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# taz.de -- Waffenexport zur arabischen Halbinsel: Ein bisschen Frieden mit den…
> Schon wieder eine Zeitenwende: Die Grünen stimmen Waffenlieferungen an
> das wahhabitische Königreich zu und zittern um ihr Rüstungsexportgesetz.
Bild: Betankung eines Eurofighters während eines bewaffneten Patrouillenfluges
Jerusalem/Berlin taz | Wenige Stunden, nachdem Annalena Baerbock in
Jerusalem eingetroffen ist, hängt sie mit einem Ohr schon wieder in der
Heimat. Die Grünen-Politikerin muss am Montag hektische Telefonate führen,
denn [1][in ihrer Partei brodelt es nach ihre Ankündigung vom Vorabend]:
Dass sie am ersten Tag [2][ihrer Nahost-Reise] einen neuen Kurs für den
Verkauf von Kriegsgerät an Saudi-Arabien bekanntgegeben hat, sorgt bei
Parteifreund*innen in Berlin für Unmut.
Gleich zwei Geschäfte bringen das Thema Rüstungsexporte zu Jahresbeginn
zurück auf die Tagesordnung: Die Bundesregierung gibt ihr Veto dagegen auf,
dass Großbritannien dem saudischen Regime [3][eine neue Tranche der
gemeinsam gebauten Eurofighter-Kampfjets anbietet]. Außerdem erhält das
Land deutsche Raketen für die Flugabwehr. Eine Kehrtwende, nachdem
Rüstungsgüter für Riad seit 2018 ein Tabu waren.
Der Angriff der Hamas auf Israel und der neue Nahost-Krieg haben dazu
geführt, dass die Ampel erneut Prinzipien abräumt. Diesmal ist die Sache
vor allem für die Grünen verzwickter als beim ersten Teil der „Zeitenwende�…
vor zwei Jahren: Die Waffenlieferungen an die Ukraine nach der russischen
Invasion im Februar 2022 waren für die Partei zwar ein großer Schritt, aber
mit Völkerrecht und Demokratie kohärent begründbar. Der Fall Saudi-Arabien
aber?
Die Bundesregierung sieht das Regime als strategischen Partner. Außerdem
will die Koalition schon länger europäische Rüstungskooperationen stärken �…
dabei sieht sie eine harte Linie bei Gemeinschaftsprojekten wie dem
Eurofighter als Hindernis.
Auf der anderen Seite wurden die Saudis zu anderen Zeiten mit gutem Grund
mit spitzen Fingern angefasst. Frauen erhalten dort nur schleppend mehr
Rechte, LGBTIQ-Personen werden verfolgt, [4][die Todesstrafe trifft auch
Oppositionelle]. Bisweilen werden Regimekritiker schon mal im Ausland
ermordet, wie im [5][Fall Khashoggi]. In Konflikten wie dem Jemen-Krieg hat
das Regime [6][das humanitäre Völkerrecht missachtet].
Es ist ein Spannungsverhältnis, in dem sich die Bundesregierung auch bei
anderen Rüstungsgeschäften bewegt. So gibt es [7][Pläne für einen
U-Boot-Deal mit Indien], der helfen soll, das Land aus der Abhängigkeit von
russischen Rüstungsgütern zu lösen. Auf der anderen Seite ist die
Menschenrechtslage vor Ort verheerend.
## Restriktionen für Lieferungen an menschenfeindliche Staaten
„Die geopolitischen Argumente kann ich ein Stück weit nachvollziehen. Aber
es gibt Grenzen“, sagt der Friedensforscher Max Mutschler, Friedensforscher
am Bonn International Centre for Conflict Studies. „Es ist belegt, dass die
saudische Kriegsführung das Völkerrecht aushöhlt. Der Fall zeigt, wie
wichtig ein Rüstungsexportkontrollgesetz wäre, das seinen Namen verdient.“
Im Koalitionsvertrag hatten sich Grüne, FDP und SPD darauf geeinigt, ein
solches Gesetz schnell auf den Weg zu bringen. Es sollte bisherige
Regelungen bündeln und stärken. Das Gesamtvolumen deutscher Rüstungsexporte
würde das Gesetz nicht unbedingt senken – für Geschäfte mit Partnerstaaten
sollte es sogar Lockerungen beinhalten. Für die Lieferung an
menschenfeindliche Staaten waren aber Restriktionen vereinbart.
Im Angesicht der aktuellen Diskussion drängen die Grünen jetzt noch mal auf
das Projekt. „Es ist gut, dass die Sozialdemokraten [8][auf ihrem Parteitag
im Dezember] diesem gemeinsamen Vorhaben Nachdruck verliehen haben, denn
gemeinsam wollen wir für zukünftige Rüstungsexporte einen verbindlichen
Rahmen setzen, der Menschenrechte schützt und unseren demokratischen
Standards angemessen ist“, sagt Parteichef Omid Nouripour der taz.
Die Partei könnte das Gesetz als Erfolg verkaufen und es als Argument gegen
Kritiker*innen wie Linken-Chefin Janine Wissler vorbringen, die in
dieser Woche sagte, die Grünen seien „friedenspolitisch am Ende“.
