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# taz.de -- Aktivistin über Waffen für Saudi-Arabien: „Zehn Schritte rückw…
> Deutschland liefert wieder Waffen an Saudi-Arabien. Die Juristin Lina
> al-Hathloul warnt: Mit seinem Israel-Kurs kaschiere Riad
> Menschenrechtsverstöße.
Bild: Straßenszene in Dschidda: Das Land gebe sich reformorientiert, sei aber …
taz: Frau al-Hathloul, die deutsche Regierung macht eine Kehrtwende und
liefert wieder Waffen an Saudi-Arabien. Was halten Sie davon?
Lina al-Hathloul: Es ist enttäuschend. Deutschland hat nach dem [1][Mord an
Jamal Khashoggi] eine Vorreiterrolle gespielt, ist standhaft geblieben und
hat versucht, die saudische Regierung für diesen grauenhaften Mord zur
Verantwortung zu ziehen. Nun gibt es grünes Licht für weitere
Menschenrechtsverstöße. Indem es wieder Waffen verkauft – und zwar ohne
Bedingungen in Sachen Menschenrechte –, macht Deutschland zehn Schritte
rückwärts. Am Ende des Tages wird das nach hinten losgehen: Den
[2][Jemenkrieg] zum Beispiel hätte Saudi-Arabien nicht führen können ohne
westliche Waffenexporte.
Saudi-Arabiens Krieg gegen die Huthis im Jemen war neben dem Mord an
Khashoggi 2018 der Hauptgrund, dass Deutschland die Waffenexporte
aussetzte. Nun lautet das Argument für die Wiederaufnahme, [3][dass
Saudi-Arabien eine „sehr konstruktive Haltung“ einnehme in Bezug auf
Israel], etwa indem es Huthi-Raketen auf Israel abfängt.
[4][Deutschlands Position in Israels Krieg gegen Gaza] ist eine
Katastrophe. Es ist auf traurige Weise unterhaltsam, wie
Israel-Unterstützer willens sind, Saudi-Arabien einen Freifahrtschein
auszustellen, nur damit es sich wohlwollend gegenüber Israel verhält.
Natürlich will MBS (Kronprinz Mohammed bin Salman, d. Red.) dafür
Gegenleistungen. Das Ergebnis sind bedingungslose Waffenlieferungen an
Saudi-Arabien.
Streiten Sie ab, dass Saudi-Arabien in Bezug auf Israel eine konstruktive
Haltung einnimmt?
Das hängt davon ab, wie man „konstruktiv“ definiert. Israel verhält sich
aktuell nicht so, dass es Unterstützung verdient. Gegen Israel sollten
wegen des Kriegs gegen Gaza Sanktionen verhängt werden. Konstruktiv wäre in
diesem Fall also eine starke Haltung gegen Israel, damit es seine Verstöße
gegen das Völkerrecht einstellt. So gesehen habe ich von Saudi-Arabien
nichts Konstruktives gesehen, nichts, das sicherstellt, dass Israel
internationale Verpflichtungen einhält. Auch nicht, dass sich Saudi-Arabien
sonderlich für die Palästinenser einsetzt.
Was steht hinter dem israelfreundlichen Kurs der saudischen Führung?
MBS will in allererster Linie an der Macht bleiben. Sein Vater (König
Salman, d. Red.) hat ihn zum Kronprinzen gemacht, obwohl er eigentlich
nicht dafür vorgesehen war. MBS verfügt über keinerlei Legitimität und ist
deshalb misstrauisch gegenüber allen. MBS ist paranoid. Und um seine Macht
zu sichern, setzt er auf internationale Unterstützung. Eine seiner
Gegenleistungen ist Unterstützung für Israel.
Wie kommt das in der saudischen Bevölkerung an?
Es gibt keine Umfragen, aber in der gesamten arabischen Welt fühlen wir uns
den Palästinensern nah. Selbst die jemenitischen Huthis haben an Sympathien
gewonnen. Die Leute sagen, dass die Huthis die Einzigen sind, die die
Palästinenser wirklich unterstützen.
