# taz.de -- Bundesparteitag der Grünen: Grüne ohne Adenauer | |
> Die Grünen debattieren ihr Programm zur Europawahl. Am Abend wird eine | |
> Kontroverse zur Asylpolitik erwartet. Baerbock wirbt für Realitätssinn. | |
Bild: Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht beim… | |
KARLSRUHE taz Sind Kompromisse defensiv? Ist Wohlstand ein Begriff, auf den | |
sich die Grünen beziehen sollten? Und ist Konrad Adenauer ein guter | |
Zitatgeber für das Europaprogramm der Partei? Das sind einige der Fragen, | |
die die Grünen zu Beginn des dritten Tages ihrer Bundesdelegiertenkonferenz | |
diskutiert haben. Thema: das Programm zur Europawahl im kommenden Jahr, | |
genauer gesagt, die Präambel. Einigen in der Partei war diese zu defensiv | |
formuliert. | |
Über Kompromisse zu reden, bevor eine einzige grüne Forderung formuliert | |
worden sei, halte er für falsch, begründete Jan Schmitt, Delegierter aus | |
Berlin, seinen Antrag auf Streichung. „Lasst uns über Kompromisse nach der | |
Wahl reden.“ „Das Wesen der Demokratie ist die Kompromissfähigkeit“, | |
verteidigte die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann den Entwurf des | |
Bundesvorstands, deshalb sei es richtig, dass bereits in der Präambel von | |
Kompromissen die Rede sei. Die Mehrheit der Delegierten stimmte ihr zu. | |
Auch der Antrag derjenigen, die den Begriff Wohlstand lieber nicht im | |
Wahlprogramm lesen wollten, weil er ausschließlich auf materielle Fragen | |
gerichtet sei, scheiterte. Erfolgreich dagegen: ein Antrag, der ein Zitat | |
von Konrad Adenauer zur europäischen Einheit aus dem Wahlprogramm streichen | |
wollte – unter anderem, weil er Sexist war. Zu Beginn der Debatte hatte die | |
Co-Bundesvorsitzende Ricarda Lang betont, „dass Europa nichts ist, was man | |
irgendwie noch am Seitenrand macht, sondern die Grundlage unseres | |
politischen Handelns“. Die Debatte des Europaprogramms wird unter den rund | |
800 Delegierten noch bis Sonntagnachmittag weiter gehen. | |
Am Abend wird eine [1][kontroverse Debatte um die Migrations- und | |
Asylpolitik] erwartet. Zu einem Antrag des Bundesvorstands dazu wurden | |
zahlreiche Änderungsanträge eingebracht, am Nachmittag wurde noch über | |
mögliche Konsenslösungen verhandelt. Für die Grüne Jugend war klar, dass | |
sie ihren Antrag auf jeden Fall zur Abstimmung stellen will. Dieser ist | |
durchaus weitreichend: Er will den Minister*innen und Fraktionen im | |
Bund und den Ländern untersagen, weiteren Asylrechtsverschärfungen | |
zuzustimmen. | |
Die Vorsitzenden der Grünen Jugend waren am Nachmittag zuversichtlich. „Es | |
brodelt unter der Oberfläche“, sagte Katharina Stolla am Rande des | |
Parteitags. „Das Thema treibt sehr viele in der Partei um, wir bekommen | |
viel Zuspruch von den Delegierten.“ Und ihre Co-Sprecherin Svenja Appuhn | |
betonte, dass es nicht darum gehe, einen Koalitionsbruch zu fordern. „Uns | |
geht es darum, den Grünen in der Koalition für Nachverhandlungen den Rücken | |
zu stärken.“ Menschlichkeit müsse in der Asyl- und Migrationspolitik wieder | |
im Vordergrund stehen. | |
Außenministerin Annalena Baerbock hatte schon am Vormittag, bei ihrer Rede | |
zum Europaprogramm, für Realitätssinn und Kompromissbereitschaft geworben, | |
auch bei der Reform der gemeinsamen europäischen Asylpolitik (GEAS). „Ohne | |
Ordnung gibt es keine Humanität“, das stehe bereits im Grundsatzprogramm | |
der Grünen. „Ohne Verhandlungen werden wir das Grundrecht auf Asyl, die | |
Verteilung und die staatliche Seenotrettung nicht erreichen.“ | |
Die Grünen hätten in der Bundesregierung Verantwortung übernommen, dazu | |
gehöre auch über GEAS zu verhandeln. Die Grünen dürften sich der | |
Verantwortung nicht entziehen. Kurz zuvor hatte Alicia Böhm, eine | |
Delegierte aus Stuttgart, sich klar gegen die aktuelle GEAS-Reform | |
positioniert. „Wir dürfen keiner weiteren Verschärfung des Asylsystems | |
zustimmen“, sagte sie und erhielt dabei großen Beifall von den Delegierten. | |
Am Freitag bis spät in die Nacht hatten die Grünen bereits ihre Liste für | |
die Europaliste im kommenden Jahr aufgestellt. Auf Platz 1 wählten sie die | |
Fraktionschefin im Europaparlament, Terry Reintke, Parteilinke aus NRW mit | |
dem Schwerpunkt Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Reintke trat ohne | |
Gegenkandidat*in an, das änderte sich danach schlagartig. Auf Platz | |
zwei setzte sich der Berliner Außenpolitiker Sergey Lagodinsky, der zum | |
Realoflügel gehört, durch, danach auf Platz drei die Parteilinke Anna | |
Cavazzini aus Sachsen. Insgesamt vergab die Partei 40 Listenplätze, derzeit | |
sitzen 21 Grüne aus Deutschland im Europaparlament. Nach den aktuellen | |
Umfragen könnten es ab dem kommenden Jahr nur noch etwa 15 sein. | |
25 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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