# taz.de -- Kretschmann zu grünen Fehlern: „Das Hemd näher als der Rock“ | |
> Die Grünen stecken im Tief. Baden-Württembergs Ministerpräsident über | |
> Fehler in der Migrationspolitik – und welche Lehren die Partei ziehen | |
> sollte. | |
Bild: „Politik mit Augenmaß“: Winfried Kretschmann (re.) mit Robert Habeck… | |
Herr Ministerpräsident, Bund und Länder haben sich jüngst auf einen | |
Migrationspakt geeinigt. Sie haben den Vorschlag der CDU-regierten Ländern | |
für Asylverfahren in Drittstaaten mit eingebracht. Glauben Sie wirklich | |
daran, dass das human und wirkungsvoll sein kann? | |
Ich halte das nicht für den zentralen Punkt unserer Einigung. Das können | |
Sie ja schon an der Formulierung erkennen. Wir haben einen Prüfauftrag | |
formuliert und klar betont, dass die rechtlichen Standards der Genfer | |
Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention bindend | |
sind. Für mich steht im Zentrum: Wir haben mit unserem Beschluss einen | |
breiten demokratischen Konsens erreicht und einen ganz wichtigen Schritt zu | |
mehr Ordnung in der Migrationspolitik gemacht. | |
Werden Ihnen und Habeck die eigenen Leute auf dem Parteitag folgen? | |
Erstens: Diese Idee ist ja nicht neu, sie ist bereits im Koalitionsvertrag | |
der Ampel formuliert. Die Partei ist dem also bereits gefolgt. Zweitens: | |
Ich habe selbst betont, dass ich mit Blick auf die Umsetzung skeptisch bin, | |
weil sie voraussetzungsreich und hochkomplex ist. Warum kann es trotzdem | |
lohnenswert sein, sich dieser Idee zu öffnen? Wir sprechen von Humanität | |
und Ordnung. Und wenn wir mehr Humanität wollen, müssen wir das Sterben auf | |
dem Mittelmeer beenden. Und wir sollten uns in einer solch schwierigen | |
Situation Ideen nicht von vornherein verschließen. | |
Falls sich die Partei darüber zerstreitet: Hat es Potenzial, die Grünen | |
wieder zurück in die Nische zu katapultieren? | |
Wir haben meiner Ansicht nach einen klaren Kurs mit der Zustimmung zur | |
europäischen Einigung GEAS eingeschlagen und mit dem Migrationspaket 2 | |
bestätigt. Das wird jetzt mit dem Beschluss der | |
Ministerpräsidentenkonferenz weitergeführt. Insofern sehe ich uns in der | |
Breite da auf einem guten Weg. Ich habe diesen Kurs [1][im gemeinsamen | |
Gastbeitrag mit Ricarda Lang] ja kürzlich auch nochmals skizziert. | |
In Hessen wird dieser Pragmatismus gerade nicht belohnt. Boris Rhein will | |
mit der SPD regieren. | |
Ich muss sagen: Dass wir ausgerechnet in Hessen mit einem höchst | |
pragmatisch agierenden Landesverband [2][aus der Regierung fliegen], das | |
ist schon extrem bitter. Und das muss uns als Partei wachrütteln. Der Kurs | |
in der Migrationspolitik ist da ganz entscheidend: runter von der Bremse | |
bei der Eindämmung der irregulären Migration. | |
Manche in ihrer Partei nennen das Abschottung. | |
Das ist doch Unsinn. Ohne Ordnung herrscht das Recht des Stärkeren. | |
Humanität kann es nur in der Ordnung geben. Asyl heißt: Wer verfolgt wird, | |
kann herkommen. Das heißt aber doch auch: Wer nicht verfolgt wird, kann | |
eben über das Asylrecht nicht kommen, sonst wird das Asylrecht ausgehöhlt. | |
Man braucht doch kein Asylrecht, wenn jeder kommen und bleiben kann, wie er | |
