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# taz.de -- Internationales Kulturforum in Russland: Kunst ist Cheferzieher fü…
> Russische Kulturschaffende müssen strikt auf Kreml-Linie sein. Beim
> Internationalen Kulturforum sind fast nur Verbündete dabei.
Bild: Im russischen Kulturbetrieb gibt mittlerweile der Kreml wieder den Takt a…
Berlin taz | Der November ist in St. Petersburg der trostloseste Monat:
Die Tage sind kurz, vom Himmel rieselt Schneeregen herab und ein feuchter
Wind fegt durch die Straßen.
Doch gerade dieser Monat ist traditionell der Höhepunkt des kulturellen
Lebens. Denn das schlechte Wetter lädt förmlich dazu ein, am Wochenende
durch die Paläste, Galerien und Museen zu schlendern.
Genau zu dieser Jahreszeit findet in St. Petersburg seit einigen Jahren das
„[1][Internationale Kulturforum]“ statt, das sich den Ruf erworben hat, das
größte Kulturevent des ganzen Landes zu sein. An Hunderten von Orten finden
Diskussionsveranstaltungen und Ausstellungen statt, es gibt
Theaterpremieren, Konzerte, Lesungen, Kunst- und Kreativworkshops
Nach offiziellen Angaben hatte das Petersburger Forum allein 2016 einige
Tausend Teilnehmer aus 91 Ländern. Gäste des Forums waren über die Jahre
der litauische Theaterregisseur Rimas Tuminas, der britische Schauspieler
Ralph Fiennes, der US-amerikanische Künstler und Pianist Daniel Pollack,
der Fotograf Allan Tannenbaum sowie der Jazzsänger Kurt Elling und
natürlich zahlreiche russische Kulturschaffende, deren Namen heute nicht
nur von den Ankündigungen großer offizieller Veranstaltungen, sondern auch
von den Plakaten der Provinzkulturhäuser nicht mehr wegzudenken sind.
## Der Westen im Internationalen Kulturforum gestrichen
In diesem Jahr hat das Kulturevent einen neuen Namen bekommen: Es ist das
„Forum der vereinten Kulturen“. Ein großer Teil der internationalen Gäste
kam mit Delegationen aus den Russland freundschaftlich verbundenen Staaten:
Aus [2][Belarus] und anderen Ex-Sowjetrepubliken, aus Indien, Iran, China,
[3][Serbien], der Türkei und Südafrika. Europäische Kulturschaffende waren
zwar auch gekommen, aber es waren keine bekannten Namen darunter. Für die
Organisatoren war das mehr der Versuch, das Gesicht zu wahren und den
Westen nicht endgültig von der Gästeliste zu streichen. Offen bleibt die
Frage, wer dieser Tage wen zuerst gestrichen hat.
Das Programm des Forums war in diesem Jahr deutlich politisierter und
aggressiver: Hauptthemen waren die [4][Russophobie] und die sogenannte
Cancel Culture. In den Diskussionen ging es immer wieder um die Erziehung
zum Patriotismus und die Schaffung moralischer Richtlinien. Es scheint, als
ob der Staat seinen Groll gegen den Westen immer stärker auslebt und jetzt
auch von offener Bühne herab verkündet: Kunst ist in erster Linie ein
Mittel der Auseinandersetzung mit der „feindlichen“ äußeren Welt.
Generell kann einen dieses neue Format des Forums der vereinigten Kulturen
auf die Idee bringen, dass es gar nicht so wichtig ist, wer sich mit wem
vereinigt und wozu. Viel wichtiger ist die Frage: gegen wen? Und die
Behörden machen die russische Kultur mal wieder zum Cheferzieher und
schicken sie los, um den Massen mit einem Fußtritt patriarchalische Werte
und die richtige Liebe zum Vaterland einzubläuen.
„Das Lied hilft beim Bauen und Leben“: Diese Zeile aus einem alten
sowjetischen Lied der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, auf dem
Höhepunkt der stalinschen Repressionen geschrieben, hat heute eine neue
Bedeutung bekommen.
Heute wie damals ist das Hauptinstrument staatlicher Propaganda die
Unterhaltungskunst. Die Machthaber „produzieren“ selber aktiv Stars, die
durch ihre Lieder den Massen die Werte des neuen Lebens vermitteln. Das
strahlendste Produkt ist der Sänger Jaroslaw Dronow, der unter dem
Künstlernamen „Shaman“ auftritt. Dronow hat eine gute Stimme, aber bis zum
Beginn des Großangriffs auf die Ukraine war er kaum bekannt. Jetzt ist sein
Lied „Ich bin Russe“ fast zu so etwas wie einer Hymne der „militärischen
Spezialoperation“ geworden. Dronow ist heute einer der bestbezahlten
Künstler, für ein Konzert kassiert er 35.000 Dollar. Patriotismus zahlt
sich aus in Russland.
