Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jerusalem nach Angriff der Hamas: Im Kriegszustand
> In Jerusalem leben Israelis und Palästinenser auf engstem Raum Tür an
> Tür. Doch der Hass auf den Nachbarn ist meist unversöhnlich. Ein
> Ortsbesuch.
Bild: Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist die dritthei…
Jerusalem taz | Isaak Al-Muwakt schiebt am Dienstagvormittag die roten
Metallverschläge vor seinem Gewürzladen in der Altstadt von Jerusalem auf
und schaltet die Beleuchtung ein. „Ich glaube, wir sollten, so gut es geht,
beim normalen Leben bleiben, das würde hier in der Stadt wahrscheinlich
allen am besten tun“, sagt der 46-Jährige mit grauem Vollbart. Natürlich
sei er angespannt. „Was in den letzten Tagen in und um Gaza passiert ist,
haben wir noch nie zuvor gesehen.“ Doch überrascht habe es ihn nicht. „Wir
haben es alle gefühlt, es konnte so nicht weitergehen“, sagt er.
In der Altstadt von Jerusalem, wenige Hundert Meter vom Tempelberg mit der
Al-Aksa-Moschee entfernt, ist es ruhig. Auf den Straßen, auf denen sich
sonst Touristen und Pilger zwischen jüdischen, muslimischen und
christlichen Einwohnern drängen, ist wenig los. Aus einem Fernseher im
Nachbarladen tönt eine hitzige Debatte, wie Israels Regierung auf den
beispiellosen Angriff der Hamas regieren soll. Bis Samstag kaum
vorstellbar, wird nun über den möglichen Einmarsch der Armee in den
Gazastreifen diskutiert.
Hunderte von Terroristen waren am Samstag im Auftrag der im Gazastreifen
herrschenden [1][Hamas in einem Überraschungsangriff über die Grenze nach
Israel gekommen]. Bei den darauf folgenden Angriffen sowie einem Massaker
unter Teilnehmern eines Musikfestivals wurden rund 1.000 Menschen getötet,
Männer, Frauen und Kinder. Mehr als 2.600 Menschen wurden nach Angaben des
israelischen Gesundheitsministeriums verletzt. Israel reagierte mit
Luftangriffen im Gazastreifen, bei denen laut Gesundheitsministerium in
Gaza 788 Menschen, einschließlich mehr als 140 Kinder und 120 Frauen,
getötet wurden. Mehr als 4.100 Menschen seien bei den Luftangriffen
verletzt worden.
Die Hamas versucht indes, ihren Angriff auf den Rest des Landes
auszuweiten: Für Freitag ruft sie nun zu einem „Tag der Al-Aksa-Flut“ auf.
Der Konflikt soll damit auch auf den Jerusalemer Tempelberg getragen
werden, der sowohl für Juden wie für Muslime einige der heiligsten Stätten
ihrer Religion beherbergt. In der Altstadt leben Juden, Muslime und
Christen, Israelis und Palästinenser seit langem Tür an Tür.
„Es bricht uns das Herz, dass Menschen, die nichts mit allem zu tun haben,
auf beiden Seiten den Preis für die Politiker bezahlen müssen“, sagt
Al-Muwakt. „Wenn du siehst, dass so viele Zivilisten ermordet werden.“ Die
letzten Tage habe er wie die meisten Menschen hier Zuhause vor den
Nachrichten oder am Handy verbracht, immer wieder unterbrochen vom
Raketenalarm. „Aber es war zu erwarten und wir fühlen alle, wer dafür
verantwortlich ist.“
Hamas-Militärführer Mohammed Deif hat den blutigen Angriff am Samstag, bei
dem vor allem Zivilisten getötet wurden, als „Al-Aksa-Flut“ bezeichnet. Als
Gründe für die Attacke nannte er „israelische Verbrechen“ und Angriffe auf
den Tempelberg.
Al-Muwakt sagt: „Das Problem ist: Es gibt in diesem Land keine Sicherheit
für Palästinenser.“ Wenn sein 19-jähriger Sohn, der ihm heute im Laden
hilft, zur Schule oder ins Fitnessstudio gehe, wisse er stets, dass er
nicht zurückkommen könnte.
Immer wieder sterben im Westjordanland und in Jerusalem Palästinenser, oft
Minderjährige, bei Auseinandersetzungen mit militanten Siedlern oder der
Armee. Immer wieder trifft es dabei auch Unbeteiligte. Seit Samstag wurden
im Westjordanland bei eigenen Anschlägen und Zusammenstößen 18
Palästinenser getötet. Doch die meisten Menschen in Jerusalem und auch im
Westjordanland scheinen bisher dem Aufruf der Hamasführung, sich dem Krieg
gegen Israel anzuschließen, nicht zu folgen.