möchte. Wir müssen die irreguläre Migration begrenzen, sonst kommt das | |
Asylrecht unter die Räder. Wenn die Grüne Jugend jetzt von Abschottung | |
redet, kann man nur fragen: Wo leben die denn? Wir haben gerade eine | |
Million ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, allein Baden-Württemberg hat | |
doppelt so viele ukrainische Geflüchtete aufgenommen als Frankreich. Das | |
ist das Gegenteil von Abschottung. | |
Was ist es dann? | |
Es ist die Voraussetzung, damit die, die wirklich Schutz brauchen, | |
aufgenommen, untergebracht und integriert werden können. Wir sind in einer | |
Überlast. [3][Die Kommunen sind schlichtweg überfordert]. Es geht da nicht | |
mal nur um die Unterbringung. Von den Geflüchteten 2015 haben wir etwa 60 | |
Prozent in Arbeit und damit auch 40 Prozent im Sozialsystem. Das heißt, mit | |
jedem Schwung von Geflüchteten bleibt ein Sockel. Es ist klar, dass man | |
irgendwann überlastet ist. Diese Politik ist Einsicht in das Notwendige. | |
Das Asylrecht ist eine wichtige zivilisatorische Errungenschaft. Diese | |
müssen und werden wir erhalten. Außerdem öffnet die Bundesregierung ja | |
jetzt wirklich die Korridore für reguläre Einwanderung. Das klar zu | |
trennen, ist zentral, wenn wir die Akzeptanz für Flüchtlinge erhalten | |
wollen. | |
Kritiker sagen, alle beschlossenen Maßnahmen bringen nichts, und das zahle | |
dann auch wieder auf das Konto der Rechten ein . | |
Es geht doch erst mal darum, die Situation anzuerkennen. Und dafür muss | |
meine Partei klären, ob sie überhaupt Begrenzung will. Die, die das nicht | |
wollen, sagen meist, ihr bedient rechte Narrative. Die anderen sagen, es | |
bringt nichts. | |
Und Sie? | |
Ich glaube, das sind viele Bausteine, die zusammen was bringen. Es ist | |
richtig, dass es den einen Hebel nicht gibt und wir die großen Fragen nur | |
europäisch lösen können, deshalb ist die GEAS-Reform zum europäischen | |
Asylsystem so zentral. Aber in dieser schwierigen Lage müssen wir bereit | |
sein, auch kleine Hebel zu ziehen. Zum Beispiel die Bezahlkarte statt | |
Bargeld. Das ist keine Abkehr von der Humanität. Aber wir reduzieren den | |
Anreiz für irreguläre Migration, da es die Möglichkeiten für Asylbewerber | |
einschränkt, Geld zurück in ihre Heimatländer zu überweisen. Wenn wir | |
nichts tun in dieser Frage, dann entsteht der Eindruck, der Staat ist | |
handlungsunfähig. Das ist die allergefährlichste Botschaft überhaupt! Das | |
treibt die Menschen zu den Rechten. | |
Die Umfragewerte Ihrer Partei gehen im Bund wie in Baden-Württemberg | |
zurück. Sehen die Wähler die Grünen als Schönwetter-Partei, die man nicht | |
mehr wählt, wenn es ernst wird? | |
Das könnte man meinen, aber es ist doch erstaunlich; denn wir haben als | |
Partei in den letzten Monaten Enormes geleistet: Wenn man sieht, mit | |
welcher Wucht die Außenministerin in der Ukrainekrise agiert hat – als | |
Partei, die aus der Friedensbewegung entstanden ist – und wie Robert Habeck | |
in der Energiekrise Gas in Katar gekauft und LNG-Terminals gebaut hat. | |
Beide haben höchst entschlossen und klar agiert, und wir sind gut über den | |
