Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regierung setzt Schuldenbremse aus: Krise 2023 jetzt amtlich
> Der Finanzminister schluckt im Haushaltsstreit die erste Kröte – und
> setzt die Schuldenbremse für dieses Jahr aus. Was 2024 wird, bleibt
> unklar.
Bild: Zusammen kriselt's: Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz am 1…
Berlin taz | Die Ampelregierung will für das laufende Jahr die im
Grundgesetz verankerte [1][Schuldenbremse] aussetzen. Bundesfinanzminister
Christian Lindner (FDP) kündigte am Donnerstag in Berlin an, dass er
kommende Woche einen entsprechenden Nachtragshaushalt für 2023 vorlegen
werde.
Die Aufhebung der Schuldenbremse hatte sich nach dem [2][Grundsatzurteil
des Bundesverfassungsgerichts] zum Klimafonds angedeutet. Die Karlsruher
Richter hatten in der vergangenen Woche die Umwidmung von 60 Milliarden
Euro an Corona-Krediten für andere Zwecke für nichtig erklärt.
Das Urteil wird wohl Auswirkungen auf andere Sondertöpfe, wie den
Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aber auch den Haushalt für 2024
haben. Die Ampelfraktionen hatten die Haushaltsberatungen deshalb in dieser
Woche gestoppt.
Grünen-Haushälter Sven Christian Kindler begrüßte die Entscheidung. Nur so
bekäme die Regierung nach dem Urteil aus Karlsruhe einen
verfassungskonformen Haushalt hin. „Wir reden hier über 40 Milliarden
Euro Ausgaben aus dem WSF und aus dem Sondervermögen für die Flutopfer im
Ahrtal, die nicht durch Steuererhöhung oder Einsparung zu kompensieren
sind.“
## In der Ampel abgesprochen
Auch in der SPD-Fraktion, die sich am Mittwochabend zu einer Sondersitzung
traf, war man nach Angaben aus Teilnehmer:innenkreisen zum Schluss
gekommen, dass die Schuldenbremse für 2023 aufgehoben werden müsse, um ein
noch größeres Finanzchaos zu vermeiden. Lindner hatte seine Entscheidung
mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck abgesprochen.
Offen ist jedoch, wie es nun mit dem Haushalt für 2024 weitergeht. Über den
Klimafonds sollten 57,6 Milliarden Euro etwa in die Förderung von
Elektromobilität oder erneuerbare Energien fließen. Geld das nun fehlt.
Eine Möglichkeit, das Loch zu stopfen wäre, im nächsten Jahr erneut die
Schuldenbremse krisenbedingt auszusetzen. Diese Möglichkeit deutete die
Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, an. „Das
Bundesverfassungsgericht sagt uns, Schulden aufzunehmen ist völlig in
Ordnung, aber ihr müsst es jedes Jahr begründen“, so Mast im
Deutschlandfunk.
## Subventionen auf dem Prüfstand
Eine andere Möglichkeit, die geplanten Programme aus dem Klimafonds zu
finanzieren, sei nach Auffassung von Kindler der Abbau klimaschädlicher
Subventionen. Die Liste des Bundesumweltamts summiert sich auf 65
Milliarden Euro, darunter fallen aber auch das Baukindergeld oder die
soziale Wohnraumförderung.
Eine andere Möglichkeit sind Einsparungen im Sozialen, wie es Union und FDP
fordern. Was aber nicht so einfach ist. „Fast alle Sozialleistungen sind
parlamentsgesetzlich festgelegt und können daher nur im entsprechenden
Gesetzgebungsverfahren mit parlamentarischer Mehrheit geändert werden“,
sagt Christoph Gröpl, Staatsrechtsexperte an der Universität des Saarlands.
Würde man also beim Bürgergeld kürzen wollen, müsste man das Gesetz, dass
die Erhöhungen mehr an die Inflation bindet und das die Union seinerzeit
mit verabschiedet hat, wieder ändern.
„Um Sozialleistungen anzupassen, müssen die entsprechenden Sozialgesetze
geändert werden. Dies kann aber zum Beispiel vergleichsweise rasch in einem
Sammelgesetz erfolgen, etwa in einem sogenannten Haushaltsbegleitgesetz“,
erklärt Gröpl. Allerdings könnte dies beim [3][Bürgergeld] heikel werden,
denn hier schreibt das Verfassungsgericht ein Existenzminimum vor.
