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# taz.de -- Hamas-Anschläge auf Israel: Die Welt wird neu gemischt
> Zum ersten Mal seit Februar 2022 ist die Ukraine nicht mehr das zentrale
> internationale Thema. Russland und die USA müssen sich nun neu
> positionieren.
Bild: Solidarische Flaggen: Menschen bei einer Pro- Israel-Kundgebung am 10. Ok…
Berlin taz | Der Hamas-Überfall auf Israel hat die Weltpolitik kalt
erwischt. Seit Februar 2022 beherrschte Russlands Überfall auf die Ukraine
die internationale Diplomatie. Wird der Krieg in der Ukraine nun vom Krieg
in Nahost in der globalen Aufmerksamkeit verdrängt?
Dieses Risiko ist dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski bewusst
und er hält dagegen, indem er sich positioniert. Als einer der ersten
Staatsmänner veröffentlichte er zu Beginn des Hamas-Angriffs am Samstag
eine klare [1][Solidaritätserklärung für Israel], nannte den Terror ein
„Verbrechen gegen die Welt“ und Israels Selbstverteidigungsrecht
„unstrittig“.
Am Mittwoch hat Selenski erstmals ein Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe im
sogenannten Ramstein-Format, das westliche Militärhilfe für die Ukraine
koordiniert, persönlich besucht. [2][Vor der Presse] in Brüssel mit
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg an seiner Seite rief er „die Führer
der Welt“ dazu auf, nach Israel zu reisen, und erinnerte an seine eigenen
Erlebnisse nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022: „Es war sehr
wichtig, nicht allein zu sein“, resümierte er. Anders als manche
ukrainischen Kommentatoren behaupten, gibt es keinen Beleg für die These,
Russland stecke hinter dem Hamas-Angriff auf Israel. Aber Russland kann
davon profitieren, auf mehreren Ebenen.
Es ist kein Geheimnis, dass Iran die Hamas militärisch unterstützt, nach
Darstellung Israels sogar anleitet. Iran und Russland kooperieren
militärisch seit Jahren in Syrien, wo sie beide das Assad-Regime mit
Truppen unterstützen, und Iran unterstützt Russland gegen die Ukraine vor
allem mit Drohnen. Hinter der aktuellen Schlagkraft der Hamas könne nur
eine auswärtige Macht stecken, mutmaßen Beobachter. Nach [3][Recherchen des
Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS)] baut Iran
seit 2014 in Gaza die lokale Rüstungsproduktion mit auf, und auch der
erfolgreiche Einsatz von Drohnen durch die Hamas beruhe auf iranischer
Expertise. Die Hamas „nutzt russische Taktiken aus dem Ukrainekrieg“,
[4][schreibt die israelische Zeitung Ha’a]retz.
Noch schlagkräftiger als die Hamas ist nach allgemeiner Einschätzung
Libanons Hisbollah-Miliz. Die Hisbollah war gemeinsam mit Irans
Revolutionsgarden und Russlands Luftwaffe entscheidend für den Sieg des
syrischen Assad-Regimes gegen die aus Syriens Demokratiebewegung
hervorgegangenen Rebellen. Die Achse Moskau–Teheran hat aber Lücken.
Regelmäßig bombardiert Israel in Syrien iranische Militäreinrichtungen –
mit Duldung Russlands, das an der syrischen Küste seine wichtigsten
ausländischen Militärbasen unterhält. Die informelle Stillhaltevereinbarung
zwischen Israel und Russland zulasten Irans ist der Hauptgrund dafür, dass
Israel sich aus dem Ukraine-Krieg weitgehend herausgehalten und
umfangreiche Militärhilfe für Kyjiw abgewiesen hat.
Dieses Kalkül könnte sich ändern, sollte die Hisbollah eine zweite Front
gegen Israel eröffnen – also von Norden aus einen Großangriff starten,
während Israels Militär im Gazastreifen im maximalen Einsatz ist. Berichten
zufolge hat Israel die Hisbollah gewarnt, in diesem Fall werde man Syrien
direkt angreifen. Dann würde aus dem Gazakrieg ein großer Nahostkrieg –
und Putin müsste sich zwischen Teheran und Jerusalem entscheiden.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Verlegung des größten
US-Flugzeugträgers, der „USS Ford“, von Italien nach Israel an der Spitze
einer Kriegsflotte besondere Brisanz. Die Kriegsschiffe seien am Dienstag
eingetroffen, [5][gab das US-Regionalkommando Centcom bekannt.] Ein zweiter
Flugzeugträger, „USS Eisenhower“, ist unterwegs und soll ab Monatsende den
USA „die Flexibilität bieten, auf andere Eventualitäten in Europa zu
reagieren“, schrieb in der Nacht zu Mittwoch der Fachbrief [6][Maritime
Executive].
