# taz.de -- Neues Theater in Hamburg: Hochrot über Altona | |
> Mit „Effi, Ach“ zeigt das neu eröffnete Hamburger Theater im Alten | |
> Heizkraftwerk seine erste größere Inszenierung. Man muss nur den Eingang | |
> finden. | |
Bild: Fast ohne Fontane: Effi Briest im Alten Heizkraftwerk | |
Hoch ragt das Posthochhaus aus rotem Sichtbeton in den Himmel über Altona, | |
und irgendwo auf der Rückseite des Komplexes, noch hinter den Auffahrten | |
für die Postautos, muss das neue Theater sein. Vor den Sportplätzen geht es | |
links rein, einen asphaltierten Weg an einer hohen Mauer entlang, der am | |
Ende eine Kurve macht, und linkerhand geht es dann eine in Beton gefasst | |
Einfahrt runter, die für große Fahrzeuge gemacht ist, nicht für Menschen. | |
Genau hier ist es, das [1][Theater im Alten Heizkraftwerk], und da hinten | |
stehen schon die Premierengäste in kleinen Grüppchen. Eine ältere Dame | |
kurbelt das Autofenster runter und fragt, wo sie parken soll. Gute Frage. | |
Vielleicht ist hinter der Industriebrache mit den drei Schornsteinen, in | |
der früher wohl das Heizkraftwerk war, ein Parkdeck? „Fahren Sie ruhig da | |
hoch“, ruft eine Frau mit roten Haaren, die in der Einfahrt steht, dem | |
nächsten Autofahrer zu. Sie ist eigentlich Schauspielerin, betätigt sich | |
aber als Platzanweiserin. | |
Auf dem Hof direkt vor dem Eingang sind Klappstühle aufgebaut und | |
Stehtische, ganz hinten in der Ecke drei Dixieklos, es wirkt alles noch ein | |
wenig improvisiert, aber klar, es geht hier um Kunst, der Wille dazu ist | |
deutlich spürbar. Also hinein in den abgedunkelten Vorraum, wo an einer | |
nackten Betonwand, von Scheinwerfern beleuchtet, ein blattgoldener | |
Bilderrahmen hängt, in dessen leeren Rechteck sich ein Lichtschalter | |
befindet. | |
Finger mit eigenwilligen hölzernen Ringen gestikulieren, Wünsche kommen | |
über Lippen, bitte ein Glas Wein. Ist die Frau an der Kasse auch bei dem | |
Stück dabei? „Nicht auf der Bühne, ich bin die Dramaturgin.“ Ach. | |
## Zwischen Stahl und Beton | |
„Effi, Ach, Effi Briest“ heißt das Stück, mit dem das Theater jetzt erst | |
richtig eröffnet, nachdem es sich im vergangenen Jahr mit einer | |
Soloperformance über das Verschwinden von Frauen auf der Bühne schon ein | |
bisschen aufgewärmt hatte. Es dauert eben, bis alles steht, 1.300 | |
Quadratmeter Brachfläche müssen hergerichtet werden, eine kleine | |
Schauspielschule hängt auch mit dran, alles nicht so einfach, hatte | |
Intendant Torsten Diehl gesagt, der am Kartentelefon saß. | |
Schwere schwarze Vorhänge; dahinter öffnet sich eine riesige Halle. | |
Betonwände, Betondecke, Stahlstreben, ganz hinten das Heim der Familie | |
Briest. Effi wartet im Halbdunkeln auf der Schaukel, bevor alles losgeht, | |
mit Vater und Mutter Briest und den Hochzeitsplänen, frei nach Fontane. | |
Effi, ach Effi, singt eine Sängerin aus dem Halbdunkel links, auf eine | |
Leinwand werden in schwarzweiß Familienszenen projiziert. In der Mitte der | |
Halle, direkt vor dem Publikum, redet Effi sich in Rage, sie will besser | |
werden, aber warum und wozu? Später führen ihre Eltern hier eine Sexszene | |
vor, Vater Briest als Lustsklave von Mutter Briest in hautengem Kostüm, | |
Autofahren darf er auch, aber das war’s dann schon. | |
Hier, in der Mitte der Halle, wird Effi, bereits verheiratet und schwanger, | |
ihrem späteren Kindermädchen begegnen, das in einem Rollstuhl herumfährt. | |
Zwischen ihnen könnte was laufen, aber es kommt nicht dazu. Auch ihr | |
späterer Liebhaber, der fesche Major, tritt hier auf, tanzt um sie herum. | |
Daraus wird schon was, aber dann auch wieder nicht, denn zu sagen haben sie | |
sich nichts. | |
Beim finalen Duell, als Effis Mann, der tumbe Baron Innstetten, wieder auf | |
den Major trifft, funkt es zwischen den beiden, etwas überraschend. „Du!“ | |
„Ach, du!“, sie küssen sich. Aber was eine Liebesgeschichte hätte werden | |
können, ist vorbei, bevor es angefangen hat. Wie von Fontane | |
vorgeschrieben, erschießt der Baron den Major, der auch sein Liebhaber | |
hätte sein können, hätte, hätte. | |
## Theater mit Vorgeschichte | |
„Und, wie hat es Ihnen gefallen?“, fragt zur Pause die Frau nebenan, die | |
den Darsteller von Vater Briest kennt. Es ist Premiere, viele der | |
Zuschauer:innen dürften Freunde oder Verwandte sein, der Applaus am Ende | |
ist lang. Nach der Vorstellung kommt Intendant Torsten Diehl, der auch | |
Regie geführt sowie Sound und Videos gemacht hat, in den Vorraum, er wird | |
sofort umringt. „Moment, Moment, ich muss …“ dann ist er weg, Hände | |
schütteln. | |
Torsten Diehl ist in Hamburgs Theaterszene kein Unbekannter, er hat am | |
Schauspielhaus Regie geführt, bevor die jetzige Intendantin kam, war dann | |
so etwas wie der Hausregisseur des Monsuntheaters in Ottensen. Zuletzt | |
hatte er sein Theater mit Schauspielschule in der Marzipanfabrik, nicht | |
weit von hier, bis ausgerechnet der Teil abgerissen wurde, in dem er drin | |
war. | |
So wie es aussieht, können sie nun hier im Alten Heizkraftwerk bleiben, | |
zwischen Beton und Stahl. Der Mietvertrag mit der Stadt steht. „Wir“, sagt | |
Diehl, „sind sehr froh.“ | |
17 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theater-altes-heizkraftwerk.de/ | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
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