# taz.de -- Studie der Böckler-Stiftung: Armut gefährdet die Demokratie | |
> In den vergangenen Jahren nahm der Abstand zwischen Arm und Reich in | |
> Deutschland zu, so die Böckler-Siftung. Das setze die Gesellschaft unter | |
> Druck. | |
Bild: Nur Kleingeld im Portmonee: Die Armut in Deutschland nahm zuletzt wieder … | |
BERLIN taz | Die [1][Armut in Deutschland hat seit 2019 zugenommen], ist | |
jüngst aber auch wieder etwas gesunken. Diese Befunde zur sozialen | |
Entwicklung stehen im neuen Verteilungsbericht, den die gewerkschaftliche | |
[2][Hans-Böckler-Stiftung am Donnerstag veröffentlichte]. „Die Gesellschaft | |
steht unter Druck“, sagte Bettina Kohlrausch vom Wirtschafts- und | |
Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI), das zur Stiftung gehört. | |
Die Untersuchung betrifft die Jahre der Corona-Pandemie und des russischen | |
Krieges gegen die Ukraine. Während 2019 noch 15,9 Prozent der Bürgerinnen | |
und Bürger arm waren, stieg ihr Anteil an der Bevölkerung bis 2021 auf 16,9 | |
Prozent. 2022 sank er jedoch auf 16,7 Prozent. Als arm gelten dabei | |
Personen, deren „bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 | |
Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland beträgt“. In einem | |
Single-Haushalt liegt diese Grenze um die 1.100 Euro monatlich. | |
Der Gini-Koeffizient zeigt ein ähnliches Bild. Je höher die Zahl steigt, | |
desto größer ist der Einkommensunterschied zwischen den ärmsten und | |
reichsten Bevölkerungsgruppen. Zwischen 2010 und 2019 betrug der | |
Gini-Koeffizient der verfügbaren Haushaltseinkommen 0,29. Ab 2020 ist er | |
dann auf 0,3 gewachsen. | |
Allerdings beruhen diese Angaben auf Daten des Mikrozensus, die für 2022 | |
erst vorläufig sind. Außerdem gab es zwischen 2019 und 2020 einen Wechsel | |
der Erhebungsmethode, der die Vergleichbarkeit einschränkt. | |
Verteilungsexperte Markus Grabka vom Deutschen Institut für | |
Wirtschaftsforschung bestätigte diese Tendenz. | |
## Große Ungleichheit mache Demokratie „porös“ | |
Dass während der Corona-Zeit die Armut zunahm, dürfte mit | |
Einkommensverlusten zusammenhängen, die viele Beschäftigte und | |
Selbstständige beispielsweise durch Geschäftsschließungen erlitten. Positiv | |
machten sich dagegen etwa die staatlichen [3][Zuschüsse zu den | |
Energiekosten für ärmere Familien] bemerkbar, die der Bundestag 2022 | |
beschloss. Diese könnten dazu beigetragen haben, die Armutsquote 2022 zu | |
senken, vermutete WSI-Studienautorin Dorothee Spannagel. | |
Auch für die möglichen Folgen dieser Entwicklung interessiert sich die | |
Stiftung. So sind im Verteilungsbericht Grafiken zu finden, die das | |
tägliche Leben beschreiben. Beispielsweise haben gut 24 Prozent der | |
dauerhaft armen Personen den Eindruck, man blicke auf sie herab. Und etwa | |
die Hälfte der armen Bürgerinnen und Bürger hat kein Vertrauen in | |
Bundestag, Politiker und Parteien. Große und zunehmende Ungerechtigkeit und | |
Ungleichheit können also dazu führen, die Demokratie „porös“ zu machen u… | |
das Potenzial für Extremismus zu erhöhen, schlussfolgerte Kohlrausch. | |
## Sozialpolitik als Mittel gegen Populisten | |
Um diesen Prozess zu verlangsamen, anzuhalten, oder im besten Fall | |
umzukehren, fordert die Stiftung bessere staatliche Leistungen unter | |
anderem für Beziehende der Grundsicherung. Außerdem solle die Politik mehr | |
Maßnahmen dafür ergreifen, dass Beschäftigte von ihrer Arbeit vernünftig | |
leben können. Hier kann beispielsweise eine Rolle spielen, dass | |
Privatunternehmen, die staatliche Aufträge erledigen, Tariflöhne zahlen. | |
Dies ließe sich in wirksamen Tariftreuegesetzen regeln, die es bisher nicht | |
in allen Bundesländern gibt. | |
Schließlich müssten Reiche mehr Steuern auf hohe Einkommen, Vermögen und | |
Erbschaften zahlen. Kohlrausch: „Das wären wesentliche Ansätze, um die | |
Gesellschaft zusammen- und funktionsfähig zu halten, gerade in Zeiten | |
großer Veränderungen und der Herausforderung durch Populisten.“ | |
Bis 2019 erlebte Deutschland allerdings eine Phase, in der die Ungleichheit | |
nicht mehr weiter zunahm. Der Gini-Koeefizient bewegte sich damals kaum, | |
und auch die Armut nahm ab 2015 nicht wesentlich zu. Das lag unter anderem | |
an wirksamer staatlicher Intervention: So wurde der gesetzliche Mindestlohn | |
eingeführt, von dem Millionen Beschäftigte mit niedrigen Verdiensten | |
profitierten. Außerdem war die Wirtschaftslage gut, und die Zahl der | |
Arbeitsplätze stieg permanent an, was ebenfalls zu höheren Löhnen führte. | |
3 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Armut-in-Deutschland/!5933070 | |
[2] https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-studie-armut-ist-risiko-… | |
[3] /Energiepreisbremsen-greifen-ab-1-Maerz/!5915898 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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