| # taz.de -- Interessenkonflikte bei Abgeordneten: Zwischen Aktien und Amt | |
| > Abgeordnete haben Zugang zu exklusiven Informationen, die an der Börse | |
| > Vorteile bringen können. Doch die Regeln für Aktien sind im Bundestag | |
| > lax. | |
| Bild: Die gläserne Kuppel steht eigentlich für Transparenz: Die Sitze im Deut… | |
| Es war der 13. Februar 2020, die USA verzeichneten gerade erst ihren 15. | |
| bestätigten Corona-Fall, da entschloss sich Senator Richard Burr zu einem | |
| groß angelegten Verkauf von Aktien. Fast alles flog aus seinem Depot. Am | |
| Ende hatte er Papiere im Wert von 1,65 Millionen US-Dollar veräußert. Er | |
| rief seinen Schwager an. Auch der warf Aktien aus dem Portfolio seiner | |
| Frau. Das Timing war ausgezeichnet. Eine Woche später crashten weltweit die | |
| Börsenkurse. Der Republikaner hatte sich und seiner Familie den Absturz | |
| ihrer Anlagen erspart. | |
| Doch die beeindruckende Geschichte des Mannes, der die Folgen der | |
| Covid-Krise für die Finanzmärkte vor fast allen anderen erkannte und davon | |
| profitierte, hatte einen Haken: Burr saß im Geheimdienst- und im | |
| Gesundheitsausschuss des US-Senats. [1][Er war mehrfach vertraulich über | |
| die Gefahr durch das Virus informiert worden.] Es begannen Ermittlungen | |
| gegen ihn wegen Verdachts auf Insiderhandel. Nach Einschätzung der | |
| Börsenaufsicht kannte er „wesentliche nicht-öffentliche Informationen über | |
| Covid-19 und seine möglichen Auswirkungen auf die Wirtschaft der USA und | |
| der Welt“. Burr sagte, er habe bei seiner Verkaufsentscheidung nur | |
| öffentliche Nachrichten berücksichtigt. Die Ermittlungen wurden ohne Angabe | |
| von Gründen eingestellt. | |
| Der Fall ist nur einer von vielen in den USA. Das Handeln mit Aktien und | |
| anderen Finanzinstrumenten ist bei Kongressmitgliedern und ihren | |
| Angehörigen ein verbreiteter Nebenjob. Rund ein Drittel von ihnen kaufte | |
| oder verkaufte zwischen 2019 und 2021 Wertpapiere, ergab eine | |
| [2][Auswertung der New York Times]. Im Deutschen Bundestag könnte es | |
| ähnlich aussehen. Doch öffentlich wie in den USA sind diese Daten | |
| hierzulande nicht. | |
| Nicht jeder Aktienbesitz eines Politikers führt zu einem | |
| Interessenkonflikt. Bei langfristig angelegten, breit gestreuten passiven | |
| Fonds (ETFs) ist die Gefahr etwa geringer als beim aktiven Handel mit | |
| Aktien einzelner Unternehmen. Kurse von Firmen reagieren anfälliger als die | |
| aus vielen Unternehmensaktien bestehenden ETFs. Diese bilden lediglich | |
| einen Index nach. Um ETFs handelte es sich bei den untersuchten Investments | |
| der US-Kongressmitglieder allerdings nicht. Aktienfonds wurden nicht | |
| mitgezählt. Der Anteil an möglichen Interessenkollisionen war am Ende | |
| alarmierend: Rund ein Fünftel aller Senatoren und Abgeordneten handelten in | |
| den drei Jahren Papiere, die sich mit der Arbeit ihrer Ausschüsse | |
| überschnitten. | |
| Dass das bekannt werden konnte, liegt an der Offenlegungspflicht in den | |
| USA. Kongressmitglieder müssen jedes Geschäft mit Finanzinstrumenten von | |
| ihnen oder Angehörigen ab 1.000 Dollar offenlegen. Auch in anderen | |
| Demokratien gibt es strenge Regeln. In Frankreich müssen Abgeordnete und | |
| Regierende jegliche Aktien nach Amtsantritt darlegen, Parlamentarier des | |
| Unterhauses in Großbritannien ab 70.000 Britischen Pfund Wert oder ab 15 | |
| Prozent der Unternehmensanteile. | |