Winter gekommen. Das widerspricht dieser These. Aber es scheint trotzdem so | |
zu sein. | |
Wie kann Ihre Partei Vertrauen zurückgewinnen? | |
Wir müssen Lehren aus den letzten Monaten ziehen und zeigen, dass wir | |
Politik mit Augenmaß und Pragmatismus machen können – gerade bei der | |
Migrationsfrage. Und in der Klimapolitik müssen wir klar in den Zielen, | |
aber offen in den Wegen sein. Da nutzt es nichts, wenn man sagt: Die | |
Wissenschaft sagt uns aber, das ist ganz dringlich. | |
Warum nicht? Ist das für die Leute schon zu komplex? | |
Den Leuten ist halt das Hemd näher als der Rock, das ist evolutionäre | |
Prägung. Die Leute haben weniger Angst vor der nächsten Flutkatastrophe, | |
als vor der Finanzierung der nächsten Heizung. Deshalb ist der Satz „Wir | |
müssen die Menschen mitnehmen“ eben keine leere Floskel. Macht entsteht, | |
nach Hannah Arendt, wenn sich die Menschen um eine Idee versammeln und | |
handeln. Wenn sich die Menschen wieder zerstreuen, dann verliert man Macht. | |
Wenn die Zustimmung im Volk abnimmt, kommt Kritik aus allen Ecken und es | |
wird schwergängig. | |
Ein wachsender Teil der gesellschaftlichen Mitte hatte sich seit 2018 um | |
die grüne Idee versammelt – jetzt sind Teile davon wieder weg. Was ist die | |
neue Idee, die diese Leute anzieht? | |
Im Moment dominieren nachvollziehbar andere Themen: Migration, Inflation, | |
Kriege. Da ist eine tiefe Verunsicherung, die tief in die Mitte reicht und | |
Verlustängste auslöst: Unternehmen, die sich fragen, ob sie unter diesen | |
Bedingungen noch auf dem Weltmarkt reüssieren können. Familien, die Sorge | |
haben, keinen bezahlbaren Wohnraum zu finden. Familien, die es sich | |
plötzlich nicht mehr leisten können, zu bauen. Statt Aufstiegszuversicht | |
sind das eher Abstiegsängste, die das gesellschaftliche Klima beherrschen. | |
Was hat die Grünen genau zurückgeworfen? | |
Ich fang andersrum an: Wir waren immer dann stark, wenn wir uns als Partei | |
erkennbar was zugemutet haben – vom Kosovokrieg bis zum Kohlekompromiss. | |
Beim Heizungsgesetz hat sich das umgekehrt. Da ist bei vielen am Anfang das | |
Gefühl entstanden: Es wird über uns hinweg entschieden. Man verliert dann | |
erst mal Vertrauen. Das sieht man an den Kompetenzzuschreibungen, sogar bei | |
der Klimapolitik. Unser Aufstieg ist ja einem Führungsduo zu verdanken … | |
… Annalena Baerbock und Robert Habeck … | |
… das anders aufgetreten ist als die Vorgänger, die sich wöchentlich | |
öffentlich gestritten haben. Sie haben einen neuen Kurs eingeschlagen: Wir | |
sind eine Bündnispartei, die Mehrheiten jenseits der eigenen | |
Stammwählerschaft sucht. Dieser Kurs hat uns stark gemacht. Aber vielleicht | |
hat es beim ein oder anderen auch ein Stück dazu geführt, dass etwas von | |
der nötigen Demut verloren gegangen ist. | |
Hätte man beim Gebäudeenergiegesetz mehr aufs Volk hören müssen? | |
Ja. Das ist ja jetzt auch bei allen angekommen. Von der Anlage her kommt | |
bei uns Grünen oft auch ein Moment großer Staatsgläubigkeit dazu. Aber wir | |
leben in einer sozialen Marktwirtschaft. Kein staatliches Konzept kann so | |
innovativ sein, wie ein Markt, in dem Tausende von Menschen Ideen haben. Da | |
