antisemitische Vorfälle schneller mit | |
| > Exmatrikulation reagieren. Bremen kann das längst, andere Nord-Länder | |
| > warten ab. | |
| Bild: Drohen nun rechtliche Folgen für jede Solidaritätsbekundung mit den Pal… | |
| Hamburg taz | „Es wird auf jeden Fall nachgeschärft“ sagte Ende vergangener | |
| Woche die Sprecherin des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums, Julia | |
| Streuer. Im Blick hatte sie dabei das Hochschulgesetz des Landes, genauer: | |
| die Möglichkeiten, die das Gesetz bietet, Studierende wegen antisemitisch | |
| motivierter Taten zu exmatrikulieren. | |
| Nach dem [1][Angriff auf einen jüdischen Studenten in Berlin] will | |
| Niedersachsen also den Hochschulen mehr Handhabe ermöglichen, | |
| judenfeindliche An- und Übergriffe zu sanktionieren? Dann hätte sich die | |
| Position der rot-grünen Landesregierung zwischen Montag und Freitag um ein | |
| entscheidendes Detail geändert: Und zwar in der Frage, ob der bestehende | |
| rechtliche Rahmen ausreicht und bloß seitens der Hochschulen auszuschöpfen | |
| ist – oder vielmehr doch erweitert werden muss. | |
| Noch am Montag der vergangenen Woche hatte Wissenschaftsminister Falko | |
| Mohrs (SPD) [2][dem Wissenschaftsausschuss des Landtags] über die | |
| „Rechtslage an niedersächsischen Hochschulen bei Exmatrikulation nach | |
| Straftatbeständen“ Auskunft gegeben. Da sah er die Verantwortung noch recht | |
| eindeutig bei den Hochschulleitungen: Sie hätten die Pflicht, bestehende | |
| rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, „wenn sich Studierende oder weitere | |
| Hochschulangehörige gegen die freiheitliche Kultur und ihre Werte | |
| richteten“. Dazu könne auch eine Exmatrikulation gehören – unter bestimmt… | |
| Umständen. | |
| Ministeriumssprecherin Streuer sprach am Freitag dann von einem Mehrbedarf | |
| an „Möglichkeiten“ für die Hochschulleitungen: Ausdrücklich auch die | |
| Exmatrikulation müsse aus Sicht Mohrs in solchen Fällen rascher möglich | |
| werden. | |
| ## Voraussetzung Verurteilung | |
| [3][Niedersachsens Landeshochschulgesetz] (NHG) erlaubt im Moment eine | |
| Exmatrikulation, „wenn Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die | |
| Ablehnung der Einschreibung gerechtfertigt hätten“. Ablehnen wiederum kann | |
| die Hochschule Studienbewerber:innen, die rechtskräftig verurteilt | |
| wurden „wegen einer Straftat gegen das Leben, die sexuelle | |
| Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche | |
| Freiheit“ – und diese Straftat „eine Gefährdung oder Störung des | |
| Studienbetriebes“ vorstellbar macht. | |
| Ähnlich formuliert es etwa das [4][Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern (LHG | |
| M-V)]: „Exmatrikuliert werden können Studierende, die Einrichtungen der | |
| Hochschule zu strafbaren Handlungen nutzen oder gegenüber Mitgliedern und | |
| Angehörigen der Hochschule strafbare Handlungen begehen.“ | |
| Das schließe Straftaten mit antisemitischem Hintergrund ein, sagt der | |
| Sprecher des Schweriner Wissenschaftsministeriums, Christoph Wohlleben, | |
| „setzt aber natürlich eine rechtskräftige Feststellung einer Straftat | |
| voraus. Das entspricht rechtsstaatlichen Prinzipien.“ | |
| Dagegen ermöglicht das [5][Bremische Hochschulgesetz (BremHG)] eine | |
| Exmatrikulation, „wenn Gewalt, Drohungen oder sexuelle Belästigungen oder | |
| Diskriminierungen gegenüber Mitgliedern, Angehörigen oder Gästen der | |
| Hochschule ausgeübt werden oder wenn Studierende an den genannten | |
| Handlungen teilnehmen, dazu anstiften oder mindestens dreimal schuldhaft | |
| Anordnungen im Rahmen des Hausrechts zuwiderhandeln“. Darauf fußend könne | |
| im Einzelfall eine Exmatrikulation durch Verwaltungsakt geschehen, erklärt | |
| Ramona Schlee, Sprecherin der Bremer Wissenschaftssenatorin. Das BremHG | |
| definiere Diskriminierung im Sinne des [6][Allgemeinen | |
| Gleichbehandlungsgesetzes], das „ausdrücklich eine Diskriminierung wegen | |
