# taz.de -- Intendant über neu eröffnetes Haus: „Theater ist ein Knotenpunk… | |
> Neueröffnung in Hamburg: Intendant Torsten Diehl will sein Theater Altes | |
> Heizkraftwerk zum Ort der Begegnung und der lokalen Verankerung machen. | |
Bild: Zur Theatereröffnung in Hamburg auf der Bühne: „Effi Briest“, hier … | |
taz: Herr Diehl, „Effi Briest“ zur Theater-Eröffnung – ist das nicht ein | |
bisschen altbacken? | |
Torsten Diehl: Es ist eine brandneue Fassung von Moritz Franz Beichl. Wir | |
haben uns bewusst für einen jungen, zeitgenössischen Autor entschieden. Er | |
stellt [1][„Effi Briest“ quasi auf den Kopf,] ohne die Geschichte | |
wegzuschreiben, aber unter dem Aspekt einer heutigen Lesbarkeit. | |
Was meinen Sie damit? | |
Das Rollenverständnis heute ist ein völlig anderes als zu Fontanes Zeiten. | |
Wir leben in einer Zeit, wo die Frage der Geschlechter und | |
[2][Geschlechterrollen] neu definiert wird. Beichl sagt selbst: Es ist eine | |
queere Komödie. Es geht um das Verhalten der Menschen und nicht um die | |
Geschlechterrollen. | |
Was bleibt dann noch von Fontane? | |
Beichl spielt mit dem kollektiven Wissen um das Buch. Eine junge Frau mit | |
wenig Erfahrung vertraut auf den Rat der Eltern und heiratet einen sehr | |
viel älteren Mann. Diese Konstruktion Fontanes trägt nach wie vor bei | |
Beichl. Aber heute bewerten wir nicht mehr so moralisch wie zu Fontanes | |
Zeiten. Die Frage, ob eine Affäre einen Rosenkrieg auslösen muss, stellen | |
wir uns noch deutlicher als vor 100 Jahren. Und dann kommt in Beichls Stück | |
aber noch ein neues Gewürz hinzu, nämlich dass Crampas, also dieser Mann, | |
der Effi verführt, einfach ein Verführer an sich ist und auch Interesse an | |
Innstetten hat. Deswegen haben wir gesagt: Es ist nicht Fontane, wir | |
bedienen uns zwar der Motive, aber jetzt führen wir das weiter: Mit welchen | |
Moralmaßstäben gehen wir eigentlich zu Werke, wenn Innstetten sich auch | |
noch in Crampas verliebt? Das passt in unsere Zeit, wo wir ja doch gerade | |
versuchen, alle Werte noch mal auf den Prüfstand zu stellen. | |
Viele Theater haben die Coronakrise nicht überlebt. Wieso eröffnen Sie | |
gerade jetzt ein neues Theater? | |
Nach diesen letzten Jahren, die uns alle gebeutelt haben, ist es da eine | |
gute Idee, kein Theater aufzumachen? Ich glaube, man muss entschieden, mit | |
hoher Stirn dagegen angehen und sagen: „Nee, gerade jetzt brauchen wir | |
Theater!“ Wir brauchen mehr denn je gesellschaftlichen Diskurs, kulturelle | |
Orte in dieser Stadt, Orte der Begegnung. | |
Krieg und Inflation machen den Menschen zu schaffen. Lohnt sich der | |
Theaterbetrieb noch? | |
Ich glaube, dass sich [3][Theater wirtschaftlich nie lohnt, aber inhaltlich | |
sehr.] Das Leben hat sich aus den Städten, aus der Begegnung zurückgezogen. | |
Es verlagert sich so viel in soziale Medien, die sind voll von | |
Auseinandersetzungen und keiner weiß so richtig, wer dahintersteht. Theater | |
ist ein kultureller Knotenpunkt, wo wir einander wirklich begegnen können. | |
Und diese Orte braucht es in der Stadt, dauerhaft. | |
Kultureller Knotenpunkt: Was verstehen Sie darunter? | |
Man hat sich fatalerweise schon fast an Dinge wie Krieg in Europa oder die | |
Auswirkungen des Klimawandels gewöhnt. Aber das sind Dinge, die uns | |
unglaublich erhitzen, für die wir gar keine Lösung oder Antworten haben. | |
Das Theater hat ganz an dem auch keine Antworten. Aber es ist ein Ort, wo | |
diese Fragen verhandelt werden und an dem ein Diskurs stattfindet. | |
Wieso haben Sie sich gerade diesen Ort gesucht? | |
Das gesamte Ensemble hier, dieses riesige Areal der Deutschen Post, hat | |
einen futuristischen Charme der 60er-Jahre. Es wirkt so aus der Zeit | |
gefallen, wenn man auf das Gelände kommt, denkt man erst mal: Boah, ist das | |
hässlich, aber es ist auch irgendwie wahnsinnig cool! Es ist ein | |
ungewöhnlicher Ort, der auch für freies Theater steht, für freie | |
Produktion. Wir wollen mit hohem Engagement in die Kunst, aber zeitgleich | |
das Lokale hier mitnehmen. Die Bürger:innen [4][hier vor Ort in | |
Altona-Nord], aber auch im gesamten Hamburger Westen sind herzlich | |
eingeladen, nicht nur das Theater zu besuchen, sondern auch | |
Projektvorschläge einzureichen, und wir überlegen dann gemeinsam, wie das | |
umsetzbar wäre. | |
14 Jul 2023 | |
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[4] https://www.hamburg.de/altona-nord/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Irmer | |
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