# taz.de -- Massives Investment in Europa: Fußball made in USA | |
> US-Investoren kaufen sich in den europäischen Fußball ein. Bislang wird | |
> das hierzulande kaum diskutiert, dabei könnte das den Sport sehr | |
> verändern. | |
Bild: AS Rom-Besitzer und Milliardär Dan Friedkin lässt sich mit dem Pokal de… | |
Am 23. September hat der FC Everton nach langer Suche Vollzug gemeldet: | |
US-Milliardär Dan Friedkin, dem auch die AS Rom gehört, will den Klub | |
kaufen. Wenn der Deal erwartungsgemäß durchgeht, werden Investoren aus den | |
USA nunmehr die Hälfte der englischen Premier-League-Klubs besitzen. Dieser | |
ist Teil eines beispiellosen Ausverkaufs europäischer Klubs nach Übersee, | |
oft in die Hände derselben Monopolisten. Stand Mai 2024 gehörten | |
US-Investoren fünf Teams in der Serie A und fünf Teams in der Ligue 1. | |
Laut einer Studie des Datendienstleisters PitchBook von 2023 waren von den | |
98 Klubs in Europas Top-Five-Ligen 35 Klubs ganz oder teilweise in Besitz | |
von US-Investoren, viele davon Private-Equity-Konzerne. Und der Kaufrausch | |
beschränkt sich nicht nur auf die Spitzenklubs: In Englands ersten vier | |
Ligen befindet sich mittlerweile ein Drittel der Teams in einer Form von | |
US-Besitz. | |
Es ist eine rasante Entwicklung, die in Deutschland kaum Beachtung findet. | |
Hierzulande ist man zu beschäftigt mit der [1][Expansion des Dosenimperiums | |
von Red Bull] oder Käufen aus den Golfstaaten, um den übergeordneten Trend | |
zu bemerken: wie sich der europäische Fußball binnen weniger Jahre in eine | |
massive Abhängigkeit von den USA begeben hat. Laut einer Untersuchung des | |
italienischen Blogs Calcio e Finanza gingen von den 113 Verkäufen | |
europäischer Erstligateams zwischen 2020 und 2023 rund 52 Prozent an | |
nationale Besitzer, 22 Prozent an US-Investoren und 26 Prozent an Firmen | |
oder Personen aller anderen Herkünfte. Ein Blick auf Italien zeigt, wie | |
schnell das ging: 2018 war dort nur ein Profiteam in US-Besitz, vier Jahre | |
später waren es bereits zwölf. | |
Was ist passiert? Und was wollen die US-Investoren? Die erste Frage lässt | |
sich leichter beantworten: Die Coronapandemie wurde für viele Klubs, die | |
schon vorher wirtschafteten, als gäbe es kein Morgen, zum Beinahesargnagel. | |
Der folgende unfreiwillige Super Sale traf zeitgleich auf den massiven Boom | |
der Private-Equity-Branche. Christina Philippou ist Professorin für | |
Sportfinanzen an der Uni Portsmouth und beschäftigt sich unter anderem mit | |
den US-Einkäufen. Die Motive seien natürlich verschieden, trotzdem gebe es | |
auffällige Gemeinsamkeiten. | |
## Leichter Einstieg | |
„Die Pandemie hat die Reichen reicher gemacht, das heißt, sie können auch | |
mehr Geld ausgeben. Und der US-Wirtschaft ging es während der Pandemie viel | |
besser als der in Europa. Europäischer Sport ist attraktiv für sie, denn | |
mit den offenen Ligen ist es viel leichter und günstiger einzusteigen als | |
in einer geschlossenen Franchise-Liga.“ Auch der Aufstieg des | |
Frauenfußballs spiele eine Rolle: „Man kauft einen Klub und bekommt Zugang | |
zu zwei Märkten, einem großen und einem mit hohem Wachstumspotenzial.“ | |
Auch der Krieg in der Ukraine gehört zur Geschichte, seine Auswirkungen | |
sind eher indirekt: Etwa durch den Dominoeffekt von gekappten | |
Wirtschaftsverbindungen zu Russland auf europäische Investoren. | |
Europäischer Fußball sei nicht zuletzt in den USA durch die Männer-WM 2026 | |
und die Premier League populärer geworden, ebenso durch die Disneyfication | |
mit einflussreichen Serien wie „Welcome to Wrexham“. Dort verfilmen die | |
Hollywoodstars Ryan Reynolds und Rob McElhenney ihre Übernahme des | |
traditionsreichen Wrexham AFC und seinen Weg nach oben als schnulziges | |
Underdog-Märchen. | |
Die neue Marktmacht aus den USA verändert den Fußball viel grundsätzlicher, | |
als es öffentlich reflektiert wird. Das außereuropäische Investment in | |
Europas Fußball lässt sich grob in vier Phasen einteilen: Erst kamen die | |
russischen Oligarchen um [2][Roman Abramowitsch], dann die Golfstaaten mit | |
Katar und PSG als Speerspitze, dann ab 2014 China mit dem großen Plan von | |
Xi Jinping, allesamt allerdings wesentlich weniger einflussreich als nun | |
die USA. | |
Die vierte Welle unterscheidet sich grundlegend. Während die anderen Player | |
im Wesentlichen prestigeorientiert waren und dem europäischen Modell der | |
