# taz.de -- Neue Opern-Aufführung: Gewisse Bedrohlichkeit | |
> In Braunschweig inszeniert Dietrich Hilsdorf „Peer Gynt“ von Werner Egk. | |
> Von der waren einst auch Hitler und Goebbels begeistert. Das wird auf der | |
> Bühne nicht thematisiert. | |
Bild: Grenzfall zwischen Anpassung und Widerstand? Anne Schuldt als Aase in Hil… | |
BRAUNSCHWEIG taz | Eine „dramatische und hinreißende Inszenierung“ werde | |
der erfolgreiche Opernregisseur Dietrich Hilsdorf in Braunschweig | |
abliefern. So bewirbt die Staatsoper Braunschweig die Peer-Gynt-Oper, die | |
am 22. Mai Premiere feiert. | |
Ganz ähnlich beurteilten Führer und Propagandaminister einst das Werk, | |
nachdem sie Werner Egks Oper gesehen hatten. Bei den Olympischen | |
Sommerspielen 1936 in Berlin wurde dem bayerischen Komponisten eine | |
olympische Goldmedaille in der Kategorie Orchestermusik verliehen, im | |
November 1938 seine Oper „Peer Gynt“ in Berlin uraufgeführt. Am 1. Februar | |
1939 schrieb Goebbels in sein Tagebuch: „Ich bin ganz begeistert und der | |
Führer auch. Eine Neuentdeckung für uns beide.“ | |
Egks Oper basiert auf Henrik Ibsens literarischer Vorlage, der wiederum | |
norwegische Feenmärchen zugrunde liegen. 1876 wurde Ibsens Werk, das | |
ursprünglich nicht für die Bühne, sondern als Gedicht verfasst worden war, | |
mit der Musik von Edvard Grieg erstmals als Oper aufgeführt. Mittlerweile | |
herrscht jedoch Einigkeit, dass Griegs romantische Musik nicht besonders | |
gut zu Ibsen passt, der mit seinem modernen Drama den damaligen | |
Nationalismus Norwegens kritisierte. Lediglich eine Peer-Gynt-Verfilmung | |
aus dem Jahr 2006 nutzt wieder ironiefrei die Musik Griegs. | |
Peer Gynt handelt von der Selbstgenügsamkeit eines weltfremden Egomanen. | |
Auf einer Hochzeit verkündet er maßlos trinkend seine Phantasie, Kaiser der | |
Welt zu werden. Lediglich die schöne Solveig lenkt ihn vom Hohn der | |
Dorfgemeinschaft ab. Doch Peer entführt Ingrid und begibt sich auf seine | |
Heldenreise durch das Trollreich bis nach Amerika. Jahrzehnte später, | |
mittlerweile ist Peer Gynt zu Reichtum gekommen, wird ihm sein Boot mitsamt | |
Hab und Gut gestohlen. Als gebrochener Greis kehrt er in sein Heimatdorf | |
zurück – wo Solveig ein Leben lang auf ihn gewartet hat. | |
Egk konnte Henrik Ibsens Erben und deren Anwalt überzeugen, dass seine neue | |
Peer-Gynt-Komposition aufgeführt werden darf. Und wider Erwarten stieß die | |
Uraufführung in der norwegischen Presse auf Begeisterung. Ähnlich | |
wohlwollend wurden seine Opern, zunächst die „Zaubergeige“ (1935), später | |
„Columbus“ (1942), im nationalsozialistischen Deutschland aufgenommen. Von | |
1941 bis 1945 war Egk sogar Leiter der Fachschaft Komponisten der staatlich | |
anerkannten Gesellschaft für musikalische Aufführungsrechte. Allein die | |
Tatsache, dass der Donauwörther Komponist im nationalsozialistischen Staat | |
ungehindert Karriere machen konnte, müsste eigentlich ausreichen, um seine | |
Nähe zu den Nazis und den Nutzen seiner Kunst für deren Regime zu belegen. | |
Doch Werner Egk wehrte sich im Nachkriegsdeutschland vehement gegen die | |
