Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Antisemitismus an der FU Berlin: Rauswurf löst kein Problem
> Viele fordern, die Freie Universität solle einen mutmaßlich
> antisemitischen Angreifer exmatrikulieren. Doch diese Möglichkeit hat die
> Uni gar nicht.
Bild: Polizei löst die Besetzung eines Hörsaals an der Freien Universität auf
BERLIN taz | Der brutale Übergriff auf den jüdischen Studenten Lahav
Shapira von der Freien Universität (FU) hat eine Debatte über eine Änderung
des Berliner Hochschulgesetzes ausgelöst. Grund dafür waren Forderungen,
etwa vom Zentralrat der Juden und aus der CDU, den mutmaßlichen Täter und
Mitstudenten von Shapira nun von der Universität zu exmatrikulieren. Doch
das ist derzeit rechtlich nicht möglich und auch politisch riskant.
Shapira war in der Nacht zu Samstag mit mehrfachen Frakturen im Gesicht ins
Krankenhaus gebracht worden. Laut Polizei soll ein 23-jähriger
Tatverdächtiger [1][ihn in der Brunnenstraße in Mitte] „unvermittelt
mehrmals in Gesicht geschlagen“ und ihm dabei die Verletzungen zugefügt
haben. Der Staatsschutz ermittelt aufgrund einer antisemitisch motivierten
Tat.
Noch bis vor drei Jahren hatten Berliner Universitäten das Recht,
Student*innen aus „ordnungsrechtlichen“ Gründen auszuschließen. Diese
Befugnis hatte der damalige rot-rot-grünen Senat mit der Novelle des
Hochschulgesetzes 2021 abgeschafft.
Das bis dahin geltende Ordnungsrecht sei „rechtlich nicht sicher und nicht
präzise formuliert“ gewesen, begründet das Tobias Schulze,
hochschulpolitischer Sprecher der Linken. Es habe sich um einen
„Gummiparagrafen“ gehandelt, der theoretisch dazu geeignet gewesen wäre,
Studierende für das Kleben von Plakaten von der Uni zu verweisen.
## Noch nie angewendet
Praktisch aber sei der Paragraf nie zur Anwendung gekommen. Die
Durchsetzung war kompliziert, auch das sei ein Grund gewesen, ihn zu
streichen. Die Einschätzung damals, die für Schulze auch heute noch gilt:
„Das Hausrecht ist das schärfere Schwert.“ Unileitungen können Studierende
damit für drei Monate aus den Räumen der Universität verweisen und diese
Maßnahme auch für weitere drei Monate verlängern.
Die heutige Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra hatte sich damals als
SPD-Abgeordnete ebenfalls für die Abschaffung stark gemacht. Am Mittwoch
bekräftigte sie, dass sie Exmatrikulationen aufgrund politischer Meinungen
weiterhin ablehne. Stattdessen solle die Uni umgehend ein Hausverbot
durchsetzen. „Das ist dringend erforderlich, um Opfer vor Gewalttätern zu
schützen und auf dem Universitätsgelände einen sicheren Raum für die
Studierenden zu schaffen“, sagte sie.
Es müsse grundsätzlich unterschieden werden zwischen Gewalttaten,
Antisemitismus und Volksverhetzung auf der einen und politischen
Meinungsäußerungen auf der anderen Seite, sagte Czyborra. „Eine Demokratie
muss innerhalb dieses Rahmens unterschiedliche politische Meinungen
aushalten.“ Sowohl einem Hausverbot als auch einer Exmatrikulation stehe
das Grundrecht auf freie Berufswahl entgegen. „Bevor über schärfere
Maßnahmen diskutiert wird, müssen die bisherigen Mittel ausgeschöpft
werden“, so die Senatorin.
Was die Forderungen nach Exmatrikulation bisher außer Acht lassen: Auch mit
dem damals gültigen Gesetz wäre es wohl nicht möglich gewesen, den
mutmaßlichen Angreifer von der Uni auszuschließen. Denn ein „Widerruf der
Einschreibung“ war im Hochschulgesetz ausdrücklich vorgesehen für
gewalttätige Störaktionen des Hochschulbetriebs oder für Versuche,
Hochschulmitglieder mit Gewalt oder Gewaltandrohungen von ihren Aufgaben
abzuhalten – nicht für Vorfälle außerhalb der Uni.
## Uni prüft weiter Hausverbot
Von der FU selbst hieß es, dass man ein Hausverbot prüfen wolle, „wenn sich
bestätigt, dass der Täter Student der Freien Universität Berlin ist“.
Die jüdische Studierendenunion (JSUD) kritisierte nicht nur die FU scharf.