Anders als bei der Ukraine besteht bei Israel kein Zweifel an der Fortdauer
der Unterstützung aus den USA, trotz der aktuellen Selbstblockade der
US-Institutionen in Washington. Der US-Kongress strich am 30. September auf
Druck des rechten Flügels der US-Republikaner alle von US-Präsident Joe
Biden beantragten neuen Finanzhilfen für die Ukraine aus dem Nothaushalt,
der für 45 Tage das Weiterlaufen der Regierungsgeschäfte gewährleistet.
Drei Tage später stürzten sie auch den Sprecher des
US-Repräsentantenhauses. Damit hat die extreme Rechte der USA, die
Russlands Putin-Regime nahesteht, bis auf Weiteres die Militärhilfe für die
Ukraine in der Hand. Dass die Hamas nur wenige Tage später Israel überfiel,
mag Zufall gewesen sein, aber es verschärft die Krise weiter, denn nun
spielt die US-Rechte auch noch Israel und die Ukraine gegeneinander aus.
Russland als Vermittler
„Alle Gelder für die Ukraine sollten an Israel umgeleitet werden“,
[7][schrieb] der republikanische US-Senator Josh Hawley am Montag auf X,
ehemals Twitter, ein Trump-Fan, der 2020 den Versuch angeführt hatte, die
Zertifizierung von Joe Bidens Wahlsieg durch den US-Senat zu stoppen. In
diesem politischen Lager geistert auch die Behauptung umher, US-Waffen
seien aus der Ukraine an die Hamas geschmuggelt worden – eine von
russischen Kreisen verbreitete [8][Falschnachricht]. Der
Militärgeheimdienst der Ukraine [9][sagt im Gegenzug], Russland rüste die
Hamas mit in der Ukraine erbeutetem Gerät aus.
Offiziell bringt sich Russland derweil als Nahostvermittler ins Spiel.
„Russland kann und wird eine Rolle bei der Regulierung spielen“, sagte
Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch und betonte, es sei wichtig, einen
„ausgewogenen Ansatz“ zu verfolgen und zu beiden Konfliktparteien Kontakt
zu halten. Für Israel-Verbündete ist es hingegen inakzeptabel, die Hamas
als Konfliktpartei auf eine Stufe mit Israel zu stellen, statt als
Terrororganisation zu ächten.
Diese Unterschiedlichkeit belastet auch die bereits durch den Ukraine-Krieg
angespannten Beziehungen zwischen dem Westen und dem Globalen Süden. Die
meisten Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika stehen im Nahostkonflikt
politisch auf der Seite Palästinas gegen Israel, ihre Gesellschaften noch
mehr als ihre Regierungen. Das heißt nicht, dass sie den Hamas-Terror
gutheißen. Aber sollten in den nächsten Tagen grauenhafte Bilder aus Gaza
die grauenhaften Bilder aus Israel verdrängen, steht eine erneute globale
Nord-Süd-Entfremdung an.
11 Oct 2023
## LINKS
[1] https://twitter.com/ZelenskyyUa/status/1710620036291780770
[2] https://twitter.com/AmichaiStein1/status/1712030700256272833
[3] https://www.iiss.org/online-analysis/online-analysis/2023/10/Hamas-attack-a…
[4] https://www.haaretz.com/israel-news/security-aviation/2023-10-09/ty-article…
[5] https://www.centcom.mil/MEDIA/PRESS-RELEASES/Press-Release-View/Article/355…
[6] https://www.maritime-executive.com/article/report-white-house-may-send-seco…
[7] https://twitter.com/hawleymo/status/1711465551485108615
[8] https://twitter.com/EliotHiggins/status/1711782985815453902
[9] https://gur.gov.ua/en/content/spetssluzhby-rosii-provodiat-kampaniiu-z-dysk…
## AUTOREN
Dominic Johnson
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