Stigmatisierung als Hofkomponist Hitlers. In dem Sammelband „Kritik / von | |
wem / für wen / wie“ bezeichnete der Musikkritiker Konrad Boehmer den | |
Peer-Gynt-Komponisten als „eine der übelsten Figuren | |
nationalsozialistischer Musikpolitik“. Verständlich, dass der Autor | |
stellvertretend für seine Generation den Vorwurf gegen die Väter erhebt und | |
die Frage nach Schuld und Mitläufertum stellt. Werner Egk verklagte Boehmer | |
und konnte beweisen, dass er nicht Mitglied der NSDAP gewesen ist. Dieser | |
Persilschein reichte vor dem Münchner Landgericht aus, um das Verfahren mit | |
einem Vergleich zu beenden. | |
Tatsächlich wurde Egk auch während des Nationalsozialismus schon | |
unterstellt, er wolle dessen Ideologie kritisieren, indem er „entartete“ | |
Musik wie Charleston oder Jazz in seinen Werken anklingen lasse. Außerdem | |
verwendete er unerwünschte Instrumente wie die gestopfte Trompete. Während | |
seiner Zeit an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin wurden er und | |
seine Musik mit Bertolt Brecht und Kurt Weill in Verbindung gebracht. | |
Nervös geworden, schrieb Egk 1938 in seinem Aufsatz zur Entstehung seiner | |
Peer-Gynt-Oper: „Ich stank nach Bert Brecht, den sie verfemt und aus dem | |
Lande gejagt hatten.“ Im Prozess gegen Konrad Boehmer dürften ihm seine | |
Jazzeinflüsse wiederum zugute gekommen sein. | |
So konnte der Donauwörther auch nach 1945 weiterhin ungestört an seiner | |
Karriere arbeiten. Er gründete den Deutschen Komponistenverband, saß im | |
Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks und wurde 1968 Präsident des | |
Deutschen Musikrates. Bis zu seinem Tod 1983 führte er seine Opern und | |
Vokalmusiken deutschlandweit auf. Bis heute ist Egk Ehrenbürger der Städte | |
München und Donauwörth, wo er auch begraben liegt. | |
Nun bringt also Hilsdorf, in den letzten Jahren von Kritik und Publikum für | |
seine Theater- und Operninszenierungen in ganz Deutschland gefeiert, den | |
umstrittenen Peer Gynt mit „einzigartige[r] Klangsprache“ nach | |
Braunschweig. Die kritische Rezeptionsgeschichte der Oper ist ihm sicher | |
bewusst. Allerdings wird diese historische „Folie, vor der der Zuschauer | |
das Werk betrachtet“, nicht aktiv inszeniert, schreibt die Oper in einer | |
Stellungnahme. Es mag sinnvoll sein, Kunstwerke nicht zu stigmatisieren und | |
sich weder als Regisseur (Hilsdorf) noch als Intendant (Kochheim) Tabus | |
aufzuerlegen. Dennoch, oder gerade deshalb, darf man gespannt auf eine | |
Peer-Gynt-Inszenierung sein, deren Schwerpunkt laut einer Pressesprecherin | |
der Staatsoper Braunschweig auf surrealen Momenten liege, die „durchaus | |
eine gewisse Bedrohlichkeit haben“. Es bleibt zu hoffen, dass diese | |
Neuinszenierung im Gegensatz zu Peers Sinn-Zwiebel nicht nur viele Hüllen, | |
sondern auch einen Kern zu bieten hat. | |
## ■ Premiere: Fr, 22. Mai, 19.30 Uhr, Staatstheater Braunschweig. Weitere | |
Aufführungen: 24. + 30. Mai, 7. Juni | |
15 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Kornelius Friz | |
## TAGS | |
Oper | |
Richard Strauss | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
NDR | |
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