Jagd auf Pokale und Superstars folgten, geht es vielen Investoren aus den | |
USA um Rendite. Das könnte den europäischen Sport tiefgreifend verändern: | |
mehr Regeln gegen rote Zahlen, stark verschärfte Kommerzialisierung etwa | |
bei Ticketpreisen, Merch und Stadionbau, Ligaspiele in den USA, mehr | |
Tendenz zu geschlossenen Ligen und Multi-Club-Ownership als Standardmodell. | |
## Missverständnis oder Machtkampf? | |
„Viele US-Amerikaner sagen: Wir können in Europa so viel machen, die | |
verkaufen hier noch nicht dies, und an jener Stelle kann man Kosten | |
sparen“, sagt Philippou. „Aber die Kultur hier ist anders und [3][die Macht | |
von Fans so viel größer.] Manche Kosten kann man nicht einsparen, denn dann | |
boykottieren die Fans, es gibt schlechte Presse, Sponsoren springen ab. Ich | |
glaube, viele Konflikte der letzten Jahre basierten auf diesem kulturellen | |
Missverständnis. Und das kritische Bewusstsein von Fans ist gewachsen.“ Für | |
die Forscherin ist der Ausgang des Konflikts keineswegs ausgemacht. Man | |
könnte es allerdings statt Missverständnis auch weniger freundlich einen | |
Machtkampf nennen, bei dem Milliardäre die wesentlich besseren Karten in | |
der Hand halten. | |
Zwar wird auch in Deutschland heftig über diese Dynamiken debattiert, die | |
freilich längst nicht nur auf die USA zurückzuführen sind. Geopolitik | |
dagegen spielt bemerkenswerterweise überhaupt keine Rolle. Wie hoch der | |
US-Besitzanteil mittlerweile ist, ist vielen gar nicht bewusst. Sollte | |
dabei nicht die Lehre aus der Russlandpolitik gewesen sein, sich nicht mehr | |
in solche Abhängigkeit zu begeben? | |
Nicht nur fußballpolitisch vollzieht Europa derzeit das Gegenteil. Und | |
während es um Geld aus Russland, China oder den Golfstaaten ethische | |
Debatten gab und gibt, gelten die Investments von US-Milliardären gern als | |
unverfänglich, quasi neutral. Richtig ist, dass diese Investments anders | |
funktionieren, weil sie nicht staatlich gelenkt, sondern profitgetrieben | |
sind (wenngleich angesichts der WM 2026 gewiss nicht frei von staatlichem | |
Interesse). Jedoch verdanken die Konzerne ihre globale Finanzmacht | |
natürlich massiv der US-Machtpolitik, und ihre Besitzer sind politische | |
Player, leisteten etwa wie Stan Kroenke und Shahid Khan millionenschwere | |
Spenden im Wahlkampf und sind glänzend vernetzt. | |
Ob man angesichts der menschenrechtlichen Grauen in Gaza oder an der Grenze | |
zu Mexiko weiter US-Gelder nehmen möchte? Da kennt der europäische Fußball | |
keine Gewissensbisse. Vom ökologischen Abdruck der Superreichen über die | |
längst akzeptierte Wettbewerbsverzerrung bis zu den zweifelhaften Praktiken | |
vieler Private-Equity-Konzerne – die Devise der meisten Klubs lautet eh: | |
Schweigen, Geld nehmen und nicht zu viel nachdenken. | |
## Dauerhaftes Wachstum? | |
2012 [4][war Multi-Klub-Ownership] mit insgesamt 40 Klubs weltweit noch | |
fast unbekannt, 2023 hatte sich die Zahl auf 301 Klubs versiebenfacht. Im | |
bestehenden System freilich [5][ist der Anreiz, sich dem Meistbietenden | |
auszuliefern, hoch.] Bleibt die Frage, ob wirklich stimmt, wovon der | |
Fußball ausgeht: Wird es immer so weitergehen? „Vor allem auf den | |
heimischen Märkten stagnieren oder sinken die TV-Einnahmen“, beobachtet | |
Christina Philippou. „Es gibt noch die Sponsoren, aber diese sind ein | |
bisschen geschickter geworden und denken jetzt auch über Nachhaltigkeit und | |
Good Governance nach, worin Fußball traditionell nicht toll ist.“ | |
Wachstumspotenzial sieht sie noch bei neuen Sponsoren für den Frauenfußball | |
und Stadionumbauten mit mehr Fokus auf VIP-Klientel. „Aber wird es | |
dauerhaft funktionieren, immer den nächsten Investor zu finden, der einen | |
Klub mit roten Zahlen kauft? Das könnte irgendwann enden. Es war lange eine | |
gute Zeit für den Fußball, aber es gibt Anzeichen, dass die guten Zeiten | |
zur Neige gehen.“ | |
Vielleicht gelingt den neuen Investoren, was bisher niemand schaffte: | |
europäischen Fußball zu einem profitablen Renditemodell für die Wenigen zu | |
machen. Neutrale Beobachter:innen dürften sich eher an eine andere | |
Hoffnung klammern: Dass vielleicht auch für den Fußball das Ende der | |
Wachstumsideologie in Sicht ist. | |
20 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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