Dennoch ist die Lage in Jerusalem angespannt. Anders als in anderen Teilen
des Landes leben in den engen Gassen der Altstadt Palästinenser und
jüdische Siedler Tür an Tür. Hinter Al-Muwakts Laden führt eine schmale
Treppe aus der engen Marktstraße auf die Dächer der Stadt. Hier haben sich
mit Blick auf die goldene Kuppel des Felsendoms religiöse jüdische Siedler
niedergelassen und eine Thoraschule gegründet.
Jehuda und Meir, beide mit langen Schläfenlocken und schwarzen Kippas,
stehen auf dem mit grünem Kunstrasen ausgelegten Flachdach und sehen ihren
Gemeindemitgliedern dabei zu, wie sie das kleine Zelt abbauen, das sie in
ihrer Gemeinde für das jüdische Laubhüttenfest Sukkot errichtet hatten.
„Wir hatten in Jerusalem die letzten Tage keine Probleme, aber wir schauen
alle nach Süden“, sagt Jehuda. Südwestlich von Jerusalem liegt der
Gazastreifen. „Ich erwarte, dass es Krieg geben wird und ich glaube, es ist
etwas Gutes, dass jetzt jeder weiß, dass die Araber Mörder sind und dass
sie uns umbringen wollen.“ Er lebe hier mit seinen arabischen Nachbarn, als
Siedler. „Aber ich weiß, dass sie uns hassen. Es steht in ihrem Koran
geschrieben.“
Im Stockwerk darunter, im Gewürzladen, kann Al-Muwakt darüber nur müde
lachen. „Das ist, was sie sagen, aber am Ende kaufen sie ganz normal bei
mir ein, wie alle anderen auch. Manche grüßen uns sogar.“ Das Problem seien
die radikalen Siedler, die mit Sturmgewehren und Pistolen durch die Stadt
liefen und genau wüssten, dass sie höchstwahrscheinlich vor Gericht
davonkommen könnten, wenn sie einen Palästinenser töten würden.
Als Reaktion auf die Angriffe der Hamas hat der rechtsextreme Minister für
Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, am Dienstag verkündet, er wolle
4.000 Sturmgewehre an Freiwillige in gemischten Städten mit jüdischer und
muslimischer Bevölkerung verteilen. Al-Muwakt sagt: „Ich glaube, am Ende
hat dieses Denken zu dem geführt, was in Gaza passiert.“ Die Politik, die
Israels religiös nationalistische Regierung zuletzt zulasten der
Palästinenser forciert hat, habe die ohnehin schon angespannte Lage
endgültig eskalieren lassen.
In den engen Gassen der Stadt stehen alle paar hundert Meter Checkpoints
der israelischen Grenzpolizei. Je mehr man sich den großen Toren zum
Tempelberg nähert, den Muslime auch Al Haram Asch Scharif nennen, desto
mehr Läden haben geschlossen. Die große Marktstraße vor dem Eingang, sonst
voller Süßigkeitenläden und Shisha-Cafés, ist am Dienstag verwaist. Nur
zwei israelische Sicherheitsbeamte bewachen den Zugang.
Seit der Eroberung Ostjerusalems durch israelische Truppen 1967
kontrolliert Israel den Zugang zum Tempelberg. Dieser sogenannte Status Quo
regelt zudem, dass das Gelände selbst von der muslimischen Waqf-Behörde
verwaltet wird und jüdische Besucher sich dort nur zu bestimmten Zeiten
aufhalten dürfen. Beten ist ihnen dort untersagt. Verstöße gegen den Status
Quo durch jüdische Siedler führen immer wieder zu Spannungen.
Heute sei es ruhig, sagt einer der Grenzpolizisten. Das liege aber auch
daran, dass die meisten Checkpoints ins Westjordanland geschlossen seien.
Viele Palästinenser, die täglich zum Arbeiten kommen, bleiben auch deshalb
zuhause.
Geht es nach der Hamas, sollen [2][junge Palästinenser am Freitag im
Westjordanland Polizisten attackieren]. Palästinenser mit israelischer
Staatsbürgerschaft sollen sich auf dem Tempelberg versammeln. So sollen sie
das palästinensische Volk “angesichts des offenen Krieges der
(israelischen) Besatzung“ unterstützen.