Wie kommt MBS in der saudischen Bevölkerung damit durch? Er hatte vor dem
Gazakrieg ein [5][Normalisierungsabkommen mit Israel] in Aussicht gestellt.
Selbst in der derzeit aufgeladenen Stimmung schließt er eine weitere
Annäherung nicht aus.
MBS hat es seit 2017 geschafft, jegliche freie Meinungsäußerung, jede
Kritik zu unterbinden. Er hat frühzeitig die Bühne dafür bereitet,
Entscheidungen treffen zu können, die die öffentliche Meinung gegen ihn
aufbringen könnten. Beziehungen zu Israel werden seiner Popularität in
Saudi-Arabien nicht zuträglich sein, aber sie werden seine Macht festigen,
indem sie ihm westliche Rückendeckung bringen.
Außenministerin Annalena Baerbock wählte interessante Worte. Sie sprach
davon, dass sich Saudi-Arabien „insbesondere bei der Unterstützung von
Israel“ verändert habe. Hat sich auch die Menschenrechtslage zum Positiven
entwickelt?
Das Land wird immer repressiver. Saudi-Arabien ist zu einem reinen
Polizeistaat geworden seit der Schaffung der Staatssicherheit 2017, einer
Art Privatpolizei von MBS. Sie kann in Häuser einbrechen und Leute
gewaltsam verschwinden lassen. Leute werden für Kleinigkeiten vor
Terrorgerichte gestellt. Es gibt inoffizielle Gefängnisse und
Foltereinrichtungen. Man kann nichts kommentieren, nichts kritisieren.
Alles, was mit dem Staat zu tun hat, ist eine rote Linie. MBS hat eine
Atmosphäre von ständiger Angst geschaffen. Und Menschenrechtsorganisationen
wie Human Rights Watch oder Amnesty haben keinen Zugang zu Saudi-Arabien.
Wenn Leute sagen, dass sich die Lage verbessert, ist meine Frage: Auf
welcher Grundlage kommen sie zu dieser Einschätzung?
Letztes Jahr hat [6][Saudi-Arabien mindestens 170 Menschen hingerichtet].
Was bewirkt das Regime damit?
Zum einen geht es um Einschüchterung. Es gibt zum Beispiel den Fall von
Mohammed al-Ghamdi, der wegen Tweets zum Tode verurteilt wurde. Er ist der
Bruder eines prominenten Dissidenten, der in Großbritannien lebt. Es war
das erste Mal, dass jemand nur wegen Online-Aktivitäten die Todesstrafe
bekommen hat. In vielen anderen Fällen ist zu wenig bekannt, um eine
Strategie dahinter ausmachen zu können. Es ist sehr willkürlich. Von Anfang
bis Ende findet alles hinter verschlossenen Türen statt. Manchmal geben sie
noch nicht einmal die Körper an die Familien zurück.
Unter MBS gibt sich [7][Saudi-Arabien betont progressiv und
reformorientiert]. Warum hat das keine Auswirkungen auf die Menschenrechte?
Weil es eine Fassade ist, ein Narrativ. Zwar hat es einige Veränderungen
gegeben, aber sie sind nicht institutionell verankert. MBS hat Frauen das
Autofahren erlaubt, aber zur selben Zeit wurden Frauen, die sich dafür
eingesetzt haben, eingesperrt, gefoltert und sexuell belästigt. Und auch
der gesellschaftliche Wandel hängt stark davon ab, wer man ist. Wenn der
männliche Vormund einer Frau der Meinung ist, dass sie ungehorsam ist, kann
sie verhaftet werden – und zwar auf Grundlage des Gesetzes, nicht aufgrund
von Tradition oder Kultur. MBS hat die Macht, diese Gesetze zu ändern. Wenn
er Frauen wirklich ermächtigen wollen würde, würde er sie vor ihren eigenen
Familien beschützen.
Kürzlich hat Saudi-Arabien den Zuschlag für die Expo 2030 bekommen. 2034
soll die Fußball-WM folgen. Welche Rolle spielen solche Events?
