| # taz.de -- Fontane mal anders: Effie Briest bricht aus | |
| > In comichafter Überspitzung zeigt das Theater Lübeck Moritz Franz Beichls | |
| > Effi-Briest-Überschreibung: eher frei von als nach Theodor Fontane. | |
| Bild: Fast wie in Barbieland: Effie Briest auf pinkfarbener Bühne in Lübeck | |
| Lübeck taz | Als Repräsentationspüppchen wird eine 17-Jährige in den | |
| finanziell sicheren Ehehafen genötigt. Bald schon beginnt sie aus | |
| grenzenloser Beziehungslangeweile eine Affäre, woraufhin sich die | |
| Nebenbuhler mit Todesfolge duellieren. Das erzählt Theodor Fontane in | |
| seinem Roman „[1][Effi Briest]“, dessen Titelfigur mit Scheidung, | |
| Kontaktverlust zu ihrem Kind und sozialer Ächtung bestraft wird. Geopfert | |
| vom Autor, um seine Kritik am erstickenden Wertekanon im Deutschen | |
| Kaiserreich deutlich zu machen. | |
| Rund 130 Jahre später hat Moritz Franz Beichl das für sein Schauspiel | |
| „Effi, Ach Effi Briest“ in einer Empowerment-Version erzählt, die derzeit | |
| [2][in Lübeck gezeigt] wird: Die Protagonistin entscheidet sich, der | |
| pubertär aufgeheizten Kinderzimmerwelt zu entfliehen und in die echte Welt | |
| aufzubrechen. | |
| Den ersten Schritt in die Freiheit wagt sie mit der Heirat eines wohlhabend | |
| biederen Karrieristen. Alle Liebesschmetterlinge im Bauch bringt aber ein | |
| anderes Mannsbild in Bewegung: Erfahrungen, die Ausgangspunkt sein können, | |
| einen eigenen Weg zu gehen. | |
| Dafür hat Beichl den Erzählton Fontanes durch einen jugendfrisch | |
| kalauernden Text ersetzt, ihn mit feministischem Feenstaub sowie | |
| antikapitalistischem Konfetti dramatisiert und selbst 2022 am Wiener | |
| „Bronski & Grünberg“-Theater für die Uraufführung gesorgt. Regisseurin | |
| Maike Bouschen inszeniert diese Überschreibung jetzt am Theater Lübeck aus | |
| dem [3][modischen Geist der Barbie-Renaissance]. | |
| ## Orgie in Pink | |
| Die Bühne ist eine Orgie in Pink. Einhörner rotieren auf einem | |
| Kinderkarussell – als Bild für Effis noch ziellos um sich selbst kreiselnde | |
| Mädchentraumidylle, in der alle Erwachsenen bestens gelaunt, glitzernd | |
| geschminkt und schrill-albern kostümiert sind. Nur Kindermädchen Roswitha | |
| (Sonja Cariaso) tritt als beste Freundin forever in Schwarz gewandet | |
| forsch bis renitent auf und kommentiert vor der Bühne das Geschehen mit | |
| selbst geschriebenen Coming-of-age-Anleitungen im Plauderton. | |
| Zu Beichls literarischer kommt also eine musikalische Transposition. Auf | |
| der Bühne wird die Handlung zudem zu Discokugelgelichter mit Pop-Hits | |
| illustriert, inszeniert als Musical-Parodien. Als kritisch gemeinter | |
| Gesangsjokus wird also zu den Fluchtplänen aus der Teenie-Welt „Favourite | |
| things“ von Big Brovaz’ intoniert, eine Aufzählung von Accessoires eines | |
| konsumorientierten Luxuslebens, das Effi für sich erhofft. Hinreißend, wenn | |
| Mutter Briest später [4][Billie Eilishs Ode an den „Bad guy“] anstimmt und | |
| zwei männliche Geschöpfe des Ensembles dazu ein Blockflötenduett | |
| spendieren. | |
| Anfangs gibt Luisa Böse als Effi noch die jugendliche Naivstrahlerin, die | |
| eine „perfekte Frau“ zu werden vorhat: zuhörend, nickend, von allen geliebt | |
| und dem Mann ergeben, der ihr sagt, wo es langgeht. Da kontert natürlich | |
| Roswitha: „Nur normal ist wirklich richtig, / doch mit normal gibst du dich | |
| auf. / Finde raus, was du wirklich willst. / Am Ende brauchst du Biss und | |
| Ninja Skills.“ | |
| Die Regie setzt auf einen hübsch grotesken Ansatz. Mit Angeberposen stellt | |
| sich Baron von Innstetten der Effi vor, macht dann auch den Machoaffen mit | |
| Enrique Iglesias’ „Hero“ – und zündet eine Konfettikanone zwischen sei… | |
| Beinen, während Roswitha „Like a virgin“ kreischt. Mutter Briest fingert | |
| lüstern an ihrem stummen Mann herum und führt ihn an der Leine in den | |
| Swingerclub. | |
| Ein bisschen Queerness gibt es auch: Effis Lustprojektionsobjekt Crampas | |
| gibt die Karikatur des verwegenen Schönlings, trägt Satinbademantel und | |
| Lackschuhe, besprayt seinen Körper mit Wässerchen und erklärt, er hasse es, | |
| ein Mann zu sein: Darum kann auch aus dem Duell mit Innstetten eine | |
| homosexuell verklemmte Liebesszene zweier verunsicherter | |
| Männlichkeitsklischeedarsteller werden. | |
| Häufig funktionieren solch grellbunte Comic-Zuspitzungen auf dem Theater | |
| nicht. In Lübeck aber bleibt stets eine Ambivalenz gewahrt, weil es dem | |
| fantastischen Ensemble gelingt, in der fidelen Oberflächlichkeit die Nöte | |
| der Figuren mitschwingen zu lassen: Effi ist hier vor allem eine an ihren | |
| Sehnsüchten verzweifelnde junge Frau. Am Ende holt die Regie als Moral von | |
| der Geschicht’ noch einen Satz aus dem Fontane-Roman in die Aufführung: | |
| „Mich ekelt, was ich getan; aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure | |
| Tugend.“ | |
| Als Beleg erhebt Vater Briest erstmals seine Stimme, sagt sich von der | |
| Tochter los, der die Bühne rahmende Himmelsprospekt senkt sich herab, | |
| sichtbar wird die illusionslose Wirklichkeit, Effi und Roswitha könnten | |
| jetzt ins Freie – aber ein lautes Knackgeräusch durchzuckt die Heldin, als | |
| breche ihr Herz. So gibt es sogar noch eine originalgetreu tragische | |
| Wendung in der doppelbödigen Spaßspiellust. | |
| Schauspiel „Effi, Ach Effi Briest“, 27. 1., 15. und 22. 2. sowie 2. 3., | |
| [5][Theater Lübeck, Kammerspiele,] jeweils 20 Uhr | |
| 21 Jan 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Neues-Theater-in-Hamburg/!5944614 | |
| [2] /Benjamin-Britten-Oper-in-Luebeck/!5841372 | |
| [3] /Barbie-und-der-Feminismus-in-China/!5950980 | |
| [4] https://www.youtube.com/watch?v=DyDfgMOUjCI | |
| [5] https://www.theaterluebeck.de/produktionen/effi-ach-effi-briest_2023-24.htm… | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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