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# taz.de -- Jürgen Trittin über die Grünen: „Beste Schwiegersöhne der Rep…
> Jürgen Trittin blickt zurück auf seine politische Laufbahn: Ein Gespräch
> über Verbote, Arroganz und Kompromisse.
Bild: Feierlaune: Jürgen Trittin am 14. Dezember nach seiner letzten Bundestag…
taz: Herr Trittin, nach 25 Jahren im Bundestag treten Sie ab. Politisch
aktiv sind Sie, seit Sie in den 70er Jahren zum Studieren nach Göttingen
kamen. Gibt es einen Kern Ihres politischen Lebens, etwas, das Sie immer
angetrieben hat?
Jürgen Trittin: Ich habe mal irgendwo gesagt, ich hasse Ungerechtigkeiten.
Aber das ist es nicht?
Doch, doch, aber das ist nicht von mir, sondern ein Zitat aus dem Film „Für
eine Handvoll Dollar“. Da sagt das Clint Eastwood, der ein egoistischer
Söldner ist, aber dadurch das Gute tut und das Dorf von den Gangsterbanden
befreit. Ich habe natürlich sehr unterschiedliche politische Bereiche
bespielt, aber ich glaube, der Kampf um so etwas wie Gerechtigkeit ist wohl
der rote Faden.
Also nicht Umwelt oder Klima?
Klimaschutz, Energiewende – da geht es doch um Gerechtigkeit. Ökologie ist
als politischer Begriff nichts anderes als die Definition, dass jeder
Mensch auf diesem Globus, auch die kommenden Generationen, die gleichen
Lebenschancen haben soll. Es geht um generationenübergreifende, globale
Gerechtigkeit. Das ist der Kern der politischen Ökologie.
Sie haben 2013 als Spitzenkandidat der Grünen mit dem Thema soziale
Gerechtigkeit Wahlkampf gemacht – Steuern rauf, Ehegattensplitting
abschaffen – und sind damit baden gegangen: 8,4 Prozent, und das zwei Jahre
nach Fukushima. War das Ihre größte Niederlage?
Bei [1][Fukushima] hatten wir gewonnen: Unser Atomausstieg wurde von Frau
Merkel gegengezeichnet. Doch 2013 war eine deutliche Niederlage. Dazu haben
eigene Fehler beigetragen.
Welche Fehler genau?
Der Fehler bestand nicht in der Vermögensabgabe oder dem höheren
Spitzensteuersatz, sondern in der Abschmelzung des Ehegattensplittings. Das
hat im Wahlkampf die eigene Mobilisierung zertrümmert. In meinem
universitären Wahlkreis etwa gibt es sehr viele hochqualifizierte Frauen
und Männer, die von Stanford über Harvard bei Max Planck in Göttingen
landen, deren Lebenspartnerinnen und -partner nicht immer adäquat gleiche
Jobs haben. Das sind eigentlich traditionell Grünwähler, und die waren
entsetzt. Die waren auf diesen Steuervorteil angewiesen. Wenn man so eine
Veränderung in den Mittelpunkt einer Kampagne stellt, muss man die Zahl der
Gegner genauer kalkulieren.
Welche Lehre kann man daraus ziehen? Jetzt beim [2][Heizungsgesetz] haben
die Grünen die Zahl der Gegner auch nicht gut kalkuliert.
Ich glaube, dass wir in diesem Jahr mit etwas anderem konfrontiert waren.
Klimaschutz wird nicht mehr nur gegen große Konzerne durchgesetzt – so, wie
wir etwa den Strombereich erfolgreich dekarbonisieren. Den Klimaschutz im
Gebäudesektor anzugehen, hat erst mal ein mentales Umstellungsproblem in
der Bevölkerung geschaffen, denn viele Menschen waren in ihren Gewohnheiten
getroffen. Dieses Grundgefühl ist von denjenigen, die massive Interessen
haben – zum Beispiel Gas zu verkaufen oder teure Gasinfrastruktur
aufrechtzuerhalten – ausgenutzt worden. Und dann ist das Gesetz gezielt vom
Koalitionspartner unter Weglassen von sozialen Ausgleichsmaßen, die ja in
Vorbereitung waren, durchgestochen worden.
Eine Parallele zu 2013 könnte sein, dass Sie in beiden Fällen die Macht der
Lobbys und das Verhetzungspotenzial des Vorhabens massiv unterschätzt
haben.
