# taz.de -- Streit um Israel im PEN Berlin: Keine Frage der Balance | |
> Im PEN Berlin mehren sich die Austritte. Ehemalige Mitglieder kritisieren | |
> die fehlende Positionierung des Schriftstellerverbands zu Israel. | |
Bild: Deniz Yücel und Eva Menasse im Juni 2022 bei der Gründungsversammlung d… | |
Der PEN International war mit Stellungnahmen schnell dabei: Am 10. Oktober, | |
drei Tage nachdem die Hamas Israel angriff, über 1.200 Menschen tötete, | |
Geiseln nahm, folterte und vergewaltigte, war man sich in London bereits | |
sicher, dass „die Jahre der Besatzung und der politische Stillstand“ zu der | |
Gewalt geführt hatten. Auch vom „Apartheidsystem“ in Israel wusste man | |
wieder zu berichten. | |
Während das PEN-Zentrum Deutschland Abstand vom Dachverband nahm und | |
seinerseits eine Solidaritätserklärung mit Israel veröffentlichte, blieb | |
der PEN Berlin stumm. Es gebe keinen „Bekenntniszwang“, betont immer wieder | |
Deniz Yücel, der dem PEN Berlin zusammen mit der Schriftstellerin Eva | |
Menasse als Sprecher des Boards vorsteht. Doch eben diese Haltung des | |
Schriftstellervereins sorgt bei einigen Mitgliedern für Unmut. Seit Wochen | |
sind Stimmen zu vernehmen, die eine fehlende Positionierung zu Israel | |
beklagen, Austritte waren die Folge. | |
## Ruhmsucht unterstellt | |
Auch Schweigen sei eine Haltung, schreibt etwa die Journalistin Ramona Ambs | |
in der Jüdischen Allgemeinen. Sie merkt an, dass der Schriftstellerverband | |
auch bei Themen, die nicht die Freiheit von Autor:innen betreffen, | |
Statements abgebe; etwa zur Kriminalisierung der Klimaaktivist:innen | |
von der Letzten Generation. Den Ausschlag für ihren Austritt aus dem PEN | |
Berlin habe jedoch nicht die Position zu Israel, sondern die „herablassende | |
Art“, mit der Yücel und Menasse auf die Kritik am PEN Berlin reagierten, | |
gegeben. Ambs lehnte ein Interview mit der taz zu ihrem Austritt ab. Sie | |
sehe sich gerade zu sehr mit Anfeindungen und Beschimpfungen konfrontiert, | |
sagt sie. | |
Der Journalist Michael Wuliger war unter den Ersten, die den PEN Berlin | |
verließen. Auch er beklagt eine Schlagseite des Verbands und kritisiert vor | |
allem [1][Eva Menasse], die in einem Interview mit Deniz Yücel in der | |
Berliner Zeitung den ausgetretenen Mitgliedern Ruhmsucht unterstellt: „15 | |
minutes of fame, um einem jungen Verein zu schaden.“ Sich öffentlich so zu | |
äußern sei nicht nur schlechter Stil, sondern auch dumm, meint Wuliger. „Es | |
erinnert mich an Erich Honeckers Äußerungen zu den DDR-Ausreisenden 1989: | |
‚Wir weinen ihnen keine Träne nach‘.“ | |
## Gegen Antisemitismus, egal woher | |
Immer wieder ist im Gespräch mit ehemaligen PEN-Berlin-Mitgliedern von | |
diesen folgenschweren „15 minutes of fame“ die Rede. Ungeschickt sei die | |
Formulierung gewesen, das sagt auch Joachim Helfer, der zusammen mit acht | |
weiteren Autor:innen und den beiden Sprecher:innen dem Board des PEN | |
Berlin angehört. Er verweist im Gespräch mit der taz jedoch auch auf die | |
Lesungen, die der Verband nach dem 7. Oktober organisiert hat und die viel | |
gelobte Rede von Yücel auf der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der | |
Pogromnacht in Hamburg. | |
Die Haltung Yücels ist eigentlich klar. Gegen Antisemitismus, egal, ob er | |