braucht man eher Preissignale, um das zu lenken. Es geht darum, dass wir | |
ein kopierfähiges Modell von klimafreundlichem Wohlstand und erfolgreichem | |
nachhaltigem Wirtschaften entwickeln, das andere Länder übernehmen, weil | |
sie sehen, dass es funktioniert. | |
Das sagen Sie immer. | |
Weil's stimmt. Selbst mit der radikalsten Klimapolitik in Baden-Württemberg | |
könnte ich das globale Phänomen des Klimawandels nicht aufhalten. Wir | |
müssen zeigen, dass damit der Wohlstand zu sichern ist. Das ist zu sehr in | |
den Hintergrund geraten. Der frühere Bosch-Chef hat mal gesagt: „Wir können | |
Strukturwandel, aber keine Strukturbrüche“. Ob das bei uns ein, zwei Jahre | |
länger oder kürzer dauert, ist am Ende nicht entscheidend. | |
Sie haben sich in der Unterstützung von Wirtschaftsminister Habeck beim | |
Heizungsstreit sehr zurückgehalten. | |
Entscheidend war die Korrektur, die er gemacht hat, die verbindliche | |
Wärmeplanung der Kommunen: Das haben wir in Baden-Württemberg schon sehr | |
früh auf den Weg gebracht. Dabei ist es nicht so, dass wir den Menschen in | |
Baden-Württemberg nicht auch Ordnungspolitik zumuten. Wir haben im ersten | |
Schritt eine Photovoltaikpflicht für Nicht-Wohngebäude eingeführt und im | |
zweiten Schritt für Wohnneubauten und für Bestandsgebäude bei grundlegenden | |
Dachsanierungen. Es gab da nur ein leises Grummeln, aber keinen Protest, | |
weil es ein klar umgrenzter Eingriff ist, mit überschaubaren Kosten. Wir | |
haben seitdem einen steilen Anstieg an Photovoltaik. | |
Die grüne Sprechformel lautet neuerdings, man habe jetzt so viel in so | |
kurzer Zeit gemacht, man müsse das – Zitat Habeck – „einwirken lassen“… | |
das nur eine Umschreibung für Kapitulation? | |
Sehe ich nicht so. Politik ist die Kunst des Möglichen. Es ist also sehr | |
weise, das anzuerkennen. Ich glaube, dass wir den Leuten zurzeit | |
offensichtlich auf die Nerven gehen. Die Leute haben das Gefühl, wir sagen | |
ihnen, wie sie heizen sollen, wie sie sich fortbewegen sollen, wie sie | |
essen sollen, und wir sagen ihnen zum Schluss sogar, wie sie reden dürfen | |
und wie nicht. | |
Das ist das Narrativ der Grünengegner. | |
Ja und das geht den Leuten einfach auf den Zeiger. Darum bin ich ganz der | |
Meinung von Robert Habeck: Wichtige Dinge haben wir jetzt klimapolitisch | |
eingeleitet, und entscheidend ist, dass wir uns nicht im Klein-Klein | |
verzetteln, sondern die Dinge kraftvoll anpacken, die richtig viel bringen. | |
Ob wir jetzt innerdeutsch fliegen oder nicht, ist größenordnungsmäßig | |
einfach irrelevant. Wir müssen Windräder bauen, wir müssen Photovoltaik auf | |
die Dächer bringen, wir müssen schnell aus der Kohlekraft aussteigen, und | |
wir müssen grüne Technologie massiv vorantreiben, die Produktion | |
ressourcen- und energieeffizienter hinkriegen. Etwa, was wir mit der | |
Zementindustrie machen. Aber wir müssen nicht auch noch fragen, ob die | |
Feuerwehr-Autos auch klimaneutral fahren, denn die fahren nur rum, wenn sie | |
zum Einsatz müssen – und das spielt keine Rolle in der Gesamtabrechnung. | |
Die Menschen haben genug zu tun mit allem Möglichen, was auf sie | |
eindonnert. | |
