# taz.de -- Streit über Bürgergeld: Jährlich grüßt die Arbeitspflicht | |
> Vor der Haushaltsdebatte geht es ums Bürgergeld. Der Arbeitsminister | |
> warnt, den Job für Sozialleistungen aufzugeben. | |
Bild: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bei „hart aber fair“ am Montag | |
BERLIN taz | Angefeuert von führenden Politikern der Union beginnt im Zuge | |
der Bürgergelderhöhung zum Januar 2024 erneut die Debatte, ob die | |
Einkommensunterschiede zu Menschen, die für Mindestlohn arbeiten, zu gering | |
werden. Aber wegen des Bürgergelds, den Job aufzugeben, sei „bescheuert“, | |
stellte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) [1][am Montagabend in der | |
ARD-Sendung „hart aber fair“] klar. Wer das tue, „der bekommt erst mal ke… | |
Bürgergeld, der kriegt erst einmal eine Sperre beim Arbeitslosengeld“. | |
In Folge der gestiegenen Kosten für Sozialleistungen kommt aus der CDU die | |
Forderung, das Bürgergeld abzuschaffen. CDU-Generalsekretär Carsten | |
Linnemann sieht das Bürgergeld als gescheitert an. Er verlangt: „Jeder, der | |
arbeiten kann und Sozialleistungen bezieht, muss nach spätestens sechs | |
Monaten einen Job annehmen, ansonsten gemeinnützig arbeiten.“ Dem stimmt | |
auch Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, | |
zu. | |
Ab Januar gibt es deutlich mehr Bürgergeld, um 12 Prozent sollen die Sätze | |
steigen. Damit sollen Alleinstehende 61 Euro mehr als bisher, nämlich 563 | |
Euro im Monat erhalten. Mit Partnern zusammenlebende Erwachsene erhalten | |
künftig 506 Euro statt bisher 451 Euro. Heil verwies auf den Mechanismus, | |
dass die starke Erhöhung mit der hohen Inflation dieses Jahres zu tun habe. | |
Mit der Einführung des Bürgergeldes zu Beginn des Jahres wurde – [2][mit | |
Zustimmung der Union] – beschlossen, die durch Inflation folgenden | |
Preisanstiege schneller in die Regelsätze beim Bürgergeld einfließen zu | |
lassen als früher. So folgte bereits Anfang 2023 die erste Erhöhung. Wenn | |
die [3][Inflation] aber 2024 wieder sinke, werde die darauffolgende | |
Bürgergelderhöhung „relativ mickrig sein“, sagte der Minister voraus. | |
## Höhere Haushaltskosten wegen Inflation | |
Durch die Erhöhung steigen aber auch die Kosten: Bisher war die | |
Bundesregierung von 23,76 Milliarden Euro für das Bürgergeld im laufenden | |
Jahr ausgegangen. Vergangenen Sonntag wurde dann bekannt, dass 3,25 | |
Milliarden Euro zusätzlich für das Bürgergeld nötig sind. Gründe für die | |
gestiegenen Kosten lägen vor allem in der hohen Inflation, einer | |
schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung und der Versorgung ukrainischer | |
Geflüchteter, sagt Heil gegenüber T-Online. | |
Was Linnemann betreibt, sei „substanzloses Armenbashing“, erklärte Ulrich | |
Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. | |
Linnemanns Forderung zur gemeinnützigen Arbeit sieht Schneider kritisch, | |
für diese brauche es Organisationen und Träger, die das überhaupt anböten. | |
Entgegen der Behauptung von der Union [4][lohnt sich Arbeit weiterhin]. Zu | |
dem Schluss kommt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut | |
(WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die für die ARD | |
nachgerechnet haben. Ihren Ergebnissen zufolge bliebe das | |
Haushaltseinkommen von Erwerbstätigen mit Mindestlohn auch nach der | |
anstehenden Bürgergelds-Erhöhung deutlich über dem Bürgergeld. | |
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken kann über die Kritik der CDU nur staunen. | |
„Die CDU hat dem Bürgergeld und damit auch dem frühzeitigen | |
Inflationsausgleich doch zugestimmt“, so Esken zur taz. Sie halte es | |
weiterhin für richtig und notwendig, dass die Bürgergeldsätze im Zuge der | |
Inflation steigen. „Das und die Tatsache, dass wir eine Million | |
Ukrainer:innen aufgenommen und direkt im Bürgergeld versorgt haben, | |
führt erwartbar zu höheren Kosten.“ | |
## Esken fordert bessere Arbeitsmarktintegration | |
Um die Kosten für das Bürgergeld in den Griff zu bekommen, werde die Ampel | |
dafür sorgen, die Ukrainerinnen und Ukrainer sowie andere Geflüchtete | |
schneller als bisher in Arbeit zu bringen. Für Esken ist vor allem eine | |
schnellere Anerkennung von Abschlüssen entscheidend. Viele Ukrainerinnen | |
hätten gute berufliche Qualifikationen, die schneller anerkannt werden | |
müssten. | |
Statt das Bürgergeld niedrig zu halten, gäbe es auch die Möglichkeit Löhne | |
zu erhöhen. So argumentiert auch Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Wer | |
jetzt, wo es gegen das Bürgergeld gehe, sein Herz für Menschen im | |
Niedriglohnsektor entdecke, solle sich doch lieber für bessere Löhne | |
einsetzen. Auch sie sei für das Lohnabstandsgebot. „Aber wer im | |
Niedriglohnsektor arbeitet, hat wenig von einem schlechten Bürgergeld, | |
dafür aber viel von guten Tariflöhnen und einem höheren Mindestlohn.“ | |
Ulrich Schneider betont, [5][Menschen im Niedriglohnsektor und | |
Bür-gergeldzieher*innen gegeneinander auszuspielen] – das sei genau | |
das Gegenteil von dem, was nötig sei: Solidarität. | |
14 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/index.html | |
[2] /Reaktionen-auf-Buergergeld-Kompromiss/!5893819 | |
[3] /Inflation-trifft-arme-Menschen-haerter/!5947247 | |
[4] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/buergergeld-mindestlohn-100.h… | |
[5] /Buergergeld-und-Lohnabstand/!5958461 | |
## AUTOREN | |
Adefunmi Olanigan | |
Anna Lehmann | |
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