Vor dem Damaskustor, dem Zugang zum arabischen Viertel der Altstadt, hat
sich der Lehrer Mohammed in einem Café niedergelassen. „Ich habe heute
frei, weil alle Schulen zu sind“, erzählt er. Er wohne in Ost-Jerusalem.
Bisher sei es auch dort verhältnismäßig ruhig gewesen. Der palästinensische
Hebräischlehrer möchte keine Schätzung abgeben, wie viele Menschen sich dem
Hamas-Aufruf am Freitag anschließen könnten. „Aber es wird einen großen
Krieg geben, nach allem, was derzeit in Gaza und im Norden mit der
Hisbollah im Libanon passiert“, glaubt er.
Ein israelischer Polizist betritt das Café. Mohammed und er kennen sich.
Beide begrüßen sich auf Hebräisch, und für einen Moment scheint der Krieg,
der im Süden und Norden des Landes schon begonnen hat, weit weg. Es ist
eine wohltuende Szene in einer Stadt, in der der Hass auf den anderen oft
unversöhnlich zu sein scheint.
10 Oct 2023
## LINKS
[1] /-Hamas-Angriff-auf-Israel-/!5965785
[2] /Nach-Angriff-auf-Israel/!5962499
## AUTOREN
Felix Wellisch
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
Hamas
Israelische Armee
Jerusalem
Ost-Jerusalem
Tempelberg
GNS
Meinungsfreiheit
Israel
Kolumne Über den Ball und die Welt
Gaza
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
Hamas
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Absage von Comic-Vorstellung in Berlin: Keine Debatte ohne Volker Beck
Die Berliner „Urania“ cancelt kurzfristig die Vorstellung eines Comics über
Jerusalem mit dem französischen Historiker Vincent Lemire. Diese
Überreaktion ist symptomatisch.
Militärsoziologe über die Entführungen: „Hamas wird die Geiseln nutzen“
Dass die Geiseln mit Gewalt befreit werden können, hält Militärsoziologe
Yagil Levy für unwahrscheinlich. Warum Israel in Gaza vor einem Dilemma
steht.
Islamismus und Fußball: Sie wollen die Moderne auslöschen
Der tödliche Hass von Islamisten trifft Konzerte und Festivals. In Berlin
folgt der TuS Makkabi dem Rat, zunächst alle Wettbewerbe ausfallen zu
lassen.
Ausgesetzte Unterstützung für Gaza: Hilfe bleibt unverzichtbar
Natürlich dürfen Terroristen nicht von westlichem Geld profitieren. Aber
wer das Leiden der Menschen in Gaza verschlimmert, spielt der Hamas in die
Hände.
Hamas-Anschläge auf Israel: Die Welt wird neu gemischt
Zum ersten Mal seit Februar 2022 ist die Ukraine nicht mehr das zentrale
internationale Thema. Russland und die USA müssen sich nun neu
positionieren.
Israelfeindlichkeit in Berlin: „Schlimmer als Querdenken“
Polizeipräsidentin Barbara Slowik rechnet im Zusammenhang mit dem Krieg in
Israel damit, dass sich die Situation auch in Berlin zuspitzen wird.
Hamas-Überfall auf Kibbuz Kfar Aza: „Kein Frieden mit Hamas möglich“
Die Bilder aus dem Kibbuz schockieren selbst hartgesottene Militärs. Mehr
als 100 Menschen hat die Hamas ermordet, darunter auch Kinder.
+++ Hamas-Angriff auf Israel +++: Israel beschließt Notstandsregierung
Minister bestätigen die Bildung einer Notstandsregierung. Das einzige
Kraftwerk in Gaza ist vom Netz. Hamas und Islamischer Dschihad melden
massive Raketenangriffe auf Israel.
Nach Angriff auf Israel: Raketen auf Aschkelon
Die Hamas feuert Raketen auf Israel ab. Dessen Armee setzt den Beschuss von
Gaza fort. Für Freitag rufen die Islamisten zu gewaltsamem Widerstand auf.
+++ Hamas-Angriff auf Israel +++: Gazastreifen blockiert
Der einzige Grenzübergang zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist
geschlossen worden. Die UN verhandeln über den Transport humanitärer
Hilfsgüter.
Terrorunterstützer in Deutschland: Hamas-Freunde verbieten?
In Berlin, München oder Duisburg relativieren propalästinensische Gruppen
den Terror gegen Israel. Verbotsforderungen werden lauter.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.