Brauchen wir mehr Moral, aber Moralausstoß wirkt bei vielen auch | |
kontraproduktiv. Oder brauchen wir weniger Moral, aber noch weniger gelebte | |
Moral als wir gerade bei der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen | |
praktizieren, wird auch schwierig? | |
Wir haben die nötige Moral und die heißt einfach: Wir haben kein Recht, | |
diesen Planeten zu zerstören, wir haben ihn nämlich nicht selber gemacht, | |
und es ist auch moralisch unumstritten, dass wir unseren Kindern keine | |
schlechtere Welt hinterlassen dürfen, als wir sie vorgefunden haben. Das | |
genügt an moralischer Fundierung. Die Debatten können wir uns echt sparen. | |
Was braucht es dann? | |
Was wir brauchen, ist mehr Pragmatik, mehr Umsetzung, mehr ökologische | |
Marktwirtschaft, mehr Innovationen und vor allem mehr Geschwindigkeit. Wir | |
hätten doch überhaupt kein Problem, wenn wir nicht so schnell sein müssten. | |
Der Wandel hat ja längst begonnen. Das einzige Problem ist doch die | |
Geschwindigkeit: Wir müssen in 20 Jahren das in Ordnung bringen, was die | |
Menschheit vorher in 250 Jahren erst unbewusst, dann bewusst angerichtet | |
hat. Da haben wir jetzt ganz wichtige Stellschrauben gedreht. Etwa mit dem | |
„Wind-an-Land-Gesetz“, das den Ausbau der Regenerativen zum überragenden | |
öffentlichen Interesse erklärt. Der Ausbau der Windkraft überragt also | |
andere, konkurrierende Interessen, die zurückstehen müssen. Darauf kommt es | |
an. | |
Das ist die Kretschmann/Habeck-Sprechstrategie des ‚Wir sind auf einem | |
guten Weg‘. Auf Ihrem Transformatioskongress unlängst hat | |
Geschichtsprofessorin Hedwig Richter Ihnen deshalb „Simulation der | |
Normalität“ vorgeworfen. Klimaaktivisten fordern, man müsse sagen, wie | |
schlimm es wirklich stehe. | |
In Panik trifft man keine vernünftigen Entscheidungen. Der Mensch trägt | |
atavistische Züge in sich, da muss man nur zur Hamas gucken oder nach | |
Russland. So ist die Menschheit, und deswegen ist man einfach immer im | |
Kampf und im Krisenmodus. Schon Adenauer hat gesagt: Die Politik ist immer | |
in der Not. Aber auf Angst lässt sich keine gute Zukunft aufbauen, sondern | |
nur auf Zuversicht. | |
Woraus speist sich dann im Moment ihre Zuversicht? | |
Zum Beispiel daraus, dass die Sonne uns in einer Stunde so viel Energie | |
gibt wie die Menschheit in einem Jahr braucht. Das heißt, wenn wir jetzt in | |
eine Sonnenenergiewirtschaft gehen, machen wir auf jeden Fall nichts | |
falsch. Das werden wir jetzt einfach machen, und zwar so zügig, wie wir es | |
ohne Disruptionen hinbekommen. Wir brauchen einfach Handwerker, um es mal | |
platt zu sagen, die jetzt die Dinger auf die Dächer schrauben. | |
Früher waren die Grünen für Apokalypse-Rhetorik zuständig und das schien | |
auch Teil der progressiven Kultur zu sein. Heute machen das AfD, CSU, | |
Friedrich Merz und Teile der FDP. Das ist ja schon auch ironisch. | |
Es gibt kein Leben ohne Ironie. Da kommt der russische Angriffskrieg auf | |
die Ukraine, und wir stellen die Außenministerin, und die muss sich mit | |
Verve für Waffenlieferungen einsetzen. Dass eine Partei mit pazifistischen | |
Wurzeln gerade dann an die Macht kommt, wenn ein brutaler Angriffskrieg | |