| Von so viel Transparenz ist Deutschland weit entfernt. Die | |
| Bundestagsabgeordneten haben ihre Aktiengeschäfte nahezu komplett gegen | |
| Kontrolle abgeschirmt. Das Abgeordnetengesetz schreibt zwar vor, dass sie | |
| direkte und indirekte Beteiligungen ab einem Anteil von 5 Prozent einer | |
| Kapital- oder Personengesellschaft der Bundestagspräsidentin angeben | |
| müssen. Doch beim üblichen Börsenwert einer Aktiengesellschaft ist eine | |
| 5-Prozent-Beteiligung einer Person ein in der Regel unerreichbarer | |
| Grenzwert. | |
| Das zeigen Rechenbeispiele. Der durchschnittliche Börsenwert einer der über | |
| 1.500 Konzerne im Industrieländerindex MSCI World beträgt rund 32 | |
| Milliarden Euro. Ein 5-Prozent-Anteil würde 1,6 Milliarden Euro kosten. | |
| Erst ab dieser Höhe müsste ein Abgeordneter Aktien eines Konzerns aus dem | |
| MSCI World im Schnitt melden – keine realistische Größenordnung. Selbst bei | |
| kleineren Aktiengesellschaften, sogenannten Small Caps, kostet eine | |
| 5-Prozent-Beteiligung im Schnitt noch rund einen zweistelligen | |
| Millionen-Euro-Betrag – zu viel für die allermeisten Parlamentarier für | |
| eine einzige Position. Die Folge: Wertpapierbesitz muss fast nie | |
| offengelegt werden. „Eigene Interessen von Abgeordneten werden hier nicht | |
| sichtbar“, kritisiert Léa Briand, Geschäftsführerin der | |
| Transparenzinitiative [3][Abgeordnetenwatch]. | |
| Es ist nicht die einzige Lücke in puncto Aktien im Abgeordnetengesetz. Auch | |
| Dividenden bleiben fast immer verborgen. Anzuzeigen sind auch sie nur, wenn | |
| der Anteil am Unternehmen 5 Prozent übersteigt und sie Schwellenwerte | |
| überschreiten. Ebenso wenig Sichtbarkeit schafft die Vorgabe für | |
| Aktienoptionen. Sie gewähren das Recht, Anteile zu einem bestimmten Preis | |
| zu kaufen oder verkaufen. Offengelegt werden müssen sie nur, wenn sie als | |
| Gegenleistung für eine Tätigkeit gewährt werden. In Fachausschüssen gibt es | |
| für die Abgeordneten immerhin die Pflicht, direkt vor einer Wortmeldung | |
| eine eigene Interessenverknüpfung anzusprechen. Im Bundestagsplenum gilt | |
| das aber nicht. | |
| ## Hedgefonds fragen Parlamentarier | |
| Einer, der als Bundestagsabgeordneter nach eigenen Angaben auf aktive | |
| Finanzanlagen verzichtet hat, ist Ex-Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi. | |
| Vier Jahre lang konnte er bis zu seinem Ausscheiden 2021 aus der Nähe | |
| beobachten, wie seine Kollegen mit Aktieninvestments umgingen. „Ich weiß | |
| von etlichen Abgeordneten, die über Einzeltitel verfügen und zuweilen | |
| darüber Scherze machten, wie sich diese oder jene Entscheidung auf ihr | |
| Portfolio auswirken wird“, sagt der studierte Volkswirt, der mit Ende | |
| seines Mandats ETFs kaufte und diese sowie sein Vermögen (rund 70.000 Euro) | |
| [4][offenlegte]. Namen nennt er nicht. | |
| De Masi findet es „bemerkenswert“, dass sich Bundestag und Regierung | |
| laschere Regeln geben als international und teils selbst in der | |
| Privatwirtschaft üblich. „Abgeordnete erhalten permanent börsenrelevante | |
| Informationen“, sagt er. Viele hätten Kenntnisse über Diskussionen in | |
| Ministerien zu Gesetzen. Parlamentarier-Delegationen ins Ausland dienten | |
| oft für Gespräche über Pläne deutscher Unternehmen. Selbst professionelle | |
| Investoren versuchten, vom Informationsvorsprung von Bundestagsmitgliedern | |
| zu profitieren – mit Anfragen nach unveröffentlichten Daten. | |