Die Menschen in Saudi-Arabien verdienen genau die gleichen Freiheiten, die
ich in Europa genieße. Das Problem ist, dass hinter allem, was in
Saudi-Arabien veranstaltet wird, hinter jedem Ticket, das verkauft wird,
MBS steckt. Wenn die Veranstaltungen dazu beitragen würden, die Realität
vor Ort bekannt zu machen, würde ich mich freuen. Aber das Gegenteil ist
der Fall. Die Menschen kommen nach Saudi-Arabien, beklatschen die
Veränderungen und schweigen. Sie blicken nicht hinter die Fassade, sondern
sind Teil des PR-Spiels der Regierung. Das ist der Punkt, an dem es für uns
frustrierend wird, weil uns niemand mehr zuhören will, wenn wir uns
beschweren.
Stattdessen wird Cristiano Ronaldo zugehört, den Saudi-Arabien als
Tourismus-Botschafter gewinnen konnte. Auch bei der Expo-Vergabe spielte er
eine Rolle.
Ronaldo hat nie über Menschenrechtsverletzungen gesprochen und keinerlei
positive Veränderung bewirkt. Noch schlimmer ist, dass seine Freundin ein
falsches Bild vermittelt, wenn sie sich im Bikini in Saudi-Arabien zeigt.
Saudische Frauen werden dafür trotzdem verhaftet. Die Fitness-Trainerin
(und Influencerin, d.Red.) [8][Manahel al-Otaibi] ist ein Beispiel dafür.
Sie wurde festgenommen, und der offizielle Vorwurf lautete unter anderem,
dass sie in ihren Videos keine Abaja trug.
Welche Konsequenz ziehen Sie daraus? Sollte ein Land wie Deutschland nicht
an der Expo 2030 teilnehmen?
Das ist absolut nicht das, was ich sage. Ein Boykott Saudi-Arabiens ist
keine Lösung. Aber wer mit einem starken Pass und all den Privilegien, die
dieser mit sich bringt, nach Saudi-Arabien reist, darf nicht schweigen. Vor
allem Prominente können zum Beispiel twittern, sobald sie im Land sind. Es
gibt ja genug Menschenrechtsverletzungen, die bekannt sind. Warum sitzt
Manahel im Gefängnis? Warum darf meine Schwester immer noch nicht das Land
verlassen.
Ihre Schwester [9][Loujain hatte ein Ende des Autofahrverbots gefordert und
wurde 2018 im Rahmen eines Crackdowns gegen Frauenrechtsaktivistinnen
festgenommen]. Mittlerweile ist sie wieder frei. Wie geht es ihr?
Es ist schwer, für jemanden zu sprechen, der Folter und viele andere
Verstöße gegen die Menschenrechte erlebt hat. Für Loujain gilt immer noch
ein Ausreiseverbot. Es hätte im September aufgehoben werden sollen. Doch
als sie versuchte, die Grenze zu Bahrain zu überqueren, sagte man ihr, sie
habe ein unbefristetes Reiseverbot. Sie wurde auch mit Pegasus, der
israelischen Spionagesoftware, überwacht. Sie weiß, dass sie die ganze Zeit
überwacht wird.
Ist sie in der Lage, ansonsten ein normales Leben zu führen?
Ja, aber die soziale Isolation lastet schwer auf ihren Schultern. Für alle,
die aus dem Gefängnis entlassen werden, ist es sehr schwierig, ein normales
Leben zu führen. Viele Unternehmen wollen zum Beispiel nicht das Risiko
eingehen, jemanden einzustellen, der im Gefängnis saß, um nicht die
saudische Regierung zu konfrontieren.
15 Jan 2024
## LINKS
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[3] /Waffenlieferungen-in-Kriegsgebiete/!5983962
[4] /Israels-Krieg-in-Gaza/!5981361
[5] /Gruende-fuer-Angriff-auf-Israel/!5962210
[6] /Todesstrafe-in-Saudi-Arabien/!5982250
[7] /Wie-sich-Saudi-Arabien-veraendert/!5944095
[8] https://apnews.com/article/saudi-arabia-speech-crackdown-manahel-alotaibi-d…
[9] /Frauenrechte-in-Saudi-Arabien/!5507266
## AUTOREN
Jannis Hagmann
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