# taz.de -- Helmut Lethen auf der Buchmesse: Weltbilder, nicht vermittelbar | |
> Helmut Lethen stellt in Leipzig sein Buch „Die Staatsräte“ zur Elite im | |
> Dritten Reich vor. Über extreme Rechte von heute sagt er: „Die stellen | |
> mir nach“. | |
Bild: Helmut Lethen im Jahr 2014, Archivbild | |
Ein Riss gehe durch die Gesellschaft, lautet die Metapher zum Zustand der | |
Republik. Der Riss müsse noch vertieft werden, sagte kürzlich Götz | |
Kubitschek auf einer Dresdner Veranstaltung [1][mit Uwe Tellkamp], wofür | |
ihm ein Teil des Publikums aus der wohl bürgerlichen Mitte applaudierte. | |
Am Stand der Frankfurter Allgemeinen Zeitung befragte Julia Encke am | |
Donnerstag Helmut Lethen zu diesem Tellkamp'schen Auftritt. Lethen | |
antwortete, er habe sich auf einer Tagung befunden und könne sich daher | |
unglücklicher-, vielleicht aber auch glücklicherweise dazu nicht äußern. | |
Lethen hat ein viel beachtetes Buch [2][über „Elite im Dritten Reich“ | |
geschrieben]. „Die Staatsräte“ ist das Werk betitelt, dessen Genre Lethen | |
mit dem Begriff der Dokufiktion charakterisiert. Er lässt darin die von | |
Göring berufenen Preußischen Staatsräte Gustaf Gründgens, Wilhelm | |
Furtwängler, Ferdinand Sauerbruch und Carl Schmitt zu „Geistergesprächen“ | |
zusammentreffen. Die vier Größen des Kulturlebens logen sich in die Tasche, | |
schreibt Lethen: „Sie wollten ihr Leben führen – und wurden geführt.“ | |
Auf der Bühne drückt er es drastischer aus: „Schrottleben“ hätten die vi… | |
geführt – Zitat aus einem Porträt, das anlässlich von Bernhard Minettis 90. | |
Geburtstag erschienen war. Minettis Erfolg gibt Lethen Anlass zu dieser | |
Überlegung: „Die Faszination des Infamen gehörte zur Hypermoral einer | |
Generation in der BRD, die sich die Rückkehr des Bösen nur auf der Bühne zu | |
genießen erlaubte. | |
Ja, das Unbewusste spiegelt sich auf der Bühne und ist rechts; die | |
politische Öffentlichkeit überlässt man dem Über-Ich.“ Ist das Über-Ich | |
dieser Tage nicht mehr Herr der Lage, oder hat es keinen rechten Begriff | |
mehr davon, was das Böse ist? „Wir sind vergiftungsgefährdet“, sagt Lethen | |
in Leipzig. | |
## „Brief an die Feinde“ | |
Als Julia Encke den Autor fragt, inwiefern sein Buch ein Dialog mit der | |
Gegenwart sei, erzählt er, sein Buch sei als „Brief an die Feinde“ | |
beschrieben worden. Der Rezensent der rechtsintellektuellen Zeitschrift | |
Sezession erkannte in Lethens Buch „ein stilles Gesprächsangebot, das man | |
unbedingt annehmen sollte“. Helmut Lethen sieht das wohl anders: „Die | |
stellen mir nach.“ Damit verwies Lethen auf den Umstand, dass sich der | |
„Riss“ in vielen Familien und Freundschaften dieser Tage als | |
Aufeinandertreffen von Weltbildern äußert, die schwer miteinander | |
vermittelbar sind. | |
Lethens Frau Caroline Sommerfeld ist Autorin der Sezession und fühlt sich | |
der Identitären Bewegung zugehörig. Dass das Private politisch sei, war | |
eine der Überzeugungen der Generation der 68er, der auch Lethen angehört. | |
Heute finden die politischen Auseinandersetzungen wieder im Privaten statt, | |
und nicht nur dort. | |
Während Lethen Auskunft über sein Buch gab, meldete sich am Stand der taz | |
ein Zwischenrufer. Der türkische Autor Doğan Akhanlı hatte gerade erklärt, | |
warum er für die Beschreibung des heutigen türkischen Regimes einen | |
spezifischen Begriff von Faschismus für richtig halte. Ein gut gekleideter | |
Mann mittleren Alters bestand nun darauf, dass der Faschismus nicht dort, | |
sondern hier stattfinde, womit er nicht nur den Stand der taz meinte. | |
16 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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