| # taz.de -- Antisemitismus-Resolution: Gefährdete Diskursräume | |
| > Die Antisemitismus-Resolution ist gut gemeint, aber nicht in jedem Fall | |
| > gut gemacht. Sie schränkt die Debatten- und Wissenschaftsfreiheit ein. | |
| Bild: Antisemitismus-Resolution gegen Wissenschaftsfreiheit? Demo vor der Humbo… | |
| Der Bundestag hat am Mittwoch einen Antrag von Union, SPD und Grüne und FDP | |
| debattiert, dessen Titel unstrittig klingt: [1][„Antisemitismus und | |
| Israelfeindschaft an Schulen und Hochschulen entschieden entgegentreten | |
| sowie den freien Diskursraum sichern“.] Wer möchte bestreiten, dass | |
| Antisemitismus an deutschen Schulen und Universitäten mit Entschiedenheit | |
| entgegengetreten werden sollte? Doch wer den Antrag genau liest, wird | |
| feststellen, dass er freie Diskursräume nicht schützt, sondern [2][die | |
| Wissenschaftsfreiheit beschränkt]. | |
| Das liegt in erster Linie an der Verwendung der Arbeitsdefinition der | |
| International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die die | |
| Bundestagsentschließung, wie schon bei der BDS-Resolution 2019 und bei | |
| vielen anderen Gelegenheiten, als alleinverbindlich erklärt, ob | |
| Antisemitismus vorliegt oder nicht. Die IHRA definiert Antisemitismus | |
| zunächst vage als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden“. Laut der | |
| Definition richtet sich Antisemitismus gegen jüdische oder nichtjüdische | |
| Menschen, deren Eigentum sowie gegen jüdische Einrichtungen oder | |
| Institutionen der jüdischen Gemeinschaft. | |
| Mit Rückgriff auf die IHRA können sich also auch nichtjüdische Menschen als | |
| Opfer von Antisemitismus darstellen. Sich als Opfer einer spezifischen Form | |
| von Diskriminierung zu inszenieren, ohne selbst zu der betroffenen Gruppe | |
| zu gehören, ist ein Ausdruck weißen Privilegs. Es werden „neue“ | |
| Antisemitismusopfer konstruiert, die dem Kampf gegen Antisemitismus | |
| wertvolle Ressourcen entziehen. Die vagen und mehrdeutigen Formulierungen | |
| der IHRA-Definition öffnen der Willkür Tür und Tor, Kritik an der | |
| israelischen Politik als Kritik an Institutionen der jüdischen Gemeinschaft | |
| zu interpretieren und damit als antisemitisch zu diskreditieren. | |
| Der Antrag arbeitet weiterhin mit dem Begriff der „Israelfeindschaft“, der | |
| „entschlossen entgegengetreten“ werden soll. Aber auch dieser Begriff ist | |
| unbestimmt. Wie soll das an Hochschulen umgesetzt werden? Wird es als | |
| antisemitisch oder als israelfeindlich oder als nichts von beidem gewertet | |
| werden, wenn eine Professorin den jüngsten Bericht von Amnesty | |
| International zitiert, der nach aufwendigen Recherchen zu dem Ergebnis | |
| kommt, dass Israel im Gazastreifen Völkermord begeht? Der [3][Antrag | |
| schafft eine Grauzone für Willkürakte,] weil nicht klar ist, was erlaubt | |
| und was verboten ist. | |
| ## Wissenschaftler*innen werden diffamiert | |
| Aus Sorge davor, als Antisemiten diffamiert zu werden, vermeiden | |
| Wissenschaftler*innen in ihrer Lehre, im kollegialen Gespräch und auch | |
| in der Forschung Reizthemen wie Völkermord, Apartheid und alles, was den | |
| Nahostkonflikt berührt. Diskussionen werden aus dem öffentlichen Raum in | |
| das Private verlagert. Das passiert ausgerechnet zu einer Zeit, in der wir | |
| in Deutschland mehr, nicht weniger Wissen über diese Themen benötigen. Die | |
| Bundestagsentschließung wird sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf die | |
| Vergabe von Fördermitteln für die Forschung haben. | |