Europa heimsucht, das ist nicht nur bittere Ironie, das ist das, was Hannah | |
Arendt meint, wenn sie sagt, dass Wunder geschehen können in der Politik. | |
Jemand macht etwas, von dem man gedacht hätte, das würde der nie machen. | |
Durch solche Dinge entsteht doch Bewegung und Dynamik. Diese | |
Prognosenmeister wollen immer alles vorausberechnen, und das kann man halt | |
nicht, im gutem wie im schlechten. Schauen Sie, ich war als Studierender | |
ein linksradikaler Maoist, und jetzt werde ich als konservativer Grüner | |
gelistet. Das war ja auch nicht gerade zu erwarten. | |
Parteiinterne Kritiker halten das nicht für ein Wunder, sondern für eine | |
Abstiegsgeschichte. | |
Auch das ist das Schöne an einer Demokratie: Wir müssen schauen, dass | |
Tatsachen, dass Wahrheiten nicht unter die Räder kommen, aber Urteile | |
stehen jedem frei. | |
In der Bundespolitik gibt es derzeit zwei Munkelbehauptungen: Die nächste | |
Bundesregierung werde auf jeden Fall ohne die Grünen sein. Erfolgreiche | |
Klimapolitik müsse von anderen gemacht werden und nicht von den Grünen. | |
Die Zeiten sind heute so schnelllebig, was politische Stimmungen und | |
Verschiebungen angeht, da wäre ich vorsichtig an der Stelle derer, die | |
jetzt denken, es ist alles schon ein gemähtes Wiesle und die Grünen können | |
wir jetzt mal vergessen. Wir Demokraten haben ein ganz anderes Problem, als | |
immer nur zu glotzen, wie man selber gerade da steht: der rasante Aufstieg | |
von Rechtspopulisten, praktisch auf der ganzen Welt. Der [4][Lichtblick | |
durch die Polenwahl] zeigt aber, dass man so einen Aufstieg auch ausbremsen | |
und umkehren kann. Genau darum sollten wir uns alle mehr kümmern, und in | |
diesem Sinne so sorgsam miteinander umgehen, dass es einem nachher nicht | |
auf die Füße fällt, wenn es Koalitionsfähigkeit unter Demokraten bedarf. | |
Das kann ja gut sein, wenn ich an die kommenden Wahlen im Osten denke. | |
Deswegen rate ich: Bleiben wir bei den Sachauseinandersetzungen und suchen | |
wir nicht einen „Hauptfeind“ unter den demokratischen Parteien. Der | |
Hauptfeind sind die Kräfte, die mit der Demokratie an sich im Streit | |
liegen. | |
Wenn man jetzt auf die gesunkene Zustimmung auch für die | |
Baden-Württemberg-Grünen schaut: Wird durch eine Abschwächung des berühmten | |
Kretschmann-Effekts die Suche nach Ihrem Nachfolger für die Partei noch | |
schwieriger? | |
Ich regiere jetzt erst mal ordentlich zu Ende. | |
Einen anderen grünen Ministerpräsidenten zu wählen, das hätte ja auch ihr | |
Koalitionspartner erklärtermaßen nicht mitgemacht. | |
Ja. Ich habe aber schon vorher immer gesagt, ich bleibe ich bis zum Ende | |
der Legislatur. Vorausgesetzt, ich bleibe gesund und geistig frisch. Ich | |
bin ja auch erst durch die Hälfte der Legislaturperiode, da muss man jetzt | |
nicht schon über einen Nachfolger reden. | |
12 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/die-zentralen-aussagen-der-grunenspitze-zur-mig… | |
[2] /CDU-beendet-Schwarz-Gruen-in-Hessen/!5969307 | |
[3] /Vor-dem-Bund-Laender-Gipfel-zu-Migration/!5968246 | |
[4] /Regierungsbildung-in-Polen/!5972212 | |
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