Ja. Man muss solche Fragen sehr sorgfältig kalkulieren, das haben wir 2013
nicht gemacht. Bei der Wärmepumpe ist es böswillig von einigen
Koalitionspartnern und den Springer-Medien gegen uns genutzt worden.
Aber die Frage bleibt doch: Wenn ein Großteil der Bevölkerung den
Klimaschutz unterstützt – wieso kommt die Bild-Zeitung dann mit einer so
simplen Verhetzungskampagne durch?
Es war natürlich nicht die Bild allein, aber in der Tat hat das KKR
gehörende Organ …
Der US-Investor KKR ist Großaktionär bei Springer.
KKR hat viel in die Fossilen investiert, und die Bild hat in der Kampagne
gegen den Ausstieg aus den fossilen Heizungen eine zentrale Rolle gespielt.
Aber der Anknüpfungspunkt war in der Tat die Angst vor Veränderung, und die
ist erst mal durchgeschlagen. Am Ende aber ohne Erfolg. Und heute verkauft
die Bild „Volkswärmepumpen“.
Das Konzept für den sozialen Ausgleich hat allerdings tatsächlich gefehlt.
Und jetzt machen die Grünen den gleichen Fehler wieder: Sie erhöhen den
CO₂-Preis, und das Klimageld kommt nicht.
Moment, die Gesamtentlastung dürfte sich durch die Anhebung des
steuerfreien Existenzminimums und zum Beispiel den Wegfall der EEG-Umlage
gerade für Geringverdiener nicht zu deren Schaden entwickeln. Ich habe
selbst immer für das [3][Klimageld] gekämpft, aber wir hatten in dieser
schwierigen Situation eine Entscheidung zu treffen. Wir müssen 2024
entlasten, nicht 2026.
Auch das [4][Veggieday]-Trauma aus dem Wahlkampf 2013 hallt bis heute nach.
Es scheint so, als wären Ressentiments gegen die Grünen besonders leicht
mobilisierbar, und zwar unabhängig vom sonstigen Gang der Gesellschaft.
Und unabhängig von der Wahrheit.
Die Grünen haben seit 2013 alles getan, um das Image der Verbotspartei
abzuschütteln – und zehn Jahre später ist ruck, zuck alles wieder da.
Grüne sprechen Dinge aus, die andere auch wissen, aber sich nicht trauen zu
sagen. Die Überbringer schlechter Botschaften werden öfter für die
Botschaft verhauen. Ich war ja einer von drei Abgeordneten, die in der
Fraktion gegen den Veggieday gestimmt haben, aber als Spitzenkandidat habe
ich das natürlich aufrecht vertreten.
Der Kern des Problems ist doch, dass wir die Produktion von Fleisch in
Deutschland reduzieren müssen: wegen des Imports von Futtermitteln aus
abgeholzten Waldflächen, wegen dieser Viehdichte, der damit einhergehenden
Gewässerbelastung und flächendeckenden Behandlung von Puten, Hühnern und so
weiter mit Antibiotika, womit wir uns die Antibiotikawirksamkeit für die
Menschen kaputtmachen. Aber wenn man das Thema dann folgerichtig angeht,
werden die Grünen wieder hart angegriffen.
Sie sehen aber nur ein inhaltlich-strategisches Problem?
Es wäre richtiger, über ein Antibiotikaverbot in der Tiermast und die
CO₂-Bepreisung beim Import von Futtermitteln zu sprechen, anstatt auf
symbolische Verbraucher-Aktionen zu setzen. Wir müssen die
Produktionsstrukturen angehen.
Die Herzen der Leute werden Sie damit nicht gewinnen.
Es geht ja am Ende darum, dass man Menschen dazu mobilisiert, einen zu
wählen und zu stärken. Das haben wir bei der letzten Bundestagswahl
ziemlich gut hingekriegt. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass wir von
den drei Ampelparteien diejenigen sind, die aktuell die meisten
Wähler*innen verlieren. Nichtsdestotrotz ist es so, dass die Ampel
zurzeit keine Mehrheit in den Umfragen hat, und das ist ein gemeinsames
Problem. Deswegen muss man auch gemeinsam versuchen, da rauszukommen. Das
ist möglich, und ich halte den Ausgang der nächsten Bundestagswahl für eine
sehr offene Frage.