An den Berliner Unis seien jüdische Student*innen „einem antisemitischen
Klima und einer konstanten Bedrohungslage“ ausgesetzt, sagte
JSUD-Präsidentin Hanna Veiler. Diese gingen von antisemitischen
Gruppierungen und antisemitischen Vorfällen aus, gegen die die Unis nicht
entschieden genug vorgingen. „Das war schon vor der Terrorattacke der Hamas
so, und das haben wir auch konstant angemerkt“, sagt sie. „Doch seit dem 7.
Oktober sehen wir ein Ausmaß an Antisemitismus, das wir nicht für möglich
gehalten haben.“ Und niemand müsse Angst vor Konsequenzen haben: „Man muss
dazu nur das Wort Jude durch Zionist ersetzen“, sagt sie. „Wir sind wütend,
die Unileitungen hätten dem längst begegnen müssen.“
„Jetzt wäre es das Mindeste, dass die Unis sich eingestehen, dass sie ein
Antisemitismusproblem haben – und dass sie keine Mechanismen haben, um
dagegen vorzugehen“, sagt Veiler. Kurzfristig sei es das Hauptinteresse,
dass jüdische Student*innen nicht mit antisemitischen
Straftäter*innen in einem Hörsaal sitzen. Langfristig müssten die Unis
sich mit strukturellem Antisemitismus auseinandersetzen, fordert Veiler.
Auch die JSUD fordert Exmatrikulation „von Antisemiten“, von
Student*innen mit „extremen Positionierungen und menschenverachtenden
Ideologien, die zu Gewalt führen“. „Denn Antisemitismus ist keine
politische Meinung“, so Veiler.
Tobias Schulze verweist auf die Möglichkeit der Unis, Opfer über das
Hausrecht davor zu schützen, mit Tätern in einem Seminar zu sitzen. Dies
könnten sie über das Anmeldesystem für Kurse einfach ausschließen.
## Besetzungen, Demos, Performances
In den vergangenen Monaten hatte es mehrfach [2][Auseinandersetzungen an
den Unis mit Bezug zum Nahostkonflikt] gegeben. Etwa als Student*innen
für eine propalästinensische Protestaktion Mitte Dezember einen Hörsaal der
FU über Stunden besetzt hatten, ohne dass die Unileitung eingeschritten
war. An der Universität der Künste waren Gruppen mit propalästinensischen
Performances aufgefallen. Am Mittwoch sprach der Asta der FU von einer
„aufgeheizten Stimmung voll verbaler und physischer antisemitischer
Gewalt“.
Die Grünen fordern konkrete Maßnahmen gegen Antisemitismus an Hochschulen.
Dazu gehöre es, die Betroffenheit jüdischer Student*innen sichtbar zu
machen und ernst zu nehmen, Schutzräume und Ansprechpersonen zu schaffen
und sich Expert*innen zu holen, um sich mit strukturellem Antisemitismus
auseinanderzusetzen. Wie und ob Exmatrikulationen überhaupt möglich sind,
sei bisher gar nicht klar, sagt deren Sprecherin für Wissenschaft und
Forschung, Laura Neugebauer. „Klar ist: Die Unis müssen endlich aufhören,
sich wegzuducken“, sagt sie.
Das Opfer Lahav Shapira, Bruder des Comedians Shahak Shapira, war bereits
in der Vergangenheit in Auseinandersetzungen mit Bezug zum
Israel-Palästina-Konflikt verwickelt. Bei der Hörsaalbesetzung
propalästinensischer Aktivist:innen im Dezember versuchte Shapira vor
Ort ein Plakat anzubringen, das an einen von der Hamas Entführten erinnert,
und riss wohl auch Plakate der politischen Opponenten herunter.
## Öffentlich markiert
Dabei war es zu verbalen und leichten körperlichen Auseinandersetzungen
gekommen. Im Anschluss wurde Shapira öffentlich markiert. So
veröffentlichte beispielsweise ein anonymer, sich als marxistisch
bezeichnender Account auf der Plattform X ein Bild von Shapira mit dem
Text: „Merkt euch das Gesicht“. Shapira, so hieß es weiter, würde durch
„aggressives und gewalttätiges Verhalten“ bei Palästina-Veranstaltungen
auffallen.
Seit dem Angriff auf ihn versuchen linke propalästinensische Kreise
weiterhin Deutungshoheit über den Fall zu erlangen. So twitterte die
„Jüdische Stimme für gerechten Frieden“: „Es war nicht eine antisemitis…
motivierte Tat, da das Opfer ein bekannter Provokateur ist.“ Shahak Shapira
antwortete auf diverse ähnliche Posts, die auch nahelegten, sein Bruder sei
ein politisch Rechter: Wer nun nichts anderes tue, „als Antisemitismus
pauschal auszuschließen, Gewalt zu relativieren und den Betroffenen zu
diffamieren“, sei „vielleicht einfach nicht links sondern halt selbst ein
Fascho-Schwein“.
