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# taz.de -- Richard Strauss auf allen Bühnen: Dem Faschismus angeschmiegt
> Richard Strauss' Opern stehen 2024 auf fast allen Spielplänen. Dabei
> bestand seine Kunst darin, sich mit faschistischen Machthabern zu
> arrangieren.
Bild: Reichsmusiktage 1935: NS-Propagandaminister Joseph Göbbels (rechts) wuss…
Wahrscheinlich war Richard Strauss nie aktueller als heute: Zur Rückkehr
des Maskulinismus, zur wachsenden Feindseligkeit gegen eine Musik, die das
Spektrum des Hörens über die Dur-Moll-Diatonik hinaus erweitert, passt wohl
nichts besser, als die simulierte Moderne der Kunststücke des Tonsetzers
aus Garmisch-Patenkirchen.
Vor allem die wirklich große, wenn auch eigentlich nicht bewundernswerte
Kunst, sich mit faschistischen Machthabern zu arrangieren, ohne nach deren
Untergang – Faschismus führt immer in den Untergang, er kann gar nicht
anders – belangt zu werden, hat Richard Strauss beherrscht.
Insofern kann als angewandte Lebenshilfe durchgehen, dass die Staatsopern
von Hamburg und von Braunschweig seit Herbst ebenso wie das Theater Bremen
ab 2. Februar – natürlich total kritisch inszeniert und mit heutigem
Zugriff! – die pompöse Klang- und Bühnensprache seines Musiktheaters
reproduziert.
Deren Erfolgsrezept ist ihre entschiedene Anti-Intellektualität: Wenn bei
Strauss jemand „Gott geschaut“ hat, dann müssen die Flöten nun mal nach
oben steigen, so einfach ist das. Und wer es komplexer will, unaufgelöster,
grautöniger, schwieriger, der ist halt ein Arsch und ein Volksfeind und
muss weg, ohne lange zu fackeln.
## Hass braucht kein Social-Media
Strauss war durchaus in der Lage, diesen populistischen Impuls auch in die
Tat umzusetzen, etwa als es darum ging, gegen Thomas Mann zu hetzen:
Gelesen hatte er ihn nicht, aber gegen dessen Richard Wagner-Essay einen
Offenen Hassbrief unterschreiben, das konnte er schon.
Und es hat ja geklappt: Mann hat sofort verstanden, dass er mit
Veröffentlichung dieses letter of contempt 1933 seines Lebens im Deutschen
Reich nicht mehr sicher sein konnte. Er ist ausgewandert.
Was hätte Richard Strauss nicht alles mit dem Internet anfangen können, man
mag es sich gar nicht ausdenken. Anlässe, ihn auf den Spielplan zu heben
gibt es in diesem Jahr jedenfalls reichlich: Neben
Geburts-und-Todestagsjubiläen jährt sich zum 90. Male seine Ernennung zum
Reichsmusikkammerpräsidenten.
Auch wichtig: Vor genau 80 Jahren hat ihn [1][Adolf Hitler] persönlich auf
die Gottbegnadetenliste der drei wichtigsten Musiker des
nationalsozialistischen Deutschland gehoben. Und zwar auf Platz eins.
Kurioserweise würde kein Museum der Welt – derzeit noch jedenfalls – eine
unkommentierte Arno Breker- oder Joseph Thorak-Ausstellung veranstalten,
und auch das Georg-Kolbe-Museum hat längst kapiert, dass es eben nicht eine
Einrichtung ist, um das Andenken an den Namensgeber [2][rein- und
hochzuhalten.]
## Im Norden nichts Neues
Kein Theater spielt mehr Hanns Johst. Selbst in Wilhelmshaven gibt’s keine
Agnes-Miegel-Schule mehr und ihre Gedichte sind aus allen Lesebüchern
getilgt. Das kontrastiert eigentümlich mit der völlig bedenkenlosen, nie
gebrochenen Produktion von Strauss-Opern, die das Individuum laut Theodor
W. Adorno „zum bloßen Rezeptionsorgan des Marktes, zum Nachbildner
unverbindlich ausgewählter Ideen und Stile“ herabwürdigen.
Im Norden nichts Neues, könnte man also sagen. Das haben wir immer so
gemacht. Warum sollte man gerade jetzt davon abrücken, massig Geld in die
Pflege dieser servilen Mitmarschiermusik zu pumpen? Wenn's doch gefällt?
[3][Warum darüber jetzt auf einmal aufregen?]
## Eine raffinierte Termin-Idee
Aber Zeitenwende passiert nicht in den großen Ereignissen. Eher sind es
fast übersehbare Zeichen, die darauf hinweisen, dass sich etwas verschiebt:
Eines davon setzt das Theater Lübeck am 27. Januar, und ehrlich, auf diese
raffinierte Termin-Idee muss man erst einmal kommen: Das ist ja, wir
erinnern uns, der [4][Tag des Gedenkens an die Opfer des
Nationalsozialismus.]
In Lübeck nun begeht man ihn mit der Premiere von „Elektra“. Das ist die
Oper, mit der der wichtigste Komponist des nationalsozialistischen Reichs
erst Deutschland und dann die ganze Welt erobert hat.
26 Jan 2024
## LINKS
[1] /Adolf-Hitler/!t5009999
[2] /Tagung-zu-NS-Engagement/!5876315
[3] https://www.richardstrauss.at/strauss-und-der-nationalsozialismus.html
[4] /Internationaler-Holocaustgedenktag/!5908048
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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