| # taz.de -- Bericht vom Kongress des PEN Berlin: Schwierigkeiten der Positionie… | |
| > Der PEN Berlin solidarisiert sich mit Israel und kritisiert illiberale | |
| > Tendenzen im Kulturbetrieb. Streit vermied man auf dem Kongress | |
| > tunlichst. | |
| Bild: Hatte im Vorfeld des Kongresses Kritik auf sich gezogen: PEN-Berlin-Sprec… | |
| Zum Skandal taugte die Festrede von [1][A. L. Kennedy] dann nicht. Die | |
| britische Schriftstellerin, über deren BDS-Nähe im Vorfeld des | |
| PEN-Berlin-Kongresses heftig diskutiert wurde, konnte am Samstagabend nur | |
| über Zoom zu ihren Zuhörer:innen in Berlin sprechen. Am Vortag war ihr | |
| in London der Rucksack samt Ausweisdokumenten gestohlen worden, die | |
| Ausreise aus Großbritannien war nicht möglich. | |
| „I’m sorry everything is shit“ war die Rede überschrieben; und über das | |
| bloße Konstatieren des zweifellos desaströsen Welt-Ist-Zustands kommt | |
| Kennedy auch kaum heraus. In dem ihr eigenen schnoddrigen Ton schimpft sie | |
| über die uralten menschlichen Dichotomien; Gut und Böse, Regierende und | |
| Regierte, Korrupte und Mittellose. | |
| Gerade aktuell ist allerdings die Frage nach der Definition von | |
| Meinungsfreiheit, die sie stellt: Unterstützt Redefreiheit die | |
| demokratische Vielfalt der Stimmen – oder das Recht auf Lüge und | |
| Verleumdung? | |
| Der PEN Berlin hat gerade seine erste Krise erlebt. [2][Mehrere Mitglieder | |
| hatten den Schriftstellerverband verlassen, da sie eine | |
| Solidaritätserklärung mit Israel vermissten.] Seit Freitag gibt es eine | |
| solche nun: Bei der Mitgliederversammlung wurden zwei Resolutionen | |
| beschlossen, sagt Deniz Yücel, neben Eva Menasse Sprecher des Boards des | |
| PEN Berlin, in seiner Eröffnungsrede. | |
| Offiziell wird nun „Jüd:innen in Deutschland, Israel und überall“ | |
| Solidarität ausgesprochen, eine zweite Resolution richtet sich gegen | |
| „gesellschaftliche Polarisierung und illiberale Tendenzen im | |
| Kulturbetrieb“. Zudem wuchs die Zahl der PEN-Berlin-Mitglieder trotz | |
| Austritten: 68 weitere Autor:innen seien in den Schriftstellerverband | |
| aufgenommen worden. | |
| ## Muslime unter Generalverdacht | |
| Im Nachgang des Hamas-Überfalls richtete sich der Blick vieler auf | |
| muslimische Communitys, auch in Deutschland. Jouanna Hassoun, die in der | |
| politischen Bildung tätig ist und auf dem ersten Panel des Kongresses | |
| spricht, sieht Muslime unter Generalverdacht gestellt. „Es gibt in Berlin | |
| 45.000 Palästinenser:innen“, sagt sie. Diese würden mit den Randalierern | |
| von propalästinensischen Demonstrationen in einen Topf geworfen, dabei | |
| seien einige dieser Demos erwiesenermaßen von der islamistischen Gruppe | |
| „Generation Islam“ organisiert worden. | |
| Während die taz-Redakteurin Erica Zingher das Fehlen von aus muslimischen | |
| Communitys heraus organisierten „Free Palestine from Hamas“-Demos | |
| bemängelt, stellt der Autor İmran Ayata ebendiesen Begriff der | |
| „muslimischen Communitys“ in Frage. Er erinnert an die Proteste nach dem | |
| Brandanschlag von Mölln vor über 30 Jahren, die damals von türkischen | |
| Rechtsextremen der „Grauen Wölfe“ instrumentalisiert wurden. „Mit diesen | |
| Leuten“, so Ayata, habe er nichts gemeinsam, außer vielleicht der | |
| Rassismuserfahrung. | |
| Mit Spannung erwartet wurde die Diskussionsrunde zu Israel und Palästina. | |
| Die Moderatorin Elisabeth von Thadden geht äußerst vorsichtig vor, fragt | |
| eingangs erst mal nach der Sprecherposition: Woher sprechen Sie? Woher | |
| kommen Sie? „Von Homer!“, fühlt man sich fast versucht zu rufen, doch ist | |
| hier der Platz für Witze nicht. Die vier Diskutanten sind sich in so gut | |
| wie allen Punkten einig, kreisen um die Schwierigkeit der Positionierung. | |
