| # taz.de -- Rechte Popmusik: Eingebildete Rebellen | |
| > „Testcard“ ist ein Magazin für Popgeschichte. Die neueste Ausgabe ist dem | |
| > Rechtspop gewidmet, der sich zunehmend im Mainstream tummelt. | |
| Bild: „Rechtsmüll“ steht auf einer Mülltonne, Ausschnitt aus einer Illust… | |
| „Verabsolutierung des nationalen Eigeninteresses, Verherrlichung der als | |
| heldenhaft interpretierten Geschichte des eigenen Volkes, Bejahung von | |
| Gewalt (Krieg), Recht des Stärkeren, Führerprinzip, Streben nach dem | |
| totalen Staat …“. Das ist eine unvollständige Definition von Prinzipien des | |
| Faschismus gemäß dtv-Lexikon. Message to self: Einmal im Vierteljahr lesen, | |
| wie es zu Hitler kam. Um sich gegen die Deportationsfantasien und | |
| Tabubrüche der Bräunlinge von heute noch besser zu wappnen und der | |
| allgemeinen Weltverdunkelung mehr Helligkeit entgegenzusetzen. | |
| Sich wappnen, das will auch das buchdicke Magazin Testcard, das seine | |
| aktuelle Ausgabe nun einem Phänomen namens „Rechtspop“ widmet. Mit der | |
| Verschmelzung von „rechts“ und „Pop“ wird bei dem vom Mainzer Ventilver… | |
| herausgegeben Magazin eine massenwirksame Unkultur bezeichnet: | |
| volkstümliche [1][Neo-Schlager à la Andreas Gabalier], Nazirap von Chris | |
| Ares, Pamphlete der Identitären Bewegung, die öffentliche Inszenierung der | |
| Ehe zwischen der rechtsextremen [2][Caroline Sommerfeld und dem Alt-68er | |
| Helmut Lethen], aber auch das literarische Genre des „Diktatorenromans“, | |
| das gar nicht von Rechten beherrscht wird. | |
| Es ist ein riesiges Fass, das hier aufgemacht wird. | |
| Mal mehr, mal weniger erfolgreich trachten Rechte also nach der kulturellen | |
| Hegemonie, wenden das Zeichenhafte des Pop an, um Ewiggestriges in die | |
| Gegenwart zu transportieren. Und haben damit zweifelhaften Erfolg. Anders | |
| nämlich als noch in der Phase der Renationalisierung nach der deutschen | |
| Wiedervereinigung in den 1990ern tummelt sich „Rechtspop“ zunehmend im | |
| Mainstream: Er wird sichtbar auf T-Shirt-Motiven von Zuschauern bei | |
| Stadionkonzerten von Rammstein. | |
| Wobei die Herausgeber:innen trotz aller Alarmstimmung betonen, dass | |
| die Inszenierungsform Pop seit ihrer Erfindung als Antwort auf die | |
| totalitäre Gewaltorgie des Zweiten Weltkriegs in den späten 1940er Jahren | |
| hauptsächlich „als Bastion der Utopie, Befreiung und des Fortschritts hin | |
| zu einer mehr offenen und zunehmend inklusiveren Gesellschaft“ beigetragen | |
| hat. | |
| ## Viele Steine werden umgedreht | |
| Speziell Popmusik habe als „ästhetischer Ausdruck von | |
| Emanzipationsbewegungen“ gegolten. „Abweichendes Verhalten war als | |
| Vorschein auf ein besseres Morgen für alle sichtbar.“ Nun schickt Testcard | |
| eine eindringliche Warnung: Keine Sphäre des Kulturellen sei vor der | |
| Okkupation durch rechts gefeit. | |
| In 24 Beiträgen werden viele Steine umgedreht: Wie es etwa dazu kam, dass | |
| die beiden Anfang der zehner Jahre als fortschrittlich gelabelten | |
| [3][US-Indiekünstler Ariel Pink] und John Maus am 6. Januar 2021 bei der | |
| von Donald Trump nach seiner Wahlniederlage provozierten rechtsradikalen | |
| Erstürmung des Kapitols in Washington vor Ort waren. Anschaulich | |
| beschreiben Babsi Clute-Simon und Bianca Kämpf das Abdriften von Ariel | |
| Pink, der die Kunsthochschule CalArts durchlief, vom obskuren | |
| Gitarrenschrammler zum Verschwörungstheoretiker. | |
| Inzwischen sabbelt er nur noch misogynes Zeug gegen Hillary Clinton und | |
| glaubt, dass er als Künstler rebellisch sei, wenn er „rassistisches | |
| Gedankengut“ vertritt. In ihrer Sympathie für Trump, so arbeiten die | |
| Autorinnen heraus, verbleiben Pink und Maus in der Masse der Unterstützer. | |
| Sie schätzen am reaktionären US-Politiker „sein Versprechen, die Regeln der | |
| demokratischen Ordnung und die des Diskurses zu überschreiten, um eine | |
| (vermeintlich) ursprüngliche Identität … an deren Stelle zu setzen.“ | |
| In der gleich zu Beginn gesetzten programmatischen „Standortbestimmung für | |
| Poplinke“, von Frank Apunkt Schneider sieht der Autor diese Linke im Titel | |
| nur noch als marginale Größe. Warum so defensiv? Stattdessen skizziert er | |
| ein „Phantombild“ von neuen, raffiniert getarnten popaffinen Nazis, die | |
| Kultur als „Schmiermittel für den Rechtsruck“ nutzen. Schneiders Urteil | |
| fällt eindeutig aus: „Das sich verschleiernde Offensichtliche verlangt nach | |
| ebenso stumpfer Benennung: Dorfnazis sind keine Jugendkultur, Heimat ist | |
| keine Utopie.“ | |
| ## Pop war Reeducation | |
| Popkultur in Deutschland war ein Bruch mit der Geschichte vor 1945. Nicht | |
| nur weil die Musikindustrie an Stelle der Rüstungsindustrie wichtig wurde. | |
| Pop war Reeducation, angloamerikanische Vorstellungswelten lösten das | |
| Herrenmenschentum der Nazis ab, hat Schneider bereits früher hellsichtig | |
| postuliert. | |
| Dagegen verwundert umso mehr, warum Konstantin Jahn in seinem Essay | |
| „Faschistische Partys in Fiume“ retrospektiv faschistisches Pathos und den | |
| Größenwahn eines Benito Mussolini als Pop deklariert und den NS-Staat als | |
| „popkulturelles Spektakel“ bezeichnet. Damit meint der Autor etwa „Kraft | |
| durch Freude’-Tourismus, FKK und Flugshows“. Geht’s noch? | |
| Genauso fragwürdig ist, wenn Steffen Greiner, der von Testcard-Redakteur | |
| Jonas Engelmann über „Die spirituelle Querfront“ interviewt wird, einen | |
| Sektenführer und Naturapostel wie den 1924 verstorbenen Louis Haeusser | |
| nachträglich zum Popstar stilisiert. Es mag ja richtig sein, geistige | |
| Verwandtschaften von Esoterikern der Weimarer Republik zu Coronaleugnern | |
| festzustellen, aber nicht jede Form von Charisma entspricht der | |
| intellektuellen Wendigkeit von Pop-Strategien. Eher ist diese zwanghafte | |
| Gleichsetzung begrifflicher Faulheit geschuldet. | |
| Hingegen gut argumentiert Franziska Meifert in ihrem Text „Strach“ über | |
| „Krieg und Schrecken in Comics und Graphic Novels“. Sie legt darin die | |
| reaktionäre Entwicklung der russischen Popkultur von 1991 bis zum | |
| Kriegsbeginn 2022 überzeugend dar. | |
| „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.“ Das | |
| Diktum von Elias Canetti aus seinem Essay „Masse und Macht“ (1938) gilt im | |
| Popzeitalter bis auf Weiteres. Wenn Pop dem Unbekannten wie bisher | |
| vertraut, wird er weiterhin spannende Kunst hervorbringen, für Minderheiten | |
| und Mainstream zugleich, ganz egal, ob Rechte seine Formen imitieren, dabei | |
| aber rückwärtsgewandt denken. | |
| 7 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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