# taz.de -- Protest gegen saudischen Ölkonzern: Mittelfinger für den Frauenfu… | |
> Über hundert Profispielerinnen protestieren gegen einen Fifa-Deal mit | |
> Ölkonzern Saudi Aramco. Ihr Protest zeigt, wie Diversität den Sport | |
> verändert. | |
Bild: Ein Mittelfinger für Menscherechte, Gleichberechtigung und Klimaschutz i… | |
Vielleicht haben sich Gianni Infantino und seine korrupte Fifa ihr Geschäft | |
einmal so vorgestellt: Oh, dieser Fußball für Frauen und sonstige | |
Randgruppen wirft jetzt Geld ab. Und seit der richtige Fußball, also der | |
Männerfußball, [1][fast bis zum Exitus verscherbelt ist], retten uns die | |
Frauen vielleicht sogar das Business. Noch mal Wachstum, die neuen | |
Sponsoren (Kosmetik!) und PR mit diesem Dings, wie heißt es, Diversity. Und | |
wie dankbar sie sein werden, die Frauen. In Teilen hat dieser Plan prächtig | |
funktioniert, [2][etwa bei der letzten WM mit Rekordpublikum, | |
Rekord-TV-Quoten und einem erstmaligen finanziellen Plus]. Aber wer die | |
Türen des Sports öffnet und zähneknirschend-lächelnd andere Menschen zum | |
Tisch lädt, der verändert auch die Tischgesellschaft. Und die schafft den | |
Sport. | |
Es sind denkwürdige Worte, die 106 Profifußballerinnen aus 24 Ländern in | |
einem offenen Brief an die Fifa richten. Die zeige „dem Frauenfußball den | |
Mittelfinger“, ja, könne „genauso gut Öl auf den Platz gießen und ihn in | |
Flammen aufgehen lassen“. Der Anlass: Der staatliche saudische Ölriese | |
Saudi Aramco soll unter anderem die Männer-WM 2026 und die Frauen-WM 2027 | |
sponsern. Für die unterzeichnenden Spielerinnen ein „Alptraum“: wegen | |
[3][der saudischen Inhaftierung von Frauenrechtlerinnen], | |
[4][Kriminalisierung von LGBTQ+] und der Rolle von Saudi Aramco in der | |
Klimakatastrophe. „Diese Entscheidungen wurden von Männern getroffen, die | |
privilegiert genug sind, um nicht bedroht zu sein.“ Neben dem Ende des | |
Deals fordern sie ein neues Komitee auch mit Spielerinnen, das | |
Sponsoringdeals prüfen soll. | |
Im Grunde ist dieser Brief eine Revolutionserklärung. Dass nämlich | |
Fußballerinnen derart international gegen einen Sponsor protestieren, ist | |
ein Novum. Zwar gab es schon 2023 erfolgreiche Proteste gegen ein | |
Sponsoring der saudischen Tourismusbehörde Visit Saudi vor der Frauen-WM. | |
Damals jedoch vor allem von den Gastgebern. Was nun passiert, ist auch | |
[5][ein Erbe der von Fans getragenen Katar-Proteste]. Mit der | |
Niederländerin Vivianne Miedema, Ex-US-Kapitänin Becky Sauerbrunn und | |
Kanadas Kapitänin Jessie Fleming haben durchaus prominente Namen | |
unterzeichnet. Und der Widerstand dieser sportlich erfolgreichen, marken- | |
und selbstbewussten Generation könnte langfristig Werbung im Fußball | |
verändern. | |
## Bemerkenswert breite Kritik | |
Bemerkenswert ist, wie breit sich die Kritik aufstellt. Es geht nicht nur | |
um direkte eigene Betroffenheit bei Frauenrechten und LGBTQ+, sondern auch | |
etwa um [6][die Auswirkungen der Klimakrise auf den Breitensport] – ein | |
Argument, das unter Profis bisher kaum eine Rolle spielte. Wieder einmal | |
erweist sich, dass Spielerinnen näher an gesellschaftlichen Diskursen dran | |
sind als Jungs, die ihr Leben lang nur gekickt haben. Und die | |
grunddemokratische Forderung, mitzuentscheiden, für wen man wirbt, ist ganz | |
groß. Allerdings ist auch interessant, was dieses Schreiben nicht kann. | |
Auffällig ist, dass dann doch fast alle großen Namen fehlen. Die Kernmärkte | |
England, Frankreich, Spanien und Deutschland sind kaum vertreten, aus | |
Deutschland ist nur Nationalspielerin Paulina Krumbiegel dabei. Da will | |
sich offenbar doch manche ihre Karriereoptionen nicht verbauen. Mit Sara | |
Björk Gunnarsdóttir wechselte jüngst die erste prominente Europäerin nach | |
Saudi-Arabien. | |
Die Mehrzahl der Unterzeichnenden stammt nicht zufällig aus den relativ | |
gleichberechtigten Märkten Skandinavien, Nordamerika und Australien. Echte | |
Globalität kann der Protestbrief nicht für sich in Anspruch nehmen. Gerade | |
arabische Fußballerinnen fehlen auffällig. Der sehr weiße, selektive und | |
privilegierte Blick bleibt ein chronisches Problem der Bewegung gegen die | |
Golfstaaten. Das dürfte man auch im Globalen Süden so wahrnehmen. | |
## Opfer sind nicht gleich viel wert | |
Kritik an saudischen Menschenrechtsverletzungen geht leicht von der Hand; | |
an den Menschenrechtsverletzungen von westlich-demokratischen Gastgebern | |
oder deren Sponsoren stört man sich wenig. Dass die Spielerinnen im Brief | |
etwa die WM in Australien als „neuen Standard für Inklusivität und | |
Nachhaltigkeit“ feiern, ist fast schon bizarr. Ein Turnier, bei dem wie | |
verrückt geflogen wurde, zu Gast beim weltweiten Kohleexporteur Nummer | |
eins, [7][der schmutzige Industrien protegiert wie sonst nur Golfstaaten, | |
in seinen Gefängnissen systematisch Menschenrechte Indigener verletzt und | |
eine der menschenfeindlichsten Anti-Migrations-Politiken der Welt | |
betreibt]. Nein, Opfer sind auch im Fußball nicht gleichwertig. | |
Es ist also durchaus angreifbar, was Spielerinnen da formulieren. Trotzdem | |
ist der Brief ein echter Wendepunkt. Er belegt: Das Geschäftsmodell der | |
Fifa ist nicht mehr unantastbar. Auch wenn dieser Protest vermutlich noch | |
nicht den Deal zum Platzen bringt, die zivilgesellschaftliche Front wird | |
breiter. Das ist wohl nicht die Art Fortschritt, die Infantino im Kopf | |
hatte, als er die Tür zum großen Geldscheffeln einen Spalt öffnete. Es ist | |
Fortschritt, der passiert, wenn Menschen durch diese Tür gehen. Wer | |
glaubte, es würde sich nichts ändern, wenn man Frauen reinlässt, hat sich | |
verrechnet. | |
23 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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