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# taz.de -- Kompromiss beim Bürgergeld: Gespenster aus dem Gruselkabinett
> Rein taktisch ist der Kompromiss beim Bürgergeld ein Sieg der Union. Die
> von ihr angefachte Sozialneid-Debatte aber offenbart das wahre Problem.
Bild: Wer sich so wuchtig selbst lobt, scheint es nötig zu haben: CDU-Chef Fri…
Friedrich Merz behauptet, dass die Union den „Kern des Bürgergeldes“
zerstört habe. Die CSU, die in der Debatte durch besonders unschöne Hetze
gegen Arbeitslose auffiel, klopft sich auf die Schulter und bescheinigt
sich, „schwere Systemfehler“ beim Bürgergeld gestoppt zu haben. Wenn man
recht versteht, hat die Union mit ihrem tapferen Widerstand gerade noch so
verhindert, dass die Mittelschicht in der Bundesrepublik ab dem 1. Januar
ihre Jobs kündigt und es sich in der sozialen Hängematte gemütlich macht.
Wer sich so wuchtig selbst lobt, scheint es nötig zu haben.
Rein taktisch gesehen ist es [1][ein Erfolg für die Union]. Fraktion und
Landesregierungen zogen an einem Strang. Beim Doppel-Wumms, dem
200-Milliarden-Paket, hatte die Union im Bundestag laut Nein, im Bundesrat
kleinlaut Ja gesagt. Das wirkte nicht so überzeugend. Jetzt haben Merz & Co
kalt die Schwäche der Ampel genutzt, denn die stand unter Zeitdruck.
Das Gesetz musste schnell über die Bühne gehen, [2][damit
Hartz-IV-EmpfängerInnen ab dem 1. Januar 50 Euro mehr bekommen]. SPD und
Grüne hatten schlechte Karten, weil die FDP mit ihrem Nein zu sechs Monaten
Sanktionsfreiheit faktisch das Lager gewechselt hatte. Es ist schwierig,
Gesetze durchzubringen, wenn sich ein Teil der Regierung mit der Opposition
verbündet.
Ist das Bürgergeld also kaputt, wie Merz triumphierend meint? Nein, eher
demoliert. Dass es keine ersten sechs Monate ohne Sanktionen gibt,
verfestigt das alte Prinzip Fordern vor Fördern. Allerdings – als
sanktionsfrei war das Bürgergeld nie gedacht. Die zweite Beule ist:
Arbeitslose dürfen künftig nicht mehr zwei Jahre, sondern nur ein Jahr
unbehelligt größere Wohnungen nutzen. Das betrifft ein paar Tausend
Haushalte – ein Unterschied ums Ganze ist es nicht.
## Für den Niedriglohnsektor hat die Union nur Ignoranz übrig
Das gilt auch für das Schonvermögen, das nun 40.000 und nicht 60.000 Euro
für einen Single-Haushalt beträgt. Das ist eher eine kleine Delle. Denn die
Vermögenden, die es sich mit Bürgergeld gut gehen lassen, sind kein
sozialer Fakt, sondern eher Gespenster aus dem Gruselkabinett der
Konservativen und Neoliberalen. Ein Kern des Bürgergelds, Ausbildung statt
Zwangsjobs, bleibt intakt.
Die Union mag sich als Geist sehen, der stets verneint und so das Gute
schafft. Das ist Illusion. [3][Für den Niedriglohnsektor, das größte
soziale Problem hierzulande, hat die Union nur Ignoranz übrig]. Nein reicht
nicht.
Bei den erhitzten Debatten über mehr oder weniger bedeutende Details des
Bürgergelds ist etwas Wesentliches in Vergessenheit geraten: SPD und Grüne
wollten ursprünglich die Berechnungsgrundlage ändern. Das hätte bedeutet:
nicht 500 Euro, sondern mehr als 600 Euro. Diese Idee hat die SPD still
begraben, obwohl sie für ein würdiges Leben nötig ist. Die von der Union
angefachte Sozialneid-Debatte hat gezeigt, wie groß das
Verhetzungspotenzial ist. Man sieht nun, wie schwierig der Kampf für ein
höheres Bürgergeld wird. Das ist eine bittere Aussicht.
23 Nov 2022
## LINKS
[1] /Kompromisse-zum-Buergergeld/!5896435
[2] /Streit-um-Buergergeld/!5891819
[3] /Veto-der-Unionslaender-beim-Buergergeld/!5892148
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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