Es gibt auch ganz besondere Fälle, wie ein Lied, das den
Sarmat-Interkontinentalraketen, eine der gefährlichsten Waffen Russlands,
gewidmet ist. Gesungen wird es von dem bekannten russischen Künstler Denis
Maidanow. „Die ganze Macht des [Flusses] Jenissei steckt in ihr, ihr Wille
ist stärker als das Uralgebirge, sie wird unsere Feinde im Handumdrehen zu
Staub zerfallen lassen, sie ist bereit, das Urteil zu vollstrecken“, heißt
es in diesem Lied.
Mit Beginn des Großangriffs auf die Ukraine begannen die Behörden, nicht
nur die Popmusik und das Kino mit der ideologischen Aufklärung zu
beauftragen, sondern auch das Theater. Ideologisch konsistente, sogar
propagandistische Stücke tauchten auf. Und aus den Programmen und dem
Repertoire verschwanden die Namen von Autoren und Regisseuren, die sich
offen gegen den Krieg ausgesprochen hatten. Dies geschah mit
Theaterstücken, die auf Werken des Schriftstellers Boris Akunin basieren,
der seit Jahren in Großbritannien lebt und die Invasion in die Ukraine
verurteilt hat. Sein Name wurde von den Plakaten entfernt, aber die
„namenlosen“ Stücke werden weiter gespielt.
## Den Krieg zu kritisieren bedeutet den Job zu verlieren
Solch ein Kompromiss scheint allerdings der einzige schmerzlose Ausweg aus
der Situation zu sein, da viele [5][Aufführungen in staatlichen und freien
Theatern] entweder auf Aufforderung der Behörden oder aus Angst vor
Entlassung und Selbstzensur von den Spielplänen gestrichen wurden. Daneben
war der Theaterbereich stark von der Emigration von Regisseuren,
Schauspielern und Dramatikern aus Russland ins Ausland betroffen. Wenn es
die Entwicklung der Theater in Russland auch nicht zum völligen Stillstand
gebracht hat, so hat es ihre Arbeit doch stark beeinflusst. Diejenigen, die
es riskierten, im Land zu bleiben, und ihre Ablehnung des Krieges nicht
geheim hielten, verloren faktisch ihre Jobs: Die Theater haben Angst davor,
weiter mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Fairer Weise muss man zugeben, dass der Staatsapparat seine
„unzuverlässigen“ Kulturschaffenden größtenteils nicht mit Repressionen
bestraft, sondern mit Bürokratie. Mit der Gleichschaltung von Theatern, dem
Auswechseln von Theaterintendanten. All diese Umwälzungen finden nicht nur
in Moskau und St. Petersburg statt, sondern auch in den weit abgelegenen
Provinzstädten.
Die Hauptthese heutiger Politiker im Kulturbereich: Der Staat muss den
Inhalt der Werke kontrollieren, die er bezahlt. Es scheint, als kehrten wir
in die Vergangenheit zurück. Eine strenge Zensur war Hunderte von Jahren
üblich im Russischen Reich und der Sowjetunion. Seltsamer Weise war das
System früher ehrlicher: Es gab eine eigene staatliche Behörde, zu deren
offiziellen Aufgaben die Kontrolle der Theaterprogramme, der Literatur und
der Presse gehörte. Heute ist Zensur von der russischen Verfassung zwar
verboten, praktisch aber ist sie allgegenwärtig, nur viel chaotischer.
2022 hat das Kulturministerium offiziell [6][die staatliche Verbotspraxis
wieder eingeführt]. Der Staat fördert nur noch Kulturprodukte, die auf
einer Linie mit Wladimir Putins Partei sind und für die Stärkung
„traditioneller“ geistiger und moralischer Werte und des Patriotismus
gegenüber dem westlichen Einfluss eintreten.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
29 Nov 2023
## LINKS
[1] https://unitedcultures.ru/
[2] /Belarus-und-der-Krieg-in-der-Ukraine/!5889678
[3] /Russischer-Einfluss-auf-dem-Balkan/!5930484
[4] /Ueber-den-Umgang-mit-Russinnen/!5867898
[5] /Meduza-Auswahl-10-bis-16-August/!5954187
[6] /Kuenstler-in-Russland/!5959836
## AUTOREN
Olga Lizunkova
Boris Epchiev
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