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# taz.de -- Ökologe über Überschwemmungsgebiete: „Wir haben zu viele Auen …
> Seit Jahrzehnten heißt es bei Hochwasser-Katastrophen, Flüssen müsse mehr
> Raum gegeben werden. Der Auenökologe Mathias Scholz erklärt, warum das so
> ist.
Bild: Bäume stehen in den nördlichen Elbauen mit den Wurzeln im Wasser der El…
taz: Herr Scholz, [1][angesichts des Hochwassers] heißt es oft, wir
bräuchten mehr Flussauen. Können Sie bitte erklären, was das ist?
Mathias Scholz: Auen sind einen Fluss begleitende Landschaften, die bei
hohen Abflüssen, die durch Starkregen oder Schneeschmelze entstehen
können, überschwemmt werden.
Und im Naturzustand nicht eingedeicht und begradigt sind.
Genau. Diese Flächen fallen bei normalen Abflüssen oder bei Niedrigwasser
wieder trocken. Bei Hochwasser werden in Auen viele Nährstoffe
hineingeschwemmt, daher sind sie meistens extrem fruchtbar.
In Deutschland gibt es kaum noch natürliche Auen.
Wir haben mehr als 70 Prozent an Auen verloren, an den großen Flüssen sogar
über 90 Prozent, also an Elbe, Donau oder Rhein. Und dort, wo es sie noch
gibt, etwa an der Weser, werden sie zum Teil intensiv landwirtschaftlich
genutzt oder wurden bebaut. Wenn diese Flächen wie jetzt so extrem
überschwemmt werden, ist der Schaden entsprechend hoch. Nicht nur der
finanzielle, die Menschen dort sind emotional schwer belastet.
Gibt es noch Auwälder?
[2][Von den existierenden Auen] sind nur noch zehn Prozent mit Wald
bewachsen, davon ist aber nur ein Prozent funktionierender Auwald mit
entsprechender Gehölzzusammensetzung. Die größten gibt es im Einzugsgebiet
von Elbe, an der Weser und Aller. Aber auch davon sind nur Fragmente in der
Landschaft erhalten.
Welchen Nutzen haben diese?
An den Oberläufen nahe der Quelle und den Mittelläufen halten sie sehr gut
das Wasser zurück, wie Schwämme. Sie sind auch wichtig in Dürreperioden,
weil sie Wasser über Wochen und Monate zurückgeben können. Zudem ist das
[3][Artenreichtum in Auen grundsätzlich sehr groß]. An den Unterläufen sind
die Wälder meist vor Hunderten, wenn nicht Tausenden von Jahren aus der
Landschaft verschwunden, weil diese Flächen schon so lange
landwirtschaftlich genutzt werden.
Es gibt die Sorge, dass die Hochwassergefahr steigt, wenn das Wasser
stellenweise zurückgehalten wird, zum Beispiel durch Wälder. Können Sie das
erklären?
Das wird immer mal wieder diskutiert, zum Beispiel an der unteren
Mittelelbe. Wenn ein Wald eine dichte Wand wäre, würde das natürlich die
Hochwassergefahr erhöhen. Allerdings ist so ein Auwald sehr lückig, da sind
Flutrinnen und offene Bereiche drin, die nicht zuwalden, es gibt viele Wege
für das Wasser. Entscheidend ist die Breite der Aue. Bei
Hochwasser-Ereignissen wie dem aktuellen sieht man, [4][dass sich das
Wasser ausbreiten können muss], auch um den Druck von den Deichen zu
nehmen. Dafür braucht es nicht versiegelte Retentionsflächen, damit das
Wasser in der Landschaft länger verweilen kann.
Was passiert, wenn es das nicht kann?
Dann bekommen die Unterläufe so wie jetzt zu viel Wasser ab. Das Wasser
fließt aufgrund der fehlenden bewaldeten Auen am Ober- und Mittellauf
schneller ab, und am Unterlauf stapelt sich das Wasser in den vorhandenen
Auen, in den alten Überschwemmungsgebieten. Hochwasser ist dort nichts
Ungewöhnliches, dafür gibt es Deiche und andere technische Bauwerke. Aber
es ist über Jahrzehnte nicht mehr in solchen Dimensionen passiert, da kommt
das System an eine Belastungsgrenze. Ein Deich heißt nicht, dass ich
hundertprozentig vor Hochwasser geschützt bin.
Sind die Deiche gar Teil des Problems und nicht der Lösung?
Nein, man kann [5][nicht alle Deiche zurückverlegen], um den Flüssen mehr
Raum zu geben. Dann würden wir die meisten Großstädte in Deutschland unter
Wasser setzen, weil fast alle an großen Flüssen liegen und sich in Auen
entwickelt haben, auch die Metropolen Köln, Frankfurt, München, Berlin.
Hochwasserschutz ist eine Kulturleistung, um überhaupt in diesen Räumen
siedeln zu können. Es geht ja nicht darum, wieder auf einen Urzustand
zurückzukommen. Stattdessen müssen wir dort, wo es Potenziale gibt, Deiche
zurückverlegen oder den Fluss wieder an die normalen Talränder mäandrieren
lassen. Zum Teil sind solche Flussauen zehn oder 20 Kilometer breit.
Aber dort, wo Potenzial ist, haben Landwirt:innen ihre Flächen …
Genau.
Bis 2020 sollten zehn Prozent überflutbare Auen geschaffen werden.
Und nur [6][ein bis zwei Prozent wurden in Deutschland umgesetzt]. Die
Planungsabläufe sind sehr lang, da muss man Zeiträume von zehn bis 15
Jahren kalkulieren.
Haben wir die Zeit noch?
In China würde das vielleicht in zwei Jahren durchgezogen, aber in einer
Demokratie müssen alle Interessen berücksichtigt werden. Das dient auch
einer nachhaltigen Lösung. Der Zustand, den wir jetzt haben, ist über
Jahrhunderte entstanden, wir können nicht mal eben die Landschaft umbauen.
Was könnten Landwirte mit solchen Flächen überhaupt noch anfangen?
Neben Auwald kann Grünland Hochwasser sehr gut ertragen.
Aber ein Bauer stellt ja nicht freiwillig von Mais auf Rinder um.
Nein, das kostet jede Menge Geld und Überzeugungskraft. Wir wissen aus
Befragungen, dass die Akzeptanz wächst, je weiter weg man von solchen
Maßnahmen ist. Aber durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit und Einbindung in
Planungsprozesse kann man vermitteln, dass der Hochwasserschutz vor Ort
verbessert wird. Vorausgesetzt, die Deiche werden gut unterhalten und es
gibt Pumpwerke, um Wasser abzupumpen, wenn das in der Altaue nicht
abfließt. Die Landwirte brauchen Angebote, entweder Flächentausch oder
Transferleistungen bei anderer Nutzung.
Reden wir nicht seit 2002, seit dem Elbehochwasser, das Sachsen am
stärksten getroffen hat, darüber, dass sich die Flüsse wieder ausbreiten
können müssen?
Schon seit den 1980er-Jahren …
Das heißt, es liegt nicht nur an Planungsprozessen, dass wir so wenig
intakte Auen haben?
Nein, es wurde auch viel versäumt, es wurde zu viel in
Überschwemmungsgebieten gebaut, wir haben zu viele Fläche versiegelt.
Zukünftig sollte ein Schwerpunkt darauf liegen, den Hochwasserschutz im
Kontext des Landschaftswasserhaushaltes neu zu überdenken. Die Begradigung
und Kanalisierung von Flüssen und Bächen, der Verlust von mehr zwei
Dritteln unserer ursprünglichen Flussauen und Überflutungsflächen sowie die
Trockenlegung von Feldern und Mooren durch Drainagen führen dazu, dass
Niederschläge schnell durch unsere Gewässer abfließen. Um nicht nur
Hochwasser effektiver zu bekämpfen, sondern auch besser auf Perioden von
Wassermangel vorbereitet zu sein, müssen wir Wasser länger in der
Landschaft halten.
5 Jan 2024
## LINKS
[1] /Hochwasser-in-Niedersachen/!5979909
[2] /Gewaesser-und-Klimawandel/!5880053
[3] https://www.ufz.de/index.php?de=40287
[4] /Nationaler-Plan-fuer-Hochwasserschutz/!5059949
[5] /Brandenburg-verlegt-Deich/!5158025
[6] https://www.bfn.de/sites/default/files/2022-12/2022-eckpunkte-f%C3%BCr-eine…
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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