| der Religion beinhaltet“, so Schlee. | |
| Auch wenn in Niedersachsen bislang keine gewalttätigen Übergriffe bekannt | |
| geworden seien, so Streuer: Vorgezogen werden soll dort nun ein Teil einer | |
| eigentlich für 2025 vorgesehenen Novelle des NHG. Und wenn von einem | |
| „Nachschärfen“ die Rede ist, kann das eigentlich nur heißen: Es wird | |
| künftig keine rechtskräftige Verurteilung wegen einer einschlägigen | |
| Straftat mehr nötig sein, um einen antisemitischen Gewalttäter der | |
| Hochschule verweisen zu können. | |
| Fehlende Sanktionsmechanismen bemängelt am derzeitigen niedersächsischen | |
| Gesetz – so wie auch am [7][hamburgischen] – die [8][juristische | |
| „Handreichung“], die am Wochenende das Berliner Tikvah Institut | |
| veröffentlicht hat, eine Art Anti-Antisemitismus-Thinktank, mitgegründet | |
| 2020 vom heutigen Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, | |
| Volker Beck. Das Institut hatte den Juristen Patrick Heinemann „Rechtliche | |
| Antworten auf Antisemitismus an Hochschulen“ erörtern lassen. | |
| ## Über jede Abwägung erhaben? | |
| Interessant ist daran, dass das Papier einen Ausweg anzubieten scheint aus | |
| dem zentralen juristischen Problem jeder Gesetzesverschärfung: dass sie | |
| potenzielle Eingriffe in die Grundrechte derjenigen bedeutet, denen | |
| antisemitische Taten zur Last gelegt werden. Heinemann zufolge rührt aber | |
| der Antisemitismus stets an der Menschenwürde. Deren besonderer Schutz | |
| durch das Grundgesetz sei „abwägungsresistent“ auch gegenüber anderen | |
| Grundrechten: Er hat demnach Vorrang etwa vor der Meinungsfreiheit. | |
| Ausgesprochen vorsichtig reagieren derzeit die zuständigen | |
| Landesministerien in diesen Tagen auf Anfragen zum Thema. Was an die Presse | |
| geht muss von höchster Stelle abgesegnet werden: Das legt nahe, dass die | |
| dort tätigen Jurist:innen die Sache wohl nicht ganz so eindeutig sehen, | |
| wie es Tikvah und Heinemann tun. | |
| 21 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Antisemitismus-an-der-FU-Berlin/!5987400 | |
| [2] https://www.landtag-niedersachsen.de/plenum-ausschuesse-gremien/ausschuesse… | |
| [3] https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/f68e8e56-dd98-36a8-b0… | |
| [4] https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/jlr-HSchulGMV2011rahmen | |
| [5] https://www.transparenz.bremen.de/metainformationen/bremisches-hochschulges… | |
| [6] https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikati… | |
| [7] https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/jlr-HSchulGHArahmen | |
| [8] https://tikvahinstitut.de/wp-content/uploads/Antisemitismus_an_Hochschulen_… | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
| ## TAGS | |
| Antisemitismus | |
| Universität | |
| Niedersachsen | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Meinungsfreiheit | |
| Niedersachsen | |
| Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
| Antisemitismus | |
| Freie Universität Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Seifenoper um Präsidentenwahl: Wahlchaos in der Musikhochschule Hannover | |
| Die Musikhochschule Hannover braucht einen neuen Präsidenten. Vier | |
| Gerichtsverfahren gab es schon. Nun strebt der Wissenschaftsminister das | |
| fünfte an. | |
| Antisemitismus an Berliner Hochschulen: Rauswurf mit Eile | |
| Nach antisemitischen Übergriffen von Studierenden will der Senat bis Ende | |
| März eine Gesetzesänderung für Zwangsexmatrikulationen auf den Weg bringen. | |
| Angriff auf jüdischen Studenten: Die Grenzen der Freien Universität | |
| Seit Monaten suchen jüdische Studierende das Gespräch mit der Leitung der | |
| FU Berlin. Jetzt verspricht Präsident Ziegler ein systematisches Vorgehen. | |
| Nahostkonflikt und Studierende: Wenig Raum für Zwischentöne | |
| Aktuell entsteht das Bild, Studierende seien beim Thema Nahost stark | |
| polarisiert. Tatsächlich bewegen sich viele zwischen den extremen | |
| Positionen. |