## Kein Rechtsanspruch auf Fördermittel
Ist das Geld für eine Sozialleistung, auf die ein Anspruch besteht, im
Haushalt schlichtweg nicht da, „muss man diese Lücke an anderer Stelle bei
den Einnahmen oder Ausgaben ausgleichen“, sagt Henning Tappe,
Finanzrechtsexperte an der Universität Trier.
Das bedeutet, dass sich zum Beispiel der jährliche staatliche Zuschuss zur
Rente von mehr als 100 Milliarden Euro theoretisch dadurch senken ließe,
indem man die Beiträge zur Rentenversicherung für Versicherte und
Arbeitgeber erhöht. Solche Umschichtungen sind heikel.
„Mehr Spielraum für Einsparungen gibt es bei Fördermitteln, bei
Subventionen, bei geplanten Investitionen, die im Haushalt aufgeführt
sind“, sagt Tappe. Auf diese Förderungen gibt es keinen Rechtsanspruch.
„Dort kann man leichter sparen, allerdings nicht, wenn zum Beispiel schon
Förderbescheide ausgestellt wurden“, so Tappe.
## Sparschwein Investitionen
Fördermittel für Sanierungsvorhaben, Wirtschaftssubventionen,
Modellprojekte, auf die kein Rechtsanspruch besteht, sind bei
Haushaltszwängen wie jetzt besonders gefährdet. „Weil bei Investitionen die
gesetzlichen Bindungen geringer sind als zum Beispiel bei Sozialausgaben,
wird bei Investitionen tendenziell eher gekürzt, soweit das politisch
akzeptiert ist“, sagt Tappe.
Und kleinere Posten, etwa für Beratungsstellen für Migrant:innen,
Freiwilligendienste, Sprachinstitute, standen und stehen schon länger auf
der Kippe.
Egal auf welchen Weg, sich die Koalition einigt, sie muss es bald tun.
Sonst würde für 2024 eine vorläufige Haushaltsführung gelten. Das würde
unter anderem die geplante Erhöhung der Militärhilfe für die Ukraine
betreffen.
23 Nov 2023
## LINKS
[1] /Debatte-um-die-Haushaltskrise/!5971123
[2] /Urteil-des-Bundesverfassungsgerichts/!5973169
[3] /Streit-ueber-Buergergeld/!5969644
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
Anna Lehmann
## TAGS
Das Milliardenloch
Bundesverfassungsgericht
Ampel-Koalition
GNS
Inflation
Ampel-Koalition
Ampel-Koalition
Wir retten die Welt
Christian Lindner
Bündnis 90/Die Grünen
Bundeswehr
Ampel-Koalition
## ARTIKEL ZUM THEMA
Inflationsrate in der Eurozone: Deutschland treibt Euro-Inflation
Nicht nur in Deutschland, auch in der Eurozone steigen die Preise wieder
schneller. Grund ist der Wegfall von Entlastungsmaßnahmen der Regierung.
Haushaltskrise der Ampel: „Das geht so nicht“
Das Geld für die Preisbremsen stehe nicht mehr zur Verfügung, sagt der
Finanzminister. Der Co-Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, hält dagegen.
Urteil zur Schuldenbremse: Keine Katastrophe
Ja, es ist lästig und nervig. Jede Partei der Ampel muss ihrer Klientel
gewisse Opfer zumuten. Dennoch: die Einsparungen sind zu stemmen.
Enkeltaugliche Finanzpolitik: Schuldenbremse, aber richtig!
Generationengerechtigkeit in Finanzfragen gut und schön. Aber ist es
wichtiger, schwarze Zahlen zu vererben als eine lebenswerte Welt, Herr
Lindner?
Gesetz im Bundesrat: Wachstumspaket gestoppt
Das Wachstumschancengesetz sollte die deutsche Wirtschaft in Milliardenhöhe
entlasten. Länder beklagen aber eine unfaire Kostenverteilung.
Parteitag der Grünen: Willkommen, graue Wirklichkeit
Der Druck auf die Grünen in diesen Tagen ist enorm. Zum Auftakt ihres
Parteitags üben sie sich im Umgang damit – durch Pragmatismus.
Sondervermögen ist sicher: Keine Sperre für die Bundeswehr
Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil bangen alle Ministerien.
Verteidigungsminister Pistorius kann sich entspannen. Das Sondervermögen
ist ausgenommen.
Fehlende 60 Milliarden Euro: Streit um Haushaltsloch dauert an
Während sich Wirtschaftsminister Habeck für eine Reform der Schuldenbremse
ausspricht, halten FDP und Union dagegen. Die Wissenschaft ist uneins.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.