# taz.de -- Reaktionen auf Bürgergeld-Kompromiss: „Kniefall vor der Union“ | |
> Auf Druck von CDU und CSU hat die Ampel ihre Pläne für das Bürgergeld | |
> verwässert. Sozialverbände und Linkspartei kritisieren den Kompromiss | |
> scharf. | |
Bild: Angst vor dem Amt: Die Kritik am Bürgergeld dreht sich vor allem um die … | |
BERLIN taz | Mit heftiger Kritik haben die Gewerkschaft Verdi, | |
Sozialverbände und die linke Bundestagsopposition auf den von der | |
Ampelkoalition [1][mit der Union ausgehandelten Kompromiss zum | |
„Bürgergeld“] reagiert. Mit dem geänderten Gesetzentwurf, über den am | |
Freitag Bundestag und Bundesrat abstimmen werden, gelinge es nicht, das | |
Hartz-IV-System zu überwinden. | |
„Die von den Unionsparteien durchgesetzten Änderungen beim Bürgergeld | |
bedeuten einen schlechten Kompromiss zulasten der Menschen, die Hilfe und | |
positive Begleitung statt Bestrafung brauchen, um ihre Arbeitslosigkeit zu | |
überwinden“, sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke der taz. Damit lebe | |
das Bestrafungs- und Sanktionssystem Hartz IV, das die rot-grün-gelbe | |
Regierung eigentlich ablösen wollte, [2][fast unverändert weiter]. „Die | |
Streichung der weitgehend sanktionsfreien Vertrauenszeit ist dafür | |
bezeichnend“, so Werneke. | |
In dem am Dienstag gefundenen Kompromiss stecke „mehr Hartz IV, als es die | |
Ampel zugibt“, sagte die stellvertretende Linksfraktionsvorsitzende Susanne | |
Ferschl. Er sei „ein Kniefall vor der Union und ihrem [3][neoliberal | |
zugerichteten Menschenbild vom faulen Arbeitslosen]“. Sozialleistungen | |
blieben so weiterhin ein angstbehafteter Makel – und eben kein Anspruch auf | |
Augenhöhe, wie es der neue Name Bürgergeld suggerieren solle. | |
„Wer nach einem langen Erwerbsleben arbeitslos wird, dem helfen weder | |
Sanktionen noch verstärkter Druck durch verkürzte Karenzzeit dabei, schnell | |
wieder einen guten Job zu finden“, kritisierte Ferschl. Eine groß angelegte | |
Arbeitsmarktreform oder gar Abkehr von Hartz IV sei das nicht. | |
## Sozialreform „zerbröselt“ | |
Ebenfalls äußerst enttäuscht zeigte sich der Sozialverband Deutschland | |
(SoVD). „Mit der Streichung der Vertrauenszeit wurde der Reform ein | |
Herzstück genommen“, konstatierte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela | |
Engelmeier. Es sei traurig, dass ein neues, auf Vertrauen setzendes Klima | |
keine Mehrheit gefunden habe. „Statt die Vertrauenszeit zu erhalten und | |
damit den Weg frei zu machen für einen zugewandten Sozialstaat, verfallen | |
wir wieder in alte Hartz-IV-Muster“, so Engelmeier. | |
Nach Auffassung des Hauptgeschäftsführers des Paritätischen Gesamtverbands, | |
Ulrich Schneider, ist die vermeintlich größte Sozialreform seit 20 Jahren | |
„zerbröselt“. Hartz IV bekäme zwar neue Akzente Richtung Bildung und | |
Weiterbildung, auch sei das einjährige Wohnungsmoratorium besser als gar | |
keine Neuregelung. | |
Aber von einer Überwindung von Hartz IV hin zu einem tatsächlichen | |
Bürgergeld sei der nun gefundene Kompromiss der Ampel mit der Union denkbar | |
weit entfernt. „Solange in der Grundsicherung weiterhin sanktioniert wird | |
und solange die Menschen weiter in Armut gehalten werden, kann nicht | |
ernsthaft von einer echten Reform, sondern bestenfalls von einer Novelle | |
gesprochen werden“, sagte Schneider. | |
Besser gestimmt zeigte sich hingegen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). | |
„Für die Betroffenen ist gut, dass trotz der Irrläufer der CDU so schnell | |
ein Kompromiss gefunden wurde“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Das | |
Bürgergeld schaffe immer noch für viele mehr Sicherheit, stärke die | |
Solidarität und damit für alle den sozialen Zusammenhalt. Viele wesentliche | |
Verbesserungen des Bürgergelds habe die Ampel in den Verhandlungen retten | |
können. | |
## Linke beklagt Verschlechterung | |
Demgegenüber macht die arbeits- und sozialpolitische Sprecherin der | |
Linksfraktion, Jessica Tatti, darauf aufmerksam, dass das neue Bürgergeld | |
durch die nachträglichen Veränderungen nun sogar an einer Stelle eine | |
Verschlechterung gegenüber dem derzeitigen Hartz-IV-Status-quo mit sich | |
bringt. Denn die während der Corona-Zeit eingeführte Aussetzung von | |
Leistungskürzungen, wenn Arbeitssuchende Vermittlungsangebote ablehnen oder | |
Weiterbildungen abbrechen, wird mit dem Bürgergeld nun vorzeitig wieder | |
abgeschafft. | |
Eigentlich sollte dieses Sanktionsmoratorium erst im Juli 2023 auslaufen. | |
Stattdessen soll jedoch bereits ab Januar gelten, dass ab dem zweiten | |
Terminversäumnis der Regelsatz um 10 Prozent gekürzt wird. Wer | |
Weiterbildungen verpasst oder sich nicht auf angebotene Jobs bewirbt, | |
bekommt sogar 20 Prozent für einen Monat abgezogen. Für einen | |
Alleinstehenden sind das 100 Euro weniger im Monat. | |
Zeigt man sich weiter uneinsichtig, gilt diese Kürzung für zwei Monate, im | |
schlimmsten Fall können bis zu 30 Prozent für drei Monate vom Jobcenter | |
einbehalten werden. „Es ist eine Schweinerei, dass das lange beschlossene | |
Sanktionsmoratorium still und heimlich vorzeitig abgebrochen wird“, findet | |
die Linke Tatti. | |
Immerhin gelten Leistungskürzungen bei Terminversäumnissen jetzt zunächst | |
nur für einen Monat und nicht wie beim derzeitigen Hartz IV von Anfang an | |
für drei Monate. Tatti meint dennoch: „Anstatt des angekündigten | |
Kulturwandels hin zu mehr Respekt und Augenhöhe wird das Rad wieder zurück | |
in Richtung Kontrolle und Bestrafung gedreht.“ | |
23 Nov 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Anna Lehmann | |
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