Sie waren 2013 mit Katrin Göring-Eckardt Spitzenkandidat, aber Ihnen allein
ist die Schuld für das schlechte Abschneiden in die Schuhe geschoben
worden. Wir bei der taz konnten schon knapp vor der Wahl beobachten, wie
die Weichen für Ihren Sturz vom Sitz des Fraktionschefs gestellt wurden.
Haben Sie das damals bemerkt?
Ach, sehen Sie, ich habe in meinem politischen Leben viele Erfahrungen
gemacht. 2009 habe ich das bis dahin beste Ergebnis für Die Grünen geholt.
2013 war eine Niederlage. Und dazu haben jene beigetragen, die ursprünglich
unser Konzept sehr ernsthaft mit erarbeitet haben – und sich dann
dagegenstellten. Aber das war 2013.
Aber es waren Ihre eigenen Parteifreundinnen und -freunde, die dafür
gesorgt haben, dass mit Ihnen genau das passiert, was wir gerade von den
Grünen beschrieben haben: Man sorgt dafür, dass sich Ressentiments auf Sie
richten.
Ich weiß nicht, ob man das so beschreiben kann. Ich habe dafür die
Verantwortung übernommen, weil ich für dieses strömungsübergreifende
Konzept – links und schwäbisch – mitverantwortlich war. Und wie das andere
halten, müssen sie selber wissen.
Herr Trittin, Sie haben den Ruf, arrogant zu sein. Haben Sie sich jemals
darüber Gedanken gemacht, warum das so ist?
Nein, aber ich glaube, dass einige der Ministerinnen und Minister, die
gemeint haben, sie wollten nicht so arrogant wie der Trittin wirken, nach
den Erfahrungen mit dem Gebäudeenergiegesetz oder mit bestimmten
Bewirtschaftungsrichtlinien in der Landwirtschaft plötzlich erfahren
mussten, dass man als arrogant verschrien wird, obwohl man sich gar nicht
verändert hat. Auch das sind ja Grüne, die wirklich extrem
menschenfreundlich sind und den Ruf hatten, die besten Schwiegersöhne der
Republik zu sein.
Aber hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie anderen das Gefühl geben,
sie seien ein bisschen dümmer als Sie?
Nein, hinter dieser Geschichte des Vorwurfs der Besserwisserei steht ja oft
– ich komme darauf zurück –, dass wir Dinge aussprechen, die andere auch
sehen, aber nicht aussprechen, weil sie die Auseinandersetzung scheuen.
Politik in der Demokratie besteht im Austragen von unterschiedlichen, ja
gegensätzlichen Interessen, diese müssen in jedem Fall durchgefochten
werden. Oft sind das sehr mächtige Interessen. Manchmal gewinnt man,
manchmal verliert man, aber ich kann den Konflikt nicht ignorieren.
Soll das heißen: Was andere Arroganz nennen, ist Ihre Form von
Konfliktfähigkeit?
Ich glaube, dass ich ausweislich einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die
wir getroffen haben, eine gewisse Konfliktfähigkeit habe. Das fing an mit
der Einführung des EEG, was den Marktwert von Eon und RWE halbiert hat und
ihren Marktanteil auch – weil sie sich geweigert haben, bei der
Energiewende mitzumachen. Gegen eine ganz breite Front haben wir den
Emissionshandel durchgesetzt, der dazu führen wird, dass wir vor 2030 aus
der Kohle aussteigen. Das sind alles Konflikte gewesen, wo man sich mit
sehr mächtigen Gruppierungen angelegt hat. Da empfinde ich es nicht als
Vorwurf, dass ich konfliktfähig bin. Am Ende entstehen so neue Konsense.
Und die netten Schwiegersöhne der Grünen in der Bundesregierung, die
unterschätzen diese Konflikte?
Nein, die sind, wie man sieht, konfliktfähig. Wir haben 170 Gesetze in zwei
Jahren, davon 50 bis 60 allein im Verantwortungsbereich von [5][Robert
Habeck], durchgebracht. Unsere Minister*innen haben bewiesen, dass sie
es können. Ist doch kein Spaß, [6][Gazprom Germania zu verstaatlichen] oder
[7][Uniper] zu retten, obwohl es eigentlich den Finnen gehört! Das war eine
große Leistung von Robert.
Uns geht es um etwas anderes: um unterschiedliche Politikertypen. Sie
hatten zum Beispiel – anders als Robert Habeck – immer ein besonders
distanziertes Verhältnis zu den Medien.