| So hätten Hedgefonds öfter die Antworten auf parlamentarische Anfragen De | |
| Masis haben wollen, noch bevor diese öffentlich zugänglich wurden. | |
| Abgeordnetenwatch hält es für „sehr realistisch“, dass solche Information… | |
| häufig auch ausgehändigt werden. Auch eigene Entscheidungen wie für das | |
| Sondervermögen der Bundeswehr oder jegliche Regulierung könnten sich auf | |
| Kurse auswirken, führt De Masi aus. | |
| Geht er davon aus, dass es viele unentdeckte Fälle von Interessenkonflikten | |
| bei Aktiengeschäften im Bundestag gibt? „Selbstverständlich“, sagt er. | |
| „Wenn Abgeordnete schon mit Schutzmasken dealen, werden einige dies auch | |
| gezielt mit Aktien tun.“ Er vermutet, dass besonders der | |
| Verteidigungsausschuss zuletzt „von hohem Interesse für Glücksritter“ war. | |
| ## taz-Umfrage unter Abgeordneten | |
| Überprüfen anhand öffentlicher Daten lässt sich das nicht. Also fragte die | |
| taz stichprobenartig 38 Parlamentarier aller Parteien an, welche | |
| Einzeltitel, Fonds oder andere Finanzinstrumente sie in dieser | |
| Legislaturperiode besessen oder damit gehandelt haben. Ausgewählt wurden | |
| die Personen anhand der biografischen Selbstauskünfte auf der | |
| Bundestagswebseite, etwa bei einer Tätigkeit in der Finanzbranche. Das | |
| Ergebnis: Keiner von ihnen legte Aktiennamen offen. 28 Abgeordnete, knapp | |
| drei Viertel, antworteten gar nicht, darunter Carsten Linnemann (CDU), | |
| Parsa Marvi (SPD), Frank Bsirske (Grüne), Frank Schäffler (FDP), Alice | |
| Weidel (AfD) und Klaus Ernst (Linke). Vier teilten mit, dass sie keine | |
| Aktien besitzen. Sechs schrieben zwar zurück, beantworteten die Frage aber | |
| nicht. | |
| Bundesbildungsministerin und Abgeordnete Bettina Stark-Watzinger (FDP) etwa | |
| lässt ausrichten, sie setze sich dafür ein, dass mehr Menschen von einer | |
| Anlage am Kapitalmarkt profitieren können, etwa durch die Aktienrente. | |
| „Konsequenterweise“ sorge sie auch mit Aktien vor. Mit welchen, beantwortet | |
| sie nicht. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) verweist nur auf ihre | |
| veröffentlichungspflichtigen Angaben und ihre Website. Dort macht sie ihren | |
| Steuerbescheid publik. Keinen Einblick gewährt Ex-Analyst Lennard Oehl | |
| (SPD), auf dessen Website in großen Buchstaben [5][„Gläserner | |
| Abgeordneter“] steht. Er „bittet um Verständnis, dass er grundsätzlich | |
| Fragen zu seinen privaten Finanzanlagen nicht beantwortet“. | |
| Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), ebenfalls Abgeordneter, lässt | |
| übermitteln, er habe sich der Dienstanweisung seines Ministeriums für | |
| Finanzgeschäfte unterworfen. Darüber hinaus handele er nicht mit | |
| Einzelaktien. Gefragt nach der vorigen Legislaturperiode teilt sein | |
| Sprecher mit, weitergehende Angaben „können wir nicht machen“. Mehr | |
| Auskunft zu dieser Zeit gab Lindner im Netz. 2019 bezeichnete er sich auf X | |
| [6][„als glücklicher Aktionär“] des Fleischersatz-Produzenten Beyond Meat. | |
| 2021 erzählte er im Podcast „Ohne Aktien wird schwer“, er investiere vor | |
| allem in ETFs, habe bei einer Onlinebank aber auch kurzfristige Trades mit | |
| Einzelaktien und Optionsscheinen durchgeführt. Die Größenordnung sei immer | |
| „ein Abendessen oder maximal ein Wochenendurlaub“ gewesen. Als Minister | |
| legt er laut Äußerungen, unter anderem im Börsenmagazin [7][Der Aktionär], | |
| nur noch in ETFs an. | |
