| # taz.de -- Wetteränderung nach Hochwasser: Und morgen laufen wir Schlittschuh | |
| > Im überschwemmten Oldenburg bemerkt man dieser Tage mal wieder deutlich: | |
| > Wir verdrängen die gröbsten Probleme, solange wir sie selbst nicht | |
| > spüren. | |
| Bild: Sack für Sack: Feuerwehrleute sichern einen Deich bei Sandkrug | |
| Die kommenden Tage soll es hier kalt werden, Temperaturen unter null, | |
| Wasserflächen werden sich in spiegelglatte Bahnen verwandeln, wir werden | |
| uns fühlen wie in einem Gemälde von Pieter Bruegel. Damals, als die Winter | |
| noch eisig waren. Und wie ich uns kenne, wird der Schrecken der | |
| zurückliegenden Wochen, als das Wasser stieg und stieg, wie weggeblasen | |
| sein von der Lust, übers Eis zu gleiten. | |
| Oldenburg, Niedersachsen, norddeutsche Tiefebene, [1][die Gegend hat jetzt | |
| jeder mal kennengelernt]. Abends in den Nachrichten sah man Reporter auf | |
| feuchten Wiesen, Ketten aus Menschen, THW-Helfer, die Sandsäcke | |
| weitergeben, Innenministerin Faeser war auf Hochwasser-Visite in | |
| Hatten-Sandkrug. Der Fluss, der dort an die Häuser schwappt, heißt Hunte | |
| (Fluss mit H, kann man sich für Stadt, Land, Fluss merken). Besorgte | |
| Kurznachrichten erreichen mich: Wie geht es euch? Habt ihr Wasser im | |
| Keller? | |
| Rührende Nachfragen, die ich beruhigen konnte: Wir haben keinen Keller. Die | |
| ansonsten manchmal etwas feuchte Stelle im Garten ist zu einem kleinen See | |
| angewachsen. Es sieht schön aus, wenn sich ein Eichelhäher darin badet. | |
| Mehr ist bei uns nicht. Außer noch, dass der Regen nie aufhört. Kein Regen, | |
| der mit dicken Tropen aufs Dach pladdert, sondern ein feiner, fast sanfter | |
| Nieselregen. | |
| Sorgen machen wir uns schon, aber wenigstens nicht um uns, sondern um die | |
| Menschen, die in den Niederungen der [2][Hunte und ihrem kleineren | |
| Nebenfluss Haaren] wohnen; Freunde, die sich über die Weihnachtsfeiertage | |
| nachts den Wecker gestellt haben, um immer wieder den Keller auszuschöpfen, | |
| Pumpen bei Obi waren ausverkauft. | |
| ## Gesperrte Deiche | |
| Das Gemeindehaus nebenan könnte Notunterkunft werden, falls Menschen ihr | |
| Zuhause verlassen müssen. Es würden dann die in den schönsten Häusern mit | |
| Blick auf den Fluss auf Feldbetten Ruhe suchen müssen. So ändern sich die | |
| Perspektiven. | |
| Auf dem Huntedeich haben wir manchmal unseren Neujahrsspaziergang gemacht. | |
| Jetzt ist er gesperrt und sie haben dort Bäume gefällt. Weil der Deich | |
| aufgeweicht ist, drohen die Bäume den Halt zu verlieren; stürzen sie um, | |
| reißen sie Löcher, das Wasser würde sich unkontrolliert ausbreiten. | |
| In diesen Tagen wird wieder einmal klar, was für seltsame Wesen wir | |
| Menschen sind. Erst jetzt, da sein halbes Bundesland überflutet ist, regt | |
| sich der stets etwas abgedimmt agierende niedersächsische Ministerpräsident | |
| Weil – einer von der alten SPD – und sagt dann Sätze wie diese: Es müsse | |
| „der CO₂-Ausstoß dringend weiter reduziert werden“ und „Experten warnen | |
| seit Langem davor, dass die immer häufigeren Wetterextreme mit dem | |
| Klimawandel zusammenhängen“. | |
| Klingt wie [3][eine Einführung in die Folgen der Erderhitzung für | |
| Anfänger]. Dabei ist das, was wir jetzt hier erleben, wirklich lange | |
| vorhergesagt worden. Und Weil ist seit 2013 im Amt. Längst hätte er handeln | |
| und den Spruch seiner Wahlplakate von 2022 einlösen können: „Das Land in | |
| guten Händen.“ | |
| ## Kanzler in Flutgebieten | |
| Typisch Weil, aber typisch wir alle. Wir verdrängen die gröbsten Probleme, | |
| solange wir sie selbst nicht direkt spüren. Wie damals, als Corona seinen | |
| Lauf nahm. Bergamo, Norditalien, war längst als Corona-Hotspot in den | |
| Nachrichten, da fuhren wir trotzdem noch in den Winterurlaub nach Südtirol, | |
| auch Norditalien. Irgendein Virus. In Bergamo. Nicht bei uns. Na dann. | |
| Der Kanzler war jetzt auch in einem der Flutgebiete zu Besuch. Er hat den | |
| Zusammenhalt gelobt, die Helferinnen und Helfer, die Sandsäcke schleppten | |
| und versprach scholzig-wolkig Unterstützung, denn das Wasser könne ja | |
| wiederkommen, wenn es weg sei. Doch nichts davon, die Ursachen zu | |
| bekämpfen. Er hatte sich [4][auf Wahlplakaten „Klimakanzler“ genannt]. | |
| Jetzt könnte er zeigen, was das ist. So mutlos, so kraftlos, so traurig. | |
| Gestern waren die Flusslandschaften Niedersachsens noch verträumte | |
| Gegenden, weites Land; heute werden Bauernhöfe aufgefordert, ihre Tiere | |
| woanders hinzubringen, morgen wird es kalt, dann werden wir | |
| Schlittschuhlaufen. Oder wir sind längst abgereist und wie die Nachbarn | |
| nach Mallorca geflogen, weil hier das Wetter zu schlecht ist. Bisschen | |
| Sonne tanken. Andere werden sich jetzt einen SUV zulegen – falls sie noch | |
| keinen haben. So können sie den Fluten komfortabel entkommen und noch das | |
| Nötigste mitnehmen. | |
| 6 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Felix Zimmermann | |
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