Nur weil ich mich geweigert habe, mein Privatleben vor den Medien
auszubreiten? Heute würden viele sagen: Das hat der Jürgen gut gemacht,
hätten wir das mal auch so gehandhabt. Ansonsten habe ich ein sehr
professionelles Verhalten zu den Medien. Ich habe mich etwa immer dagegen
gewehrt zu sagen: Boykottiert die Bild. Die ist der schlechte Teil unserer
Realität, und damit gehen wir professionell um. Und wenn die Bilder von mir
fälschen und mich verleumden, wie sie es getan haben, dann schicke ich
meinen guten Medienanwalt los, der ja auch gelegentlich die taz vertritt.
Gibt es etwas, was Sie den Grünen gern mitgeben würden?
Ich glaube, es gibt eine ganz einfache Lehre: Man muss durchhalten.
Strukturelle Veränderungen, wie beim Emissionshandel, beim Kohleausstieg
und bei den erneuerbaren Energien, wirken nicht von heute auf morgen. Ich
war nicht immer nur beliebt bei den Umweltverbänden. Die haben mir damals
vorgeworfen, der Atomausstieg dauert viel zu lang. Am Ende waren alle froh,
dass ich es geschafft habe, diese alberne Laufzeitverlängerung im
vergangenen Jahr auf drei Monate zu reduzieren. Deswegen sage ich,
durchhalten und Kurs halten ist das Wichtigste. Und wenn der Kurs nicht
stimmt, muss er korrigiert werden. Es ist fast schon ein Witz, dass wir
ausgerechnet in einer Koalition mit der FDP die Fehler von Rot-Grün
korrigieren – mit dem Bürgergeld, mit der Kindergrundsicherung und mit der
Anhebung des Mindestlohns.
Sie sind für viele junge Grüne auch in der Fraktion ein Vorbild. Aber für
die ist auch Achtsamkeit ein großes Thema und das, wofür Wokeness im
positiven Sinne steht. Sie sind im Mackertum des KB, des Kommunistischen
Bundes, politisch groß geworden, Sie gendern bis heute nicht oder nur ganz
selten. Wie blicken Sie auf diesen Generationen-Gegensatz?
Ich finde das gut, weil die jungen Leute teilweise mit einer im Wortsinne
entwaffnenden Höflichkeit an politische Probleme rangehen, und das
unterscheidet sich wohltuend von dieser Kultur „Wer am lautesten brüllt,
hat recht“, die den Achtundsechzigern nachgesagt wurde.
Am schönsten fand ich eigentlich immer, wie die Fridays for Future
aufgetreten sind. Diese Höflichkeit bei gleichzeitig großer Klugheit,
tiefem Engagement, fester Überzeugung und Standfestigkeit in der Position,
das ist in Ordnung. Ob man auf Dauer den Kampf um Identitäten gegen die
Rechten gewinnt, da habe ich allerdings Zweifel.
Ist es gefährlich, dieses Feld zu sehr zu bespielen?
Ich glaube, dass man schon dafür kämpfen muss, dass benachteiligte Gruppen
besser sichtbar gemacht werden und mehr Rechte bekommen. Aber wenn man das
zu einer ganz ideologischen Identitätspolitik steigert, wird am Ende die
Identität des Kartoffeldeutschen siegen. Das wird nicht zugunsten der
Linken ausgehen.
Sie haben in Ihrer Abschiedsrede im Bundestag gewarnt: „Man darf
Antidemokraten keine Macht übertragen. Nie wieder!“ Beim KB war man schon
in den 70er Jahren der Ansicht, dass die Faschisierung der Bundesrepublik
im Gange sei.
Und das war falsch, die KB-These von der Faschisierung ist empirisch
widerlegt. Wir haben seitdem eine Entwicklung erlebt, in der sich die
Gesellschaft in vielen Fragen immer mehr geöffnet hat, wo das Maß an
individuellen Freiheiten, die Vielfältigkeit von Kultur, die
Gleichberechtigung von einstmals kriminalisierten Gruppen gewachsen ist.
Das ist das Gegenteil einer Faschisierung gewesen.
Und wie sieht es heute aus?
Wir sind jetzt konfrontiert damit, dass der Bodensatz von 8 bis 15 Prozent
fremdenfeindlicher, rassistischer, teilweise offen faschistischer
Ideologie, der in dieser Gesellschaft schon immer drinsteckte, sich
parteiförmig organisiert und den Weg in die Parlamente gefunden hat. Das
ist die neue Herausforderung, vor der nicht nur die deutsche Gesellschaft
steht, hier ist es sogar eher verspätet angekommen. [8][In Thüringen machen
CDU und FDP schon zum zweiten Mal unter dem Vorwand, gegen Windenergie in
den vom Klimaschutz zerstörten Wäldern zu sein, mit der AfD], der
Nazi-Höcke-Partei, gemeinsame Sache. Wir haben uns unter Demokraten darauf
verständigt, dass es darum geht, wer beispielsweise eine Koalition anführt
– aber nicht um die Frage, führe ich eine Koalition an um den Preis, dass
ich mich von denen unterstützen lasse. In Skandinavien ist dieser Konsens
gerade weggebrochen, und jetzt kontrollieren die [9][Schwedendemokraten]
die Regierung. Mich besorgt das sehr.
Wie groß ist bei diesem Thema der Einfluss Ihrer Biografie? Ihr Vater war
bei der Waffen-SS, noch im Mai 45 versuchte die Kampfgruppe Trittin in
Ostpreußen die Rote Armee aufzuhalten. Wie hat Sie das beeinflusst?
Mein Vater hat gesagt, ihr müsst dafür sorgen, dass so was, was wir gemacht
haben, nicht wieder passiert. Das habe ich ernst genommen.
Haben Sie ihn gefragt, was er damals genau getan hat?
Es war sogar eine SS-Kampfgruppe nach ihm benannt. Er hat mich und meinen
Bruder nach Bergen-Belsen gebracht, ich war da wahrscheinlich 15, mein
Bruder war 12 oder 13 Jahre alt, mein Vater hat von seiner Verantwortung
erzählt und uns gewarnt. Das fand ich gut, das hat sich unterschieden von
der Haltung anderer Väter. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht: Wir haben
etwas Falsches gemacht, ich bin zu Recht in sowjetischer
Kriegsgefangenschaft gelandet und zu Recht von denen verurteilt worden. Die
Sowjets waren keine unanständigen Menschen. Das war seine Sicht auf die
Dinge.
War Ihre [10][Bundestagsrede vor Weihnachten] besonders an die Union
gerichtet?
Nein, die richtete sich an das ganze Haus. Es geht in einer solchen Rede
nicht um Parteipolitik, sondern es geht um eine gemeinsame Herausforderung
und eine Bestätigung dieses Konsenses zwischen den Demokraten. Es ist nicht
schön für die FDP, in der Ampel zu regieren, weil sie das Lager wechseln
musste. Es ist nicht schön für die CDU in Baden-Württemberg, Juniorpartner
von [11][Winfried Kretschmann] zu sein. Und es ist für die sächsischen
Grünen nicht schön, mit Michael Kretschmer zu regieren. Aber der Grund,
warum sie es tun, ist diese Verantwortung.
Es ist etwas überraschend, von jemandem wie Ihnen, der den politischen
Gegner so angegriffen hat, vom notwendigen Schulterschluss der Demokraten
zu hören. Tun Sie das, weil der das sagen muss, der sich am meisten mit
Friedrich Merz geprügelt hat?
Es gehört zur Demokratie, dass man auch Sachen miteinander austrägt. Ich
bin kein Kind von Traurigkeit gewesen, ich bin auch nicht immer nett
behandelt worden. Es ist ja nicht schön, als Ökostalinist bezeichnet zu
werden. Noch mal: Demokraten können sich streiten. Aber am Ende haben wir
einen Konsens über die Atomenergie gemacht.
Ich habe in der Opposition mit Peter Altmaier von der Regierungs-CDU das
Entsorgungsgesetz und den Fonds zur Finanzierung der Endlager auf den Weg
gebracht. Das heißt: Man kann sich auseinandersetzen, man kann Interessen
auch mit Polemik austragen. Am Ende wird man kaum drumherumkommen,
Kompromisse zu machen. Ich habe eben nicht nur robust gestritten, sondern
auch viele Konsense auf den Weg gebracht. Das ist mein Verständnis von
Demokratie.
Haben Sie das schon immer so gesehen?
Lange haben wir die Notwendigkeit lagerübergreifender Koalitionen nicht
gesehen. Aber der europäische, ja globale Wiederaufstieg faschistischer
Bewegungen zwingt uns, neu zu denken.
28 Dec 2023
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Ulrike Winkelmann
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