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# taz.de -- Nahost-Konflikt: Alternative Narrative
> Die Hamas schreibt sich den bewaffneten Widerstand auf die Fahne und
> lässt keinen anderen Weg gelten. Folgen muss man ihr deshalb noch lange
> nicht.
Bild: „Die Hamas hat die Körper der Palästinenser zu einem Werkzeug gemacht…
Wie bedauerlich, dass der aktuell vorherrschende palästinensische Diskurs
jede innenpolitische Kritik an der Hamas zum Schweigen bringt. Dabei kommt
immer dasselbe Argument: Jetzt, so heißt es, sei nicht der richtige
Zeitpunkt, um die Bewegung zu kritisieren, die allein an der Spitze des
Kampfes gegen die Besatzung steht.
Dieser Sichtweise zufolge müssen wir uns auf absehbare Zeit der
mörderischen islamistischen Ideologie der Hamas anschließen und das
säkulare nationale palästinensische Narrativ ignorieren. All jene, die den
säkularen Vorstellungen folgen – und das ist die Mehrheit der Palästinenser
und Palästinenserinnen sowohl innerhalb als auch außerhalb des
Gazastreifens –, müssen sich gegen die eigene Haltung positionieren.
Die wenigen, die es bislang gewagt haben, die Hamas, ihre Methoden und die
Folgen des 7. Oktobers für den Gazastreifen zu kritisieren, werden stets
mit dem Slogan konfrontiert, den die Hamas völlig sinnentleert hat: „Wir
haben das Recht auf Widerstand!“ Dieser Satz wird bis heute als die
ultimative Antwort auf jeden ethischen, moralischen und politischen Versuch
angesehen, [1][die banale Definition des Widerstands der Hamas] infrage zu
stellen.
Es ist, als sei „Wir haben das Recht auf Widerstand“ nicht nur eine
temporäre Maßnahme, sondern ein göttliches Gebot. Wichtig ist mir, an
dieser Stelle festzuhalten, dass ich unser grundsätzliches Recht als
Palästinenser und Palästinenserinnen, uns gegen die Besatzung zu wehren,
keinesfalls infrage stelle. Es ist ein Recht, das im Völkerrecht verankert
ist.
## Nur noch zwei Schritte zur Befreiung
Worüber ich jedoch streite, ist die Definition, sind die Methoden, die die
Hamas dem palästinensischen nationalen Narrativ und den Generationen, die
ihm blindlings gefolgt sind, aufgezwungen hat. Wichtig ist auch
festzuhalten, dass diese Kritik Israel keinesfalls von der Verantwortung
für [2][die unsägliche Vernichtung des Gazastreifens] entbinden soll.
Für die Hamas umfasst der Satz: „Wir haben das Recht auf Widerstand“, die
Zerstörung, die Auslöschung ganzer Familien im Gazastreifen als einen
notwendigen Preis auf dem Weg zur ersehnten nationalen Befreiung. All die
Verluste und Zerstörungen bringen uns Palästinenser dieser Interpretation
zufolge unseren Zielen näher. Je massiver und tragischer die Verluste sind,
desto größer die Chance für die nationale Befreiung. Demnach sind wir nach
dem Völkermord in Gaza nur noch zwei Schritte von der Befreiung entfernt.
Die Hamas hat diese Verluste zum einzigen Maßstab für den Erfolg des
palästinensischen Kampfes gegen die Besatzung gemacht. Und wir sollen dem
Preis, den sie fordert, ohne Fragen oder Vorbehalte zustimmen. Die Hamas
hat die Körper der Palästinenser zu einem Werkzeug gemacht, um ihre
politischen Ansichten durchzusetzen, und zum einzigen Werkzeug im Kampf für
die nationale Befreiung.
Sie hat die Palästinenser und Palästinenserinnen an der vordersten Front
des Widerstands allein gelassen und sie der systematischen Vernichtung
ausgesetzt. Und zwar nicht nur, weil sie alle Bewohner des Gazastreifens
für [3][das Blutbad vom 7. Oktober] verantwortlich gemacht hat. Sie hatte
nie vor, sie zu schützen. Der Plan von Beginn an war, die Menschen im
Gazastreifen für die eigenen Ziele zu benutzen.
Ich warne meine palästinensischen Schwestern und Brüder vor dem
gefährlichen Weg des Widerstands, den die Hamas propagiert und praktiziert.
Gefährlich nicht nur, weil die islamistische Bewegung ihre Version des
Widerstands instrumentalisiert, um interne palästinensische Kritik zum
Schweigen zu bringen. Gefährlich, weil sie die „Schahid-Industrie, den
Märtyrertod, verherrlicht. Gefährlich, weil sie den Palästinensern als
göttliches Gebot präsentiert wird.
## Hamas ohne politischen Horizont
Wer sich dagegen stellt, untergräbt die Legitimität des Projekts der
nationalen Befreiung, die einzig durch den bewaffneten Kampf und die damit
verbundenen Kollateralschäden zu erreichen sei. Wir sollten uns diesen
Geboten nicht unterwerfen und uns nicht mit unseren legitimen ethischen und
humanitären Fragen zum Schweigen bringen lassen.
Wir sollten unsere Denkprozesse, von denen sich die Hamas als Doktrin und
einzige politische Option untergraben fühlt, vorantreiben und andere Wege
suchen, die nicht über die Leichen von zigtausenden Palästinensern und
Palästinenserinnen führen. Ich appelliere an euch, meine palästinensischen
Schwestern und Brüder: Es ist an der Zeit zuzugeben, dass die Hamas keinen
politischen Horizont hat. Es ist an der Zeit, die gescheiterte
Interpretation des Widerstands zurückzuweisen.
Es ist an der Zeit, die Definitionen, Interpretationen und Praktiken
zurückzuweisen, die das katastrophale Narrativ vom 7. Oktober als
Widerstand wiederholen. Wir müssen nicht länger mit der Idee einhergehen,
dass die Hamas gerettet und ihre Führung rehabilitiert werden muss, während
sie weiterhin den Gazastreifen beherrscht. Vor allem müssen wir uns fragen,
wie in aller Welt der 7. Oktober als Widerstandsnarrativ unter den
Palästinensern und in der weiteren arabischen Welt legitimiert werden
konnte, wenn auch nur teilweise. Und was sagt das über uns und unser
Narrativ aus?
Jetzt ist die Zeit für eine andere Form, für andere Methoden des
palästinensischen Widerstands, die dem Geist der nationalen Befreiung
entsprechen, von dem wir träumen. Jetzt ist die Zeit, dem Ethos des
nationalen Widerstands nach der Enteignung durch die Hamas eine neue
Bedeutung zu verleihen. Unsere einzige Chance zu überleben, ist einzusehen,
dass die vorherrschende nationale Erzählung, die auf Opfermythos und
Selbstgerechtigkeit beruht, nicht mehr funktioniert.
Wir werden nur überleben, wenn wir uns auf den Weg machen, ein alternatives
palästinensisches Narrativ zu schaffen, in dem kein Platz für israelisches
Blut oder anderes Blut ist.
21 Nov 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Rajaa Natour
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