# taz.de -- Gründe für Angriff auf Israel: Sabotage und Vergeltung | |
> Warum hat die Hamas genau jetzt diese Eskalation losgetreten? Grund ist | |
> neben Vergeltung auch eine zunehmende Annäherung Israels an | |
> Saudi-Arabien. | |
Bild: Palästinenser feiern am Samstag auf einem zerstörten israelischen Panze… | |
Es sah zuletzt trotz der schweren [1][innenpolitischen Krise] gar nicht | |
schlecht aus für die israelische Regierung. Zwar [2][eskalierte schon seit | |
Monaten der Konflikt mit den Palästinensern im Westjordanland] und gingen | |
im eigenen Land [3][wöchentlich Hunderttausende Israelis auf die Straße], | |
um gegen den geplanten Justizumbau der Regierung zu demonstrieren. Doch | |
außenpolitisch bewegte sich etwas: Nachdem mehrere arabische Staaten in den | |
letzten Jahren ihre Beziehungen zu Israel normalisiert hatten, sollte nun | |
das Schwergewicht in der Region folgen: Saudi-Arabien. | |
Was da in den letzten Wochen Gestalt annahm, wäre in der Tat historisch, | |
wie [4][Benjamin Netanjahu im September vor der UN-Generalversammlung] | |
großmundig verkündete: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen | |
Saudi-Arabiens zu Israel und damit die Anerkennung des jüdischen Staats | |
durch die einflussreiche Öl-Monarchie – und zwar ohne politische Lösung des | |
Israel-Palästina-Konflikts – wäre ein Paradigmenwechsel in der Region. Ein | |
„neuer Mittlerer Osten“ sei im Entstehen, so Netanjahu. Weitere arabische | |
Staaten würden folgen, so die Hoffnung. | |
Auch wenn ein Normalisierungsabkommen mit den Saudis noch nicht in | |
trockenen Tüchern war: Allein die Entwicklungen der letzten Wochen waren | |
ein außenpolitischer Erfolg, den Jerusalem für sich verbuchen konnte. Keine | |
zwei Wochen ist es her, dass mit Tourismusminister Haim Katz erstmals ein | |
israelischer Minister offiziell Saudi-Arabien besuchte. Letzte Woche folgte | |
der israelische Kommunikationsminister und feierte bei einer | |
Gebetsveranstaltung in Riad symbolträchtig das jüdische Laubhüttenfest. | |
Netanjahu hatte zur UN-Generalversammlung auch gleich eine Karte | |
mitgebracht, die Israel umringt von seinen neuen und potenziellen | |
Verbündeten zeigte. Die palästinensischen Gebiete dagegen – das | |
Westjordanland und der Gazastreifen, aus denen einmal ein eigener Staat im | |
Rahmen einer Zweistaatenlösung werden sollte – waren gar nicht erst | |
eingezeichnet. | |
Mit brachialer Gewalt hat die im Gazastreifen herrschende Hamas dieser | |
Entwicklung nun etwas entgegengesetzt. Insofern ist der gelungene | |
Überraschungsgroßangriff auch als Sabotage einer regionalpolitischen | |
Entwicklung zu verstehen, in der die Palästinenser schlicht keine Rolle | |
mehr spielen. Die Saudis betonen zwar, dass sie ohne deutliche | |
Verbesserungen für die Palästinenser nicht zu einer Normalisierung bereit | |
seien. Was sich aber in der seit Jahren völlig festgefahrenen Situation im | |
Westjordanland und dem Gazastreifen konkret ändern könnte, blieb unklar. | |
Ein eigener palästinensischer Staat jedenfalls steht schon längst nicht | |
mehr zur Debatte. | |
## Saudisches Atomprogramm | |
Als Gegenleistung für eine mögliche Normalisierung mit Israel sind für die | |
Saudis zwei andere Forderungen viel wichtiger, die mit Palästina rein gar | |
nichts zu tun haben: umfassende Sicherheitsgarantien der USA im Rahmen | |
eines militärischen Beistandspakts und Unterstützung aus Jerusalem und | |
Washington für ein eigenes ziviles Atomprogramm. Einem Bericht des Wall | |
Street Journals zufolge ziehen Israel und die USA ernsthaft in Erwägung, | |
Saudi-Arabien es nicht nur zu erlauben, sondern es auch aktiv darin zu | |
unterstützen, Uran auf saudischem Boden anzureichern. | |
Nach dem [5][Hamas-Angriff auf Israel vom Samstag] hat Saudi-Arabien ein | |
„sofortiges Ende der Eskalation“ gefordert. Und tatsächlich dürfte Riad | |
daran gelegen sein, denn Hunderte getötete Palästinenser*innen in | |
Gaza, möglicherweise auch deutlich mehr in den nächsten Tagen und Wochen, | |
werden die Palästinasolidarität auch in der saudischen Bevölkerung stärken. | |
Die jüngste Eskalation treibt den Preis in die Höhe, den Riad für eine | |
Normalisierung mit Israel zahlen würde. | |
Für die Hamas stellt der Angriff aber mehr dar als eine Sabotage des | |
regionalpolitischen Trends. Das Jahr 2023 war in Israel und Palästina das | |
blutigste seit Jahren. Seit Jahreswechsel wurden mehr als 200 | |
Palästinenser*innen bei israelischen Militäreinsätzen und | |
Zusammenstößen mit Sicherheitskräften getötet – so viel wie seit fast | |
zwanzig Jahren nicht mehr. Dem standen auf israelischer Seite rund 30 | |
Todesopfer durch palästinensische Terrorangriffe entgegen. | |
Allein zahlenmäßig kann die Hamas nun für sich verbuchen, mit der | |
schlagkräftigsten Armee der gesamten Region auf Augenhöhe mithalten zu | |
können. Mehr als 600 Tote bei nur einer Aktion, das hat es in der | |
gewaltreichen Geschichte des Nahostkonflikts noch nicht gegeben. Hinzu | |
kommen offenbar mehr als hundert israelische Geiseln in der Gewalt der | |
Islamisten, wie die israelische Regierung am Sonntag meldete. | |
So bestialisch die Gewalttaten, so schockierend die Bilder auch sind: Die | |
Hamas hat gehalten, was sie im Juli angekündigt hatte, nachdem bei | |
[6][einem Armeeeinsatz in Dschenin], einer Hochburg palästinensischer | |
Militanter im Westjordanland, zwölf Palästinenser*innen getötet | |
wurden. Sie kündigte Rache an und sprach, als ein Angreifer in Tel Aviv | |
noch während des Armeeeinsatzes in eine Menschenmenge fuhr, von einer | |
„ersten Reaktion“. „Die Besatzung“, also Israel, werde „den Preis fü… | |
Verbrechen in Dschenin zahlen“ – Aussagen, die nach dem Angriff vom Samstag | |
in einem anderen Licht stehen. | |
Zu befürchten ist, dass die Strategie der Hamas aufgeht, sich mit der | |
Aktion innerhalb der palästinensischen Bevölkerung als Hauptakteur vor | |
allem gegenüber der gemäßigteren Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud | |
Abbas durchzusetzen, die im Westjordanland das Sagen hat – und dass dabei | |
die Tatsache nicht im Weg zu stehen scheint, dass die Hamas nicht zwischen | |
militärischen und zivilen Zielen unterscheidet. Frauen, Kinder, Alte: | |
Getötet oder verschleppt wurde am Wochenende jede und jeder. Dass die | |
terroristische Kriegsführung einer breiten Unterstützung für die Hamas | |
entgegensteht, ist zu hoffen, doch davon ist kaum auszugehen, so verhärtet | |
sind die Fronten zwischen Israelis und Palästinensern, so persönlich | |
betroffen ist fast jede Familie in den palästinensischen Gebieten von der | |
Gewalt der letzten Jahre und Jahrzehnte. | |
Was in den kommenden Tagen und Wochen kommen dürfte, wird diese Entwicklung | |
noch vorantreiben. Dass es in Gaza nicht bei den rund 400 Toten vom Sonntag | |
bleibt, ist sicher. Die Hamas operiert aus dicht bevölkerten Stadtteilen | |
heraus und nimmt getötete Zivilist*innen in Kauf. Israel hat zuletzt | |
bei der [7][Bombardierung Gazas 2021] klargemacht, dass es sich davon nicht | |
abschrecken lässt. Sollte die Regierung zusätzlich zu Luft- und | |
Artillerieschlägen auch mit Bodentruppen in das Küstengebiet vorrücken, um | |
Geiseln zu befreien und die Stellungen der Hamas zu bekämpfen, wird diese | |
das gnadenlos ausschlachten und sich als Opfer einer israelischen | |
Aggression darstellen, um weitere Unterstützung zu gewinnen. | |
„Wir werden die Hamas zerstören, langsam, aber sicher“, sagte der ehemalige | |
Nationale Sicherheitsberater Yaakov Amidror in einem Pressebriefing am | |
Sonntag. Persönlich habe er am Samstag auf die harte Tour lernen müssen, | |
dass eine Terrororganisation eine Terrororganisation ist und ihre | |
Unterstützer dementsprechend behandelt werden müssen, das heißt: getötet. | |
Was dann perspektivisch aus dem Gazastreifen werden solle, wollten die | |
Journalist*innen wissen? „Alles andere ist das Problem der Leute in | |
Gaza.“ | |
8 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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