Bereits am Donnerstag könnte sich die aufgeladene Stimmung an der FU erneut
entladen. Angekündigt ist eine propalästinensische Kundgebung vor der Mensa
II mit dem Titel „Schluss mit den Lügen und der Heuchelei“. Dabei gehe es
gegen „die Hetze und Repression, mit denen Staat und Universität jede
palästinasolidarische Stimme zu unterdrücken suchen“.
7 Feb 2024
## LINKS
[1] /Antisemitischer-Ueberfall-auf-FU-Student/!5987284
[2] /Freie-Universitaet-Berlin/!5970772
## AUTOREN
Erik Peter
Uta Schleiermacher
## TAGS
Antisemitismus
Freie Universität Berlin
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Antisemitismus
Antisemitismus
Humboldt-Universität
Antisemitismus
Antisemitismus
Schwarz-rote Koalition in Berlin
Antisemitismus
Sonnenallee
Wochenkommentar
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Freie Universität Berlin
Schwerpunkt Rassismus
Antisemitismus
Israel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozess zu Angriff auf jüdischen Student: Verbindungen nach rechts
Im Prozess zum Angriff auf Lahav Shapira soll am Donnerstag ein Urteil
fallen. Mails zeigen: Der Anwalt des Angeklagten war im Kontakt mit
AfD-Politikern.
Judenhass an Unis: „Neue Dimension“ des Antisemitismus
Ein neuer Bericht zeigt, wie Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 an
deutschen Unis um sich griff. Viel mehr Vorfälle gab es aber abseits des
Campus.
Uni-Protest in Berlin: Laut für Gaza
Student*innen demonstrieren gegen den Plan des Senats,
Zwangsexmatrikulationen zu ermöglichen. Den Protest dominieren
pro-palästinensische Stimmen.
Verschärfung des Hochschulgesetz: Drohende Paralleljustiz
Der Senat will das Ordnungsrecht an Universitäten wiedereinführen.
Studierendenvertreter und Universitätsleitungen fürchten politische
Willkür.
Debatte um Exmatrikulation: Empörung als Gesetzgeberin
Nach der mutmaßlich antisemitischen Attacke auf einen Studenten will Berlin
sein Hochschulgesetz ändern. Zielführender wäre Präventionsarbeit.
Antisemitismus an Berliner Hochschulen: Rauswurf mit Eile
Nach antisemitischen Übergriffen von Studierenden will der Senat bis Ende
März eine Gesetzesänderung für Zwangsexmatrikulationen auf den Weg bringen.
Angriff auf jüdischen Studenten: Die Grenzen der Freien Universität
Seit Monaten suchen jüdische Studierende das Gespräch mit der Leitung der
FU Berlin. Jetzt verspricht Präsident Ziegler ein systematisches Vorgehen.
Pro-Palästina-Demos in Berlin: Überschattetes Gedenken
Eine Protest vor dem Springer-Gebäude endet mit Reibereien. Auch auf der
Hanau-Gendekdemo auf der Sonnenallee werden Pro-Palästina-Gruppen erwartet.
Prügelattacke auf Studenten in Berlin: Hände weg von der Wanne
Schnell mal auf Verdacht exmatrikulieren? Die Debatte, die vom Angriff auf
einen Studenten der Freien Universität ausgelöst wurde, hat ein groteskes
Maß angenommen.
Anti-israelischer Tumult an Berliner Uni: „Beschämend gegenüber den Gästen…
Aktivisten brachten eine Diskussion mit der israelischen
Verfassungsrichterin Barak-Erez an der Humboldt-Uni zum Abbruch. Jetzt
äußert sich die Uni-Leitung.
Pro-palästina Demos an der FU: „Free, free, free FU“
Propalästinensische Student*innen demonstrieren gegen die FU. Sie fühlen
sich von der Universität unterdrückt.
Zeit für Selbstreflexion: Kein Antisemit zu sein, ist Arbeit
Den eigenen Rassismus zu hinterfragen, ist normal. Das Eingeständnis,
antisemitische Stereotype mit sich rumzutragen, ist dagegen tabuisiert.
Antisemitischer Überfall auf FU-Student: Deutsche Ignoranz bei Judenhass
Ein jüdischer Student wird in Berlin verprügelt. Die Reaktion der
Universitätsleitung darauf ist emblematisch für den Umgang mit
Antisemitismus.
Freie Universität Berlin: Anti-israelischer Protest in Dahlem
Mehr als hundert Menschen demonstrieren vor der Freien Universität gegen
Israels Angriffe auf Gaza. Auch ein kleiner Gegenprotest formiert sich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.