Die Umsetzung ist jedoch mühsam. Seit Beginn des Nahost-Kriegs scheinen die
Zeiten endgültig ungünstig für restriktive Regeln. Erschwerend kommt die
Arbeit der Rüstungslobby hinzu, die auch in die Ampel-Koalition gut
vernetzt ist.
## Friedensorganisationen sind ernüchtert
[9][Im Herbst 2022 präsentierte Sven Giegold], grüner Staatssekretär im
Wirtschaftsministerium, nach langem Ringen erste Eckpunkte für das Gesetz.
Die Waffenkonzerne lehnten sich entspannt zurück,
[10][Friedensorganisationen reagierten dagegen ernüchtert]. Ein Klagerecht
für Verbände war vom Tisch. Egal, wie streng die neuen Regeln letztendlich
formuliert wären: Rechtlich durchsetzen ließen sie sich nur schwer. Das
deutsche Vetorecht für Exporte von Gemeinschaftsprojekten wie dem
Eurofighter sollte zudem abgeschwächt werden.
Immerhin sahen die Eckpunkte aber eine „besondere Bedeutung“ von Kriterien
wie Menschenrechten und Völkerrecht vor, dazu eine stärkere
Begründungspflicht gegenüber dem Bundestag. Künftig müsste also
detaillierter als jetzt erklärt werden, warum zum Beispiel die Sicherheit
Israels ohne Waffenlieferungen an Saudi-Arabien nicht gewährt werden
könnte. Mittlerweile ist aber sogar unklar, ob diese Regeln kommen.
Nach der Veröffentlichung der Eckpunkte sollte eigentlich alles schnell
gehen, fast anderthalb Jahre später hat die Regierung aber noch keinen
Gesetzesentwurf präsentiert. Staatssekretär Giegold lud zuletzt im November
eine Runde von NGO-Vertreter*innen zu einem Austausch ein. Einen neuen
Stand haben aber auch sie nicht erfahren.
Nach außen sichtbar war im vergangenen Jahr nur ein Fortschritt. Eine
geplante Neuregelung zugunsten der Rüstungsindustrie – abgesenkte Vorgaben
für Exporte in einzelne Länder wie Südkorea und Singapur – hat die
Regierung vorgezogen und in Form einer Verordnung umgesetzt.
Zur Frage, warum ansonsten Stillstand herrscht, gibt sich die Koalition
verschlossen. Ein offenes Geheimnis war aber schon vor Monaten, dass sich
die Grünen im Streit für strenge Regeln alleingelassen fühlen. Auch wenn
sich der SPD-Parteitag zuletzt für Restriktionen aussprach, halten es
sozialdemokratischen Minister*innen anders. Bei einer Veranstaltung der
Rüstungslobby kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius laut dem
Fachdienst Table.Media an, die Exportpolitik mit dem Gesetz lockern zu
wollen.
## Es gibt zu wenige Demokratien
Die FDP verwehrt sich ohnehin gegen scharfe Vorgaben. „Wenn wir unsere
Interessen global wahren wollen, können wir die Zusammenarbeit mit
nicht-demokratischen Staaten wie Saudi-Arabien nicht per se ausschließen“,
sagt ihr verteidigungspolitischer Sprecher Alexander Müller. „Laut
Demokratie-Index gelten nur 21 Staaten weltweit als vollwertige
Demokratien, da hat man dann keine große Wahl mehr bei den internationalen
Partnern“.
Es lässt sich leicht ausmalen, wie mühselig sich bei diesem Frontverlauf
das Ringen um den genauen Wortlaut des Gesetzes gestaltet – und damit um
die Details, die darüber entscheiden, welche Wirkung es in der Praxis
entfaltet. Ob Menschenrechte ein Kriterium von „herausragender“ oder nur
von „besonderer Bedeutung“ sind, ob das generell gilt oder nur
„grundsätzlich“, macht einen großen Unterschied.
Nach dieser Woche könnte es dabei für die Verfechter*innen einer harten
Linie noch schwieriger werden. Die Gegenseite hat ein Argument
hinzugewonnen: Wenn sich selbst die Grünen im Kabinett für Waffenexporte
nach Saudi-Arabien aussprechen – warum sollte die Ampel dann noch Regeln
beschließen, die solche Geschäfte in Zukunft erschweren? Ob das Gesetz am
Ende also auch nur halbwegs beinhaltet, was im Koalitionsvertrag vereinbart
war, ist fraglicher denn je. Und sogar, dass das Vorhaben gänzlich
scheitert, gilt in Ampel-Kreisen mittlerweile als möglich.
13 Jan 2024
## LINKS
[1] /Waffenlieferungen-in-Kriegsgebiete/!5983962
[2] /Drei-Monate-Israel-Gaza-Krieg/!5984870
[3] /Waffenexport-fuer-Saudi-Arabien/!5985057
[4] /Todesstrafe-in-Saudi-Arabien/!5982250
[5] /Nach-Mord-an-saudischem-Journalisten/!5843669
[6] /Krieg-im-Jemen/!5857849
[7] /Strategische-Partnerschaft-mit-Indien/!5936363
[8] /Parteitag-in-Berlin/!5975911
[9] /Regelung-der-Ruestungsexporte/!5898430
[10] /Regelung-der-Ruestungsexporte/!5898430
## AUTOREN
Tanja Tricarico
Tobias Schulze
## TAGS
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