| ## Hemmung, Hebräisch zu sprechen | |
| Die israelische Künstlerin Yehudit Yinhar macht das deutlich anhand ihrer | |
| Kritik an Polizeieinsätzen gegen muslimische Demonstrant:innen in | |
| Berlin-Neukölln und der gleichzeitigen Hemmung, nach dem 7. Oktober | |
| Hebräisch auf der Straße zu sprechen. Die Kulturwissenschaftlerin Sarah El | |
| Bulbeisi spricht von palästinensischen Gewalterfahrungen, die in | |
| Deutschland unsichtbar gemacht würden, und von „Reizwörtern“, die nicht | |
| mehr ausgesprochen werden dürften. | |
| Um welche Wörter es sich handelt, macht Fadi Abdelnour klar. Ob die | |
| Situation in Israel Begriffe wie Genozid, Apartheid oder Kolonialismus | |
| charakterisieren, darüber diskutiere doch die Wissenschaft, so der | |
| Verleger. Von diesen Begriffen scheint der Schriftsteller Tomer | |
| Dotan-Dreyfus zwar nichts zu halten, er wünscht sich jedoch die Freiheit, | |
| jemanden, der von „Genozid“ spricht, nicht zu „canceln“, sondern ihn na… | |
| Details zu fragen. | |
| Die Angst vor der „Cancel Culture“ ist immer wieder Thema auf diesem Panel. | |
| Nun ist es generell sinnvoll, die Grenzen des Sagbaren im Blick zu behalten | |
| und bei etwaigen Verschiebungen aufzumerken – schon allein angesichts der | |
| immer zahlreicher werdenden rechten Regierungen in Europa. | |
| Doch die Frage, ob [3][Masha Gessen,] der:die in einem langen und | |
| hierzulande stark kritisierten Essay im New Yorker unter anderem den | |
| Gazastreifen mit jüdischen Zwangsghettos verglich, wirklich „gecancelt“ | |
| wird, muss ebenso gestellt werden. Das merkt gegen Ende immerhin auch | |
| Elisabeth von Thadden an, die sonst eigentümlich unkritisch bleibt. Aus dem | |
| Publikum waren keine Fragen an die Runde zugelassen. | |
| ## Eintreten für universelle Rechte | |
| Meinungsfreiheit ist das Kernthema des PEN. Zwischen den Diskussionsrunden | |
| machen Mitglieder des PEN Berlin auf verfolgte Autor:innen aufmerksam; | |
| auf berühmte wie Julian Assange, aber auch weniger bekannte, wie die zu | |
| lebenslanger Haft verurteilte uigurische Autorin Rahile Dawut, die seit | |
| sechs Jahren niemand mehr gesehen hat. | |
| Welche Konsequenzen das Eintreten für ein Recht auf free speech haben kann, | |
| war anschaulich im zweiten Saal des Festsaals Kreuzberg zu sehen. Dort | |
| erzählt die LGBT-Aktivistin Zahra Sedighi-Hamedani, wie sie den Beginn der | |
| „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste in Iran aus dem Gefängnis mitverfolgte und | |
| wie ihr Eintreten für universelle Rechte dazu führte, dass sie schließlich | |
| zum Tode verurteilt wurde. | |
| Die historische Bedeutung des Urteils macht indes [4][die Publizistin Shadi | |
| Amin] deutlich. Dass Homosexualität unter Männern bestraft wird, sei in | |
| Iran nicht neu. Mit Sedighi-Hamedani war jedoch erstmals eine Frau wegen | |
| Verbreitung von Homosexualität sowie „Korruption auf Erden“ zum Tode | |
| verurteilt worden. | |
| Auch aufgrund des internationalen Drucks konnte die Hinrichtung schließlich | |
| abgewendet werden. Doch obwohl die großen Protestwellen in Iran abgeebbt | |
| sind, bleibt die Lage dramatisch. Über 600 Menschen ließ die Islamische | |
| Republik allein in diesem Jahr hinrichten. Angesichts der Weltlage ist | |
| dieser weiter giftig schwelende Brandherd allerdings arg in den Hintergrund | |
| gerückt. | |
| Das spiegelte sich auch in Berlin am Samstagabend wider. Die | |
| vergleichsweise wenigen Besucher des Panels gehörten größtenteils der | |
| iranischen Diaspora und der LGBT-Community an. | |
| 17 Dec 2023 | |
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| [4] /Todesurteil-fuer-LGBTQI-Aktivistinnen/!5879380 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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