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# taz.de -- Parteitag der Grünen: Willkommen, graue Wirklichkeit
> Der Druck auf die Grünen in diesen Tagen ist enorm. Zum Auftakt ihres
> Parteitags üben sie sich im Umgang damit – durch Pragmatismus.
Bild: Einigermaßen grün und heiter: Annalena Baerbock und Robert Habeck auf d…
Karlsruhe taz | „Unsere Ideologie heißt Wirklichkeit“. Es ist Robert
Habeck, der dem [1][Grünen-Parteitag in Karlsruhe] das eigentliche Motto
gibt – auch wenn vorne auf der Bühne steht: „Machen, was zählt“.
Man lasse sich nicht zurück in die Nische schieben, sagt auch der
Parteivorsitzende Omid Nouripour. Es gebe Angriffe, „weil wir im Zentrum
des Geschehens stehen“. Auch Vorsitzende Ricarda Lang schwenkt auf den Kurs
des Pragmatismus ein: „Wenn man immer die reine Lehre vertritt, landet man
wie FDP und Linkspartei im Abseits“, sagt sie mit Blick auf die vergangenen
Landtagswahlen.
Trotz Wahlniederlagen in Bremen, Bayern und Berlin. Obwohl man in
[2][Hessen aus der Regierung geflogen ist]. Und trotz des harten
Gegenwinds, den Robert Habeck mit seinem Heizungsgesetz erlebt hat: Es ist
ein einigermaßen heiteres Jetzt-erst-Recht, was da vom ersten Tag des
Parteitags in Karlsruhe ausgeht. Hier hatten die Grünen sich schon vor 42
Jahren zum Gründungsparteitag versammelt.
Früher wäre in so einer Situation eine Kursdebatte zwischen Realos und
Fundis ausgebrochen. Heute sind es nicht die Grünen, sondern 500 Mitglieder
der FDP, die ihre Parteiführung zum Austritt aus der Ampelkoalition nötigen
wollen – während Wirtschaftsminister Robert Habeck die Grünen weiter auf
Pragmatismus einschwört.
## Gemeinsame Feinde
Den größten Applaus bekommt er aber, als er sagt: „Ich höre immer, die
Grünen müssten in der Realität ankommen. Ich kann es nicht mehr hören“. Da
jubelt der Parteitag. Die Grünen hätten längst die Realitäten von Krieg,
Klimakrise und Migration angenommen, so Habeck. Die Realität hätten die
Parteien der großen Koalition verweigert: „Die Groko hat uns in diese Lage
gebracht. Realitätsblind gegenüber Putin, China, gegenüber der Klimakrise.
Immer nur leere Phrasen, Gesetze ohne Konsequenzen. Und jetzt soll [3][die
Groko wieder ein Kassenschlager sein]?“
Es sind die gemeinsamen Feinde, die die Grünen einen. Für die Delegierten
ist der Feind häufig der Koalitionspartner FDP, für die Funktionsträger
eher Friedrich Merz, dem Omid Nouripour attestiert, nicht einmal Opposition
zu können: „Das kann doch nicht sein, dass eine Opposition mehr die
Niederlage der Regierung will als den Erfolg des Landes“, sagt er und
reimt: Das Land brauche „mehr Herz als Merz“.
Und es gibt einen neuen Hauptfeind, zu dem viele Grüne in
Regierungsverantwortung lange ein entspanntes Verhältnis hatten: die
Schuldenbremse. Mit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts
stehen Milliardeninvestitionen für Klimaschutz, Infrastruktur und
Wirtschaftsumbau nicht mehr zur Verfügung.
Habeck vergleicht dieses Hemmnis mit Blick auf die Weltwirtschaft mit einem
Boxclub ohne Regeln: „Mit der Schuldenbremse, wie sie ist, haben wir uns
freiwillig die Hände hinter dem Rücken gefesselt“, sagt er mit Blick auf
Subventionsprogramme in China und den USA. „Die anderen wickeln sich
Hufeisen in die Handschuhe – wir haben noch nicht mal die Arme frei.“ Zu
diesem Zeitpunkt hatte Finanzminister Christian Lindner bereits
angekündigt, [4][die Bremse für den Haushalt 2023 auszusetzen].
## Welle von rechts
Doch so laut die Kritik auch ist: Ein zentraler Dringlichkeitsantrag, der
die Schuldenbremse in jeder Form „für eine gerechtere Welt“ abschaffen
will, wird mit großer Mehrheit abgelehnt. Es ist ein erstes Zeichen, dass
die Delegierten der Parteiführung folgen und sich nicht in der Nische der
reinen Lehre verkriechen wollen. Und es lässt ahnen, dass es beim Thema
Asyl ebenso so sein wird. Diese Debatte hat die Parteitagsregie in der
Tagesordnung auf die Nacht zum Sonntag verlegt, parallel zum Parteiabend.
Habeck streift die Migrationsfrage am Donnerstag lediglich kurz. Winfried
Kretschmann hingegen, der einzige grüne Regierungschef, geht ausführlich
auf das Thema ein: Er warnt vor einer rechtspopulistischen Welle in Europa.
Am Vorabend erst haben die Niederländer den [5][Rechtspopulisten Geert
Wilders zur stärksten politischen Kraft gemacht].
[6][Mehr Arbeitsmigration und weniger irreguläre Migration] sei der Weg,
das Asylrecht zu verteidigen und letztlich die Demokratie zu schützen, sagt
Kretschmann. Was er nicht erwähnt: Sein eigener Koalitionspartner, die
baden-württembergische CDU, hat gerade einen Beschluss gefasst, der sich
für eine faktische Abschaffung des individuellen Asylrechts ausspricht.
## Israels Existenzrecht und palästinensisches Leid
Es ist schon nach Mitternacht, als der Parteitag eine Resolution zum
Israel-Gaza-Konflikt einstimmig verabschiedet, mit der er sich klar an die
Seite Israels stellt, der Hamas die Schuld an der Situation im Gazastreifen
vor und nach dem 7. Oktober zuweist, den illegalen Siedlungsbau im
Westjordanland ablehnt und sich für eine Zweistaatenlösung ausspricht.
Die grüne Außenministerin und Parteichefin Annalena Baerbock hat zuvor in
einer wirkungsvollen Rede vor einer totenstillen Halle die [7][Haltung
ihrer Außenpolitik und ihrer Partei gleichermaßen dargelegt]: klar auf der
Seite Israels, aber das Leid der Menschen auf beiden Seiten im Blick.
Israel habe das Recht und die Pflicht, seine Bürger zu verteidigen. Dem
hätten frühe Rufe nach einem Waffenstillstand widersprochen. Klar müsse
aber auch sein, dass Israel gegen die Hamas kämpfe, nicht gegen die
Palästinenser, sagt Baerbock. Ihr Ausblick auf die internationalen
Auswirkungen des Kriegs in Gaza sind düster: „Mit jedem Tag werden die
Gräben tiefer, auch international.“
24 Nov 2023
## LINKS
[1] /Parteitag-der-Gruenen/!5974792
[2] /CDU-beendet-Schwarz-Gruen-in-Hessen/!5972227
[3] /Ende-der-Ampel/!5969534
[4] /Regierung-setzt-Schuldenbremse-aus/!5971537
[5] /Rechter-Wahlerfolg-in-den-Niederlanden/!5971543
[6] /Kretschmann-zu-gruenen-Fehlern/!5969447
[7] /Treffen-der-EU-Aussenminister/!5972584
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Bündnis 90/Die Grünen
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