| Größter ETF-Anbieter weltweit ist Ishares. Er gehört dem US-Konzern | |
| Blackrock. Aufsichtsratschef dessen deutschen Ablegers war von 2016 bis | |
| 2020 CDU-Chef Friedrich Merz. Ob er dabei auch Wertpapiere bekam, | |
| beantwortete das Unternehmen auf Anfrage nicht. | |
| Sicher ist allerdings, dass er als Verwaltungsratsmitglied des | |
| Zug-Herstellers Stadler Rail Aktien des Konzerns besaß. 2019 gehörten ihm | |
| laut dem Anlegerprospekt zum Börsengang 150.000 Stück, die er nach eigener | |
| Aussage erhalten und zugekauft hatte. Wert wären sie etwa 5 Millionen Euro. | |
| Öffentlich machen müsste Merz eine Beteiligung gemäß der 5-Prozent-Regel | |
| derzeit erst ab rund 170 Millionen Euro. Ob er die Anteile an Stadler Rail | |
| noch hält, ist nicht bekannt. Eine taz-Anfrage zu seinem derzeitigen | |
| Aktienbesitz beantwortete er nicht. | |
| Auch Parteifreund Jens Spahn reagierte nicht. Die Frage, wie der | |
| Unions-Fraktionsvize und sein Ehemann sich 2020 die Finanzierung einer – | |
| inzwischen wieder verkauften – 4,1-Millionen-Euro-Villa in Berlin leisten | |
| konnten, beschäftigt Journalisten seit Jahren. Als „gelernter Bankkaufmann“ | |
| habe er „größere Teile seines Einkommens über zwei Jahrzehnte in | |
| Wertpapieren und Immobilien angelegt“, [8][sagte er 2022 dem Spiegel]. In | |
| welche Papiere zuletzt? Ein Geheimnis. | |
| ## Die schnelle Reform | |
| Dabei ist es noch nicht lange her, dass der Bundestag bei der Transparenz | |
| ein völlig neues Kapitel aufschlagen wollte. Erst hatte 2020 der Skandal um | |
| [9][Lobbytätigkeiten und Aktienoptionen von Philipp Amthor] (CDU) die | |
| Republik aufgeschreckt, dann 2021 die Maskengeschäfte von Unionspolitikern. | |
| Der Bundestagswahlkampf stand bevor. Bei den Christdemokraten herrschte | |
| Panik. Sie wollten das Thema aus den Medien haben – und machten der SPD | |
| Zugeständnisse für neue Verhaltensregeln. Es ging schnell wie selten. Schon | |
| im Juni 2021 beschloss die Große Koalition die Reform mit Grünen und | |
| Linken. | |
| Eine der Neuerungen war, dass Beteiligungen an Kapital- und | |
| Personengesellschaften nicht mehr ab einem 25-Prozent-Anteil offengelegt | |
| werden müssen, sondern schon ab den erwähnten 5 Prozent. Die Verschärfung | |
| war eine Idee der SPD. Die 5 Prozent wählte sie willkürlich. Sie wollte | |
| nach den Affären der Union ein Signal setzen. Die war erst dagegen. Dann | |
| willigte sie ein. | |
| Doch die neue Regel hat den selben Grundfehler wie die alte: Sie greift | |
| zwar bei kleineren Firmen wie Kanzleien, bei denen Abgeordnete oft | |
| Teilhaber sind. 5 Prozent Beteiligung ist hier schnell erreicht. Bei | |
| Anteilen an Konzernen läuft die Regelung aufgrund hoher Unternehmenswerte | |
| allerdings ins Leere. | |
| Eine 0-Prozent-Regelung, die Offenlegung aller Beteiligungen, kam auch für | |
| die SPD nicht in Frage. Sie fürchtete nicht nur zu viel Bürokratie, sondern | |
| vor allem einen Eingriff in die Privatsphäre der Abgeordneten. Bei einer | |
| Klage wollte sie mit dem Gesetz nicht vor dem Bundesverfassungsgericht | |
| scheitern. Auslöser dieser Sorge war ein Urteil von 2007. Damals hatten | |
| neun Abgeordnete, darunter Merz, gegen eine Verschärfung der | |
| Verhaltensregeln geklagt. Die Klage wurde zwar abgewiesen, aber nur durch | |
| ein Patt zwischen den acht Richtern. | |
| Kaum einer kennt sich mit Parlamentsrecht und Abläufen im Bundestag aus wie | |