von Nazinachfahren oder Muslimen kommt, und gegen Ja-aber-Haltungen zu | |
Israel schreibt der Welt-Korrespondent seit Jahren an. Die Position | |
Menasses ist ebenso bekannt. Sie hält daran fest, dass auch in Deutschland | |
Israel kritisiert werden darf. Seit einigen Jahren, so schrieb sie am | |
Dienstag in der NZZ, werden jedoch „die Linien besonders bei Verdacht auf | |
Antisemitismus enger gezogen“. | |
Eigentlich müssten die beiden Board-Sprecher:innen so doch ausgewogen | |
durch die Krise kommen. Doch ausgeglichen wirkt der PEN Berlin von außen | |
betrachtet nicht, dafür wird mittlerweile sprachlich zu schweres Geschütz | |
aufgefahren, Stichwort „Gesinnungsschnüffelei“. Produktiver Streit, so | |
scheint es, kommt beim Thema Israel ganz schnell an seine Grenzen. | |
## Ein Hauch von Trotz | |
Zum zweiten Mal lädt der PEN Berlin am Samstag zum großen Kongress ein. An | |
der eingeladenen Festrednerin [2][A. L. Kennedy] stören sich nun ebenfalls | |
einige. Es stimmt, die britische Schriftstellerin war bereits vor dem 7. | |
Oktober eingeladen worden. | |
Dass man von der BDS-Nähe Kennedys jedoch nichts gewusst haben will, wie | |
etwa Menasse erklärt, wirkt wenig glaubwürdig. Kennedy sprach sich unter | |
anderem 2018 für den Boykott des Eurovision Song Contest in Israel aus. In | |
einem der ersten Artikel, die nach einer schnellen Google-Suche ihres | |
Namens auftaucht, prognostiziert sie im Frühjahr im Gespräch mit der NZZ | |
angesichts der Gesundheitspolitik Englands, das Land „steuere mit einem | |
staatlich tolerierten Euthanasieprogramm auf einen Genozid zu“. | |
Antisemitisch ist das wahrlich nicht, skurril aber allemal. | |
BDS-Positionen wie Kulturboykotte, das bekennt Eva Menasse im Interview mit | |
der Berliner Zeitung, seien mit den Werten der PEN-Charta unvereinbar. Die | |
Frage bleibt: Warum jenen eine Plattform bieten, [3][die andere Stimmen zum | |
Schweigen bringen wollen?] Aus Angst, der „Cancel Culture“ Vorschub zu | |
leisten, denjenigen das Mikro reichen, die mit Leidenschaft selbst | |
„canceln“? Toleranz gegenüber Intoleranten, ein Hauch von Trotz umweht | |
diese Haltung irgendwie immer. | |
## Klingt nach Cancel Culture | |
Mitunter gibt es weltpolitische Ereignisse, die so weit reichen, dass sie | |
auch im Kulturbetrieb kurzfristige Anpassungen legitimieren. Man braucht | |
hier gar nicht mit dem reichlich angestaubten Wort „Anstand“ zu operieren, | |
aber „Empathie“ ist nicht verboten. „Kurzfristige Anpassungen“, wiederh… | |
Deniz Yücel am Telefon, klingen für ihn jedoch eher nach Cancel Culture. Er | |
hält an A. L. Kennedy fest, die er für ihre Literatur schätzt. Im Übrigen, | |
sagt er, gebe es durchaus auch Mitglieder, die die Haltung des PEN Berlins | |
als zu eindeutig proisraelisch einstuften. | |
Auf dem PEN-Berlin-Kongress soll in zwei Panels auch über den | |
Nahostkonflikt gesprochen werden. Geladen zur Diskussion über Israel und | |
Palästina sind Gäste, die erklärtermaßen ein Problem mit dem | |
unverhandelbaren Existenzrecht Israels haben, zur Tabuisierung | |
palästinensischen Leids in Europa forschen und mit der „School for | |
Unlearning Zionism“ eine Vortragsreihe zur „Dekolonisierung“ organisierte… | |
Versöhnliches darf man wohl höchstens von Tomer Dotan-Dreyfus erwarten, der | |
auch die israelische Regierung seit Jahren scharf kritisiert. | |
## Wird Philosemitismus „verordnet“? | |
Auftreten wird bei dem Kongress auch Susan Neiman. Sie hat zuletzt [4][mit | |
„Links ist nicht woke“ ein Buch über das Reizwort geschrieben] und ist auch | |
in ihrer Israelposition streitbar. Die Philosophin warnt zudem angesichts | |
jüngster Absagen im Kulturbetrieb vor einem Klima des McCarthyismus. In | |
Deutschland, so sagte sie kürzlich in ihrer Festrede zum 50. Jahrestag der | |
SPD-Grundwertekommission, werde Philosemitismus „verordnet“. | |
Der Verleger Ernst Piper kritisiert Neiman wie Menasse aufgrund ihrer | |
Haltung scharf, nennt sie als Gründe für seinen Austritt. Neiman ist zwar | |
nur Mitglied im PEN Berlin, ohne offizielle Position, doch Piper nimmt sie | |
zunehmend als intellektuelles Aushängeschild des Vereins wahr, sagt er der | |
taz. Neiman hat ihrerseits einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie | |
von Piper fordert, diesen „rufschädigenden Vorwurf“ in seinem | |
Facebook-Beitrag zu löschen. | |
Die Kritik von Piper geht einigen PEN-Berlin-Mitgliedern zu weit. Dass ein | |
Deutscher jüdische Autorinnen über Israel belehre, fühle sich seltsam an, | |
ist mitunter zu hören. Wer was sagen darf, wird derzeit heiß diskutiert. | |
Gibt es rote Linien, oder ist Antisemitismus eine Meinung, wie Eva Menasse | |
jüngst in einem Podcast mit der Zeit sagte, und man auch meinen könne, dass | |
„Juden etwas sind, was man nicht mag“? | |
## Wie politisch muss ein PEN sein? | |
Diskutiert werden diese Fragen nun wohl auch bei der Migliederversammlung | |
am Freitag und beim Kongress am Samstag. Die Mitgliederversammlung des PEN | |
Berlin hat einen Antrag auf eine öffentliche Positionierung zum | |
Terrorangriff auf Israel eingebracht, begründet wird der Vorstoß mit dem | |
Statement des PEN International. Es ist die erste Krise, die der erst | |
anderthalb Jahre junge PEN Berlin durchlebt, der sich seinerseits aus einer | |
Krise des PEN-Zentrums Deutschland gründete. Uninteressant sind die Fragen | |
nicht, die sich daraus ergeben. Wie politisch muss ein PEN sein? Wie viel | |
Streit ist möglich, nötig? | |
Womöglich braucht der Verein nicht nur den Knatsch, den Yücel nach Kurt | |
Tucholsky als „Seele des Vereins“ anführt, um zu überleben, sondern auch | |
ein gehöriges Maß an Krittelei und Kritik. Man erinnere sich an die | |
Angriffe von rechts wie links, die sich gegen die Gruppe 47 richteten, eine | |
Gruppe, die [5][Hans Magnus Enzensberger] als politisch völlig „harmlos“ | |
charakterisierte. | |
Nun wird im PEN keine Literaturkritik betrieben, erklärtermaßen wollen sich | |
die Mitglieder gegen die Verfolgung von Autor:innen und für | |
Meinungsfreiheit einsetzen. So weit, so klar. Nur wo die Meinungsfreiheit | |
in Gefahr ist, darüber scheint in Berlin ein gewisser Dissens zu bestehen. | |
13 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Krach-beim-PEN-Berlin/!5976986 | |
[2] /Britische-Schriftstellerin-ALKennedy/!5925662 | |
[3] /Deutsche-Kulturszene-und-Hamas/!5963367 | |
[4] /Buch-ueber-linke-Identitaetspolitik/!5955525 | |
[5] /Nachruf-auf-Hans-Magnus-Enzensberger/!5898233 | |
## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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