# taz.de -- PEN Berlin: Ein Zwischenruf | |
> Die Arbeit für einen Verein, der verfolgten Autor:innen hilft, ist | |
> mühsam. Doch die öffentliche Selbstzerfleischung zerstört, wofür wir | |
> stehen. | |
Bild: Gaza am 7. Dezember 2024 | |
Man muss wohl dabei gewesen sein, um zu wissen, was es heißt, einen Verein | |
zu leiten – einen Verein, der von Autor:innen im | |
Handstand-Überschlag-Verfahren gegründet wurde, die so was vorher noch nie | |
gemacht haben, die zum größten Teil freischaffend gegen ihren Bankrott | |
anschreiben und teilweise Kinder zu versorgen haben, teilweise | |
alleinerziehend. | |
Die diesen Laden gegründet haben, weil sie an einem Frühsommerabend in | |
Thüringen zu dem Schluss kamen, das muss jetzt mal jemand machen, und | |
dieses „jemand“ eben nicht von sich geschoben, sondern Verantwortung | |
übernommen haben. | |
Zum „Verein Leiten“ gehört es, Satzungen und Pressemitteilungen zu | |
schreiben (auch mal auf dem Kant(!)stein sitzend, in ein Mobiltelefon | |
tippend), Vollversammlungen auf die Beine zu stellen, | |
[1][Veranstaltungsreihen] und Kongresse, Mitgliedsbeiträge einzutreiben, | |
und, und, und – das Allermeiste davon mit tausend Fallstricken, damit die | |
Gemeinnützigkeit nicht verloren geht. Diese Arbeit findet ehrenamtlich | |
statt, im Kreise von Mitgliedern, deren Kernkompetenz es ist, dass jedes | |
verdammte Wort zählt, und zwar vor allem ihr eigenes, man könnte also auch | |
sagen: in einem irre feinfühligen Haifischbecken. | |
Wir tun das nicht für die Mitglieder, denn dann wären wir eine | |
Interessenvertretung. Wir tun das für unsere Kolleg:innen, die in ihren | |
Heimatländern Repressionen ausgesetzt sind, für ihr Schreiben in den Knast | |
oder in die Todeszelle gehen. Dafür opfern wir unsere Zeit, unser | |
Einkommen, unseren Schlaf, unsere Gesundheit. Ich habe das zweieinhalb | |
Jahre mit Freude getan und nicht eine Sekunde bereut. Ich habe auch viel | |
gelernt. Zum Beispiel Fundraising: „Hallo, wir kennen uns nicht und ich | |
weiß, es ist schon spät, aber Hand aufs Knie, wie viel wollen Sie spenden?“ | |
Ich habe Geduld gelernt, Mitgliederbriefe geschrieben, um wichtige Sachen | |
anzukündigen, und wenn wir dann kurz vor etwas Großem von Mitgliedern | |
gefragt wurden, worum genau es nochmal geht, wo das stattfindet und wann, | |
ob es eigentlich von uns gecharterte Busse geben wird, um die Mitglieder | |
dahin zu fahren, und dass sie leider keine Zeit haben, all unsere E-Mails | |
zu lesen, musste ich dann doch tief ein- und ausatmen, um nicht zu fragen, | |
wer gern mal ein einwöchiges Praktikum in meinem Leben machen möchte. | |
Ich habe auch gelernt, dass ich Statements und offene Briefe, gerade von | |
Prominenten, überflüssig finde. Ganz ehrlich, Leute – ob ihr mit Getöse | |
Elon Musks X verlasst (aber der Gemütlichkeit halber auf Mark Zuckerbergs | |
Insta bleibt) oder ob in China der berühmte Sack Reis …? Wem helft ihr | |
damit, außer euch selbst? | |
Was ich ausgesprochen gern gelernt habe, ist Kneipenschlägerei unter | |
Freund:innen. Denn so eine DIY-Organisation ist eine | |
Zeitverdichtungsmaschine, da müssen Entscheidungen innerhalb von Minuten | |
getroffen werden, auch mal morgens um halb sechs, und da geht es um | |
wichtige Dinge, um Aus- und Einreise und Grenzkontrollen, um Visum oder | |
Knast. | |
Da kann man schon mal die Nerven verlieren und sich im Gerangel eine | |
blutige Nase holen. Aber nach der Schlägerei reichte die Zeit immer für | |
„danke, bitte, Entschuldigung, hier hast du noch einen Witz, du mich auch“. | |
## Austreten, wenn die Welt brennt… | |
Diese Art zu arbeiten wurde gerade als „Machtapparat“ mit | |
„Selbsterhaltungslogik“ bezeichnet, gestützt von einer „Kamarilla aus | |
Vertrauensleuten“. | |
Nee, komm – Macht haben üblicherweise nicht die, die sich nächtelang Beine | |
ausreißen, um etwas möglich zu machen. Und ja: Es wäre schön, wenn der | |
Vorstand eines jungen Vereins darauf achtet, dass der Verein überlebt, | |
gerade wenn das Leben von Menschen daran hängt. Sich dabei gegenseitig zu | |
vertrauen, ist unter elf Boardmitgliedern schwer genug, ich bin glücklich, | |
dass wir das meistens hingekriegt haben. | |
Muss man das wirklich beschädigen? Wozu? Auf die Frage „Was hast du getan, | |
als die Welt brannte?“ mit „Ich bin sehr laut aus einem Verein | |
ausgetreten!“ zu antworten, finde ich nicht zufriedenstellend. | |
Zufriedenstellend ist, nachts um zwei mit einer Kollegin unterwegs zu sein, | |
die, wäre sie nicht mit ihren beiden Söhnen in Berlin, für acht Jahre in | |
einem Gefängnis sitzen würde. Tut sie aber nicht. Sie ist hier, sie hat | |
eine Wohnung, sie ist vor kurzem in die Künstlersozialkasse aufgenommen | |
worden und damit ins deutsche Gesundheitssystem (was wichtig ist, wenn man | |
Fluchterfahrung hat und die Mächtigen nicht zimperlich waren), und sie kann | |
in einer schäbigen Hamburger Kneipe rauchend und Bier trinkend auf einer | |
Bank stehen und singen, wenn sie Bock drauf hat. | |
Das, und nur das, wird beschädigt, wenn sich etwa wegen Resolutionen die | |
Köpfe eingeschlagen werden, wegen „geistiger und moralischer Hygiene“ – | |
nochmal: Nee, komm. | |
Mein Sohn ist Kampfsportler, er steigt jeden Abend in einen Ring, die | |
härteste Trainingseinheit ist Kraftausdauer plus Sparring, was mich immer | |
ein bisschen an meine Arbeit für PEN Berlin erinnert. Als er heute Morgen | |
um kurz vor sieben ins Bad humpelte, sagte er: „Hätte mein Körper Gefühle, | |
hätte er einen Nervenzusammenbruch.“ | |
Ich dachte, ja genau, ersetze „Körper“ durch „Verein“. | |
Simone Buchholz ist Schriftstellerin und war von Juni 2022 bis November | |
2024 im Board von PEN Berlin. | |
11 Dec 2024 | |
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