| Zwar betont der Antrag zunächst, dass die Fördermittel des Bundes | |
| ausschließlich nach Kriterien wissenschaftlicher Exzellenz vergeben werden | |
| sollen, doch dieser Grundsatz wird im weiteren Verlauf aufgeweicht. Es wird | |
| auf einen Konsens unter Entscheidungsträger*innen in Wissenschaft und | |
| Forschung verwiesen, „dass wissenschaftliche Exzellenz und Antisemitismus | |
| einander ausschließen“. Das stimmt zwar, doch die Verwendung der | |
| IHRA-Definition als alleiniges Kriterium für Antisemitismus lässt | |
| befürchten, dass entweder die Haltung der Forscher*innen zur | |
| israelischen Politik oder der Untersuchungsgegenstand selbst Einfluss auf | |
| die Vergabe der Fördergelder haben werden. | |
| Misstrauisch macht außerdem, dass der Antrag „den Einsatz“ von | |
| Ex-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger lobt. Geleakte E-Mails aus | |
| ihrem Haus zeigen, dass geprüft werden sollte, ob Wissenschaftlerinnen, die | |
| das Recht der Studierenden der Freien Universität Berlin auf friedlichen | |
| Protest verteidigt hatten, Fördermittel entzogen werden können. Nun | |
| unterstützt der Antrag nachträglich dieses Vorgehen und provoziert damit | |
| Fragen zum Umgang mit und Respekt vor der Wissenschaftsfreiheit. | |
| ## Wissenschaft soll objektiv und neutral sein | |
| Wie soll der Wissenschaftsstandort Deutschland in Zukunft entwickelt | |
| werden? Soll für nicht-deutsche Kollaborationspartner die IHRA-Definition | |
| ebenfalls maßgeblich werden, falls das Forschungsprojekt mit öffentlichen | |
| Geldern finanziert wird? Der Antrag sagt, dass Unterstützer der | |
| BDS-Bewegung „keinen Platz“ an deutschen Wissenschaftseinrichtungen haben | |
| sollten. Aber viele Wissenschaftler*innen in arabischen Ländern | |
| unterstützen die BDS-Bewegung wenigstens teilweise, weil sie sie als das | |
| letzte gewaltfreie Mittel sehen, sich für Menschenrechte von | |
| Palästinenser*innen und ein Ende der israelischen Besatzung | |
| einzusetzen. Das sehen auch viele jüdische und auch israelische | |
| Wissenschaftler*innen so. | |
| In Deutschland besteht eine große Skepsis gegenüber dem öffentlichen | |
| Intellektuellen. Wissenschaft soll objektiv und neutral sein und sich nicht | |
| in die Politik einmischen. Aber können sich Wissenschaftler*innen | |
| wirklich hinter Fußnoten verstecken? Es sollte nicht reichen, in zehn | |
| Jahren bei einer Konferenz Häppchen essend über die Durchführung und | |
| Konsequenzen eines dann womöglich durch den IGH bestätigten Völkermords an | |
| den Palästinensern zu debattieren. Forschung, die sich von der | |
| Lebensrealität abkoppelt, verliert ihre Relevanz. | |
| Es darf auch nicht sein, dass sich Wissenschaftler*innen der | |
| Selbstzensur hingeben, sondern vom Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch | |
| machen. Ein Recht, das nicht eingefordert wird, ist ein Recht ohne | |
| Bedeutung. In der aktuellen Lage benötigen Wissenschaftler*innen den | |
| Mut, kontroverse Diskussionen zuzulassen. Die Hochschulen und | |
| Forschungseinrichtungen können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Sie | |
| sollten Orte sein, an denen auch schwierige Themen offen, respektvoll und | |
| fundiert verhandelt werden. Die Flucht ins Private ist eine Sackgasse. | |
| 30 Jan 2025 | |
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| [2] /NS-Experte-zu-Antisemitismus-Resolution/!6062234 | |
| [3] /Protest-gegen-Hochschulresolution/!6062136 | |
| ## AUTOREN | |
| Dörthe Engelcke | |
| Dörthe Engelcke | |
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