| Wolfgang Zeh. Der habilitierte Verwaltungswissenschaftler, Sozialdemokrat | |
| und Vater der Autorin Juli Zeh hatte ab 1971 eine lange, steile Karriere in | |
| der Verwaltung des Hohen Hauses. Von 2002 bis 2006 war er ihr Leiter, | |
| Direktor beim Deutschen Bundestag. Dass den Abgeordneten eine | |
| Offenlegungspflicht auferlegt ist, rechtfertige sich durch ihr öffentliches | |
| Amt, sagt der 81-Jährige. So eine Pflicht müsse aber die | |
| verfassungsrechtliche Handlungsfreiheit der Parlamentarier als Bürger | |
| beachten. Sie dürfe auch nicht dazu führen, dass Bundestags-Mandate so | |
| unattraktiv würden, „dass relevante Teile der Bevölkerung eine Bewerbung | |
| nicht mehr in Betracht ziehen“. | |
| Zeh skizziert eine Möglichkeit, Aktien von Konzernen ohne | |
| 0-Prozent-Regelung besser offenzulegen. „Wollte man nach dem Börsenwert der | |
| Unternehmen differenzieren, um bedeutende Anteile an großen | |
| Aktiengesellschaften zu erfassen und Anteile an kleineren auszunehmen“, | |
| sagt er, „könnte man allenfalls an eine Stufenregelung denken, etwa in der | |
| Weise, dass die Offenlegungspflicht mit dem Unternehmenswert steigt: Je | |
| höher der Unternehmenswert, desto niedriger die Prozentgrenze, ab der | |
| offenzulegen wäre.“ | |
| ## Bundestag prüft sich selbst | |
| Nicht nur die 5-Prozent-Regel ist ein Problem, auch die Kontrolle. Denn der | |
| Bundestag beaufsichtigt sich selbst. Die Volksvertreter müssen ihre Angaben | |
| der Bundestagspräsidentin melden. Ihr untersteht die Bundestagsverwaltung. | |
| Diese teilt mit, sie prüfe mögliche Verstöße gegen die Verhaltensregeln | |
| „regelmäßig“ – etwa aufgrund von Plausibilität, Rückfragen von | |
| Abgeordneten, missverständlichen Angaben, Presseberichten, Bürgeranfragen | |
| und Selbstanzeigen. | |
| Die Bewertungskriterien seien „eine Blackbox, ein großes Fragezeichen“, | |
| kritisiert Léa Briand von Abgeordnetenwatch: „Selbstkontrolle ist keine | |
| gute Lösung.“ In vielen anderen Ländern übernehme eine externe Instanz die | |
| Prüfung. Die Verwaltung habe „eher den Reflex, Abgeordnete abzuschirmen“, | |
| sagt auch De Masi. Das Anti-Korruptionsgremium des Europarats fragte, „ob | |
| sich die Bundestagsverwaltung nicht in zu großer Nähe zur Macht befindet, | |
| als dass sie Abgeordnete wirksam kontrollieren“ könne. | |
| Ihr Ex-Leiter Zeh betrachtet den Vorschlag einer externen Kontrollinstanz | |
| jedoch mit Skepsis. Er sieht „vor allem ungelöste Fragen“, etwa wer sie | |
| einsetzen solle, an welche Institution sie angegliedert sein solle, wer | |
| ihre Mitarbeiter auswähle und ob das verfassungsrechtlich überhaupt | |
| zulässig sei. Letzten Endes sei es der Bundestag selbst, der „verpflichtet | |
| und damit auch befugt“ sei, sich mit dem Verhalten der Abgeordneten im | |
| Rahmen ihres Mandats zu befassen, sagt er. | |
| ## In Frankreich liegt fast alles offen | |
| Frankreich hat diese Fragen für sich gelöst. Das Nachbarland gilt als | |
| besonders gründlich bei Transparenz. Nach der Aufdeckung von | |
| [10][Schwarzgeldkonten des Haushaltsministers Jérôme Cahuzac] wurde 2013 | |
| die unabhängige [11][„Hohe Behörde für die Transparenz des öffentlichen | |
| Lebens“] gegründet. Ihr Kürzel HATVP ist seitdem bei Abgeordneten und | |
| Regierungsmitgliedern im ganzen Land gefürchtet. Ob Präsident oder | |
| Bürgermeister – tausende Staatsbedienstete müssen nach Amtsantritt eine | |
| Vermögenserklärung einreichen. Enthalten sind etwa Konten, Immobilien, | |
| Geldvermögen, Schulden, Lebensversicherungen, Schmuck, Autos und Aktien. | |
| Die HATVP prüft und veröffentlicht sie. Das hatte schon weitreichende | |
| Folgen, beendete Karrieren von Ministern und führte zu Verurteilungen vor | |
| Gericht. | |
| Auch in anderen Demokratien wächst die Sensibilität für Befangenheit durch | |
| Aktien. In Norwegen verloren kürzlich die Außenministerin und der | |
| Forschungsminister wegen Skandalen ihre Posten. Ex-Ministerpräsidentin Erna | |
| Solberg räumte ebenfalls ein, dass ihr Mann in ihrer Amtszeit [12][mehr als | |
| 3.000 Mal an der Börse gehandelt hatte] – teils Firmen, über die sie | |
| entschied. In Großbritannien wurden jüngst bei [13][über 50 Abgeordneten | |
| mögliche Interessenkollisionen durch Aktien] bekannt. So besaß der Mann von | |
| Theresa May Papiere des Telekommunikationskonzerns BT, während sie als | |
| Ministerin Gespräche mit dem Unternehmen führte. | |
| Selbst in den USA, wo die Meldepflicht strenger ist als in Großbritannien | |
| und Deutschland, wird eine Verschärfung diskutiert. Politiker beider | |
| Parteien haben gemeinsame Vorschläge vorgelegt, die Kongressmitgliedern und | |
| Angehörigen den Handel von Einzelaktien verbieten würden. Die Mehrheit der | |
| Bürger unterstützt das. | |
| Hierzulande findet das Thema bisher lediglich auf Plattformen wie X, Reddit | |
| oder Abgeordnetenwatch Beachtung. „Es bewegt viele Wähler“, sagt Briand. | |
| Sie kommt aus Frankreich und plädiert für Vermögenserklärungen nach | |
| dortigem Vorbild, zumindest aber Offenlegung aller Beteiligungen. | |
| De Masi hält den Besitz von Aktien, die vor dem Mandat erworben wurden, für | |
| vertretbar – ebenso breit gestreute, passive Investments wie ETFs. Auf | |
| aktive Anlagen und Zu- oder Verkäufe sollten Abgeordnete aber verzichten, | |
| sagt er. Nötig sei eine Meldepflicht mit Zweitschriftverfahren. Banken | |
| müssten dann die Kopie einer Order an eine Behörde übermitteln. Das solle | |
| auch in Ministerien gelten. | |
| Dass das bald Realität wird, ist nicht zu erwarten. Die Anwendung der | |
| geänderten Verhaltensregeln wird derzeit im Bundestag evaluiert. Spricht | |
| man das Thema dort in Hintergrundgesprächen an, heißt es, Deutschland habe | |
| bei Transparenzbestimmungen einen zögerlicheren Ansatz als andere Länder. | |
| Es laufe alles gut, deshalb brauche es keine strengen Vorschriften. | |
| Geregelt werde, wenn etwas nicht laufe. Ohne Skandal komme es zu keiner | |
| Reform. | |
| 2 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Insidergeschaefte-von-US-Republikanern/!5673039 | |
| [2] https://www.nytimes.com/interactive/2022/09/13/us/politics/congress-stock-t… | |
| [3] https://www.abgeordnetenwatch.de/ | |
| [4] https://www.fabio-de-masi.de/de/topic/37.transparenz.html | |
| [5] https://www.lennard-oehl.de/berlin | |
| [6] https://twitter.com/c_lindner/status/1134170848624033792?lang=de | |
| [7] https://www.deraktionaer.de/artikel/maerkte-forex-zinsen/christian-lindner-… | |
| [8] https://www.spiegel.de/panorama/jens-spahn-und-seine-millionen-villa-der-sc… | |
| [9] /Korruptionsvorwurf-gegen-Philipp-Amthor/!5689623 | |
| [10] /Korruptionsurteil-in-Frankreich/!5361883 | |
| [11] https://www.hatvp.fr/en/ | |
| [12] /Korruption-in-Norwegen/!5962710 | |
| [13] https://www.theguardian.com/politics/2023/jul/09/revealed-shares-held-in-s… | |
| ## AUTOREN